Studentisches Leben und Überleben: Perspektiven aus vier Pandemiesemestern

Studentisches Leben und Überleben: Perspektiven aus vier Pandemiesemestern

Die Redaktion der critica trifft sich vornehmlich per Video-Konferenz. Glücklicherweise schaffen wir es trotzdem irgendwie, unseren eigenen Ansprüchen gerecht zu werden. Anders sieht es an der Uni aus. Hier liegen Anspruch und Realität weiter auseinander als je zuvor.

Schaut man sich die Berichte unserer Redaktionsmitglieder über den Pandemiebetrieb der Hochschulen an, wird klar, dass uns mittlerweile vier Corona-Semester vor eine ganze Menge neuer Herausforderungen stellen. Wir alle sehnen uns nach Präsenzlehre und Kontakt zu Kommiliton*innen. Unser politisches (und journalistisches) Engagement gestaltet sich jedoch an vielen Stellen als Lichtblick. Fabian, Mo und Deniz erzählen von fehlender Barrierefreiheit, Selbsttherapie durch wilde Online-Käufe und wundersamen Mikrofon-Defekten.

Die Mensa als Raum des wissenschaftlichen Austauschs

„Wir sehen uns dann nächste Woche.“ Klick.

Und jetzt? So ganz habe ich das noch nicht verstanden. Und Hunger habe ich auch!

Dies sind nur ein paar Beispiele für Gedanken, die mir durch den Kopf gehen, wenn das Zoom-Seminar für beendet erklärt wird. Wäre man nun an der Universität, wäre diese Situation damit zu vergleichen, als würde man auf einer großen Betonfläche allein zurückbleiben, mit all seinen Fragen, Sorgen und Nöten. Zoom-Seminare benachteiligen nicht nur diejenigen, die sich weder Raum noch Endgerät leisten können, sondern ebenso diejenigen, deren Familien noch nie etwas von Essays, Hausarbeiten oder Teilchenbeschleunigern und dekonstruktivistischer Literaturtheorie gehört haben.

Zur Wissenschaft gehört der Austausch. Dieser ist elementar an die Uni-eigene Infrastruktur gekoppelt, wobei Mensaessen eine riesige Rolle spielt. Dieses bietet nicht nur eine gesunde und günstige Variante sich als Studi zu ernähren, sondern eröffnet auch den Raum, in ungezwungener Atmosphäre Probleme nochmal neu zu erörtern und gemeinsam zu erschließen. Mensaessen spart Kosten in der Nahrungsbeschaffung, beim Heizen und in der Zubereitung.

Ähnlich verhält es sich mit der gesamten Fülle des studentischen Lebens: Suche ich eine günstige WG, habe ich Probleme mit Dozierenden oder mit der Verwaltung, dann eignet sich am besten der schnelle Austausch während des Seminars. Sowohl beim gemeinsamen Essen, als auch beim Plausch vor oder nach dem Seminar, kann ich mir Tipps und Ratschläge holen oder Anderen helfen.

Während des Seminars ist es nicht anders: Fehlt mir gerade ein wichtiger Begriff, eine Jahreszahl oder ein Formelzeichen, kann schnell in den Raum gefragt werden, woraufhin es jemand sicherlich schnell parat hat. Sowas wird verhindert, wenn alle stummgeschaltet sind oder einfach kaum anwesend. Ein Bildschirm kann nicht vermitteln, dass andere Menschen das interessant finden könnten, was man denkt.

Zuletzt ist diese fehlende Unterstützung nicht nur für Arbeiter*innenkinder hinderlich – chronisch Kranke und behinderte Studierende sind so noch weiter weg von couragierten Mitstudierenden. Damit sei nicht gesagt, dass bei jeder Einschränkung die Lehre in Präsenz hilfreich wäre, denn für einige ist das Bestimmen des eigenen Lerntempos sicherlich hilfreich. Auch wo wenig Ruheräume existieren, Rollstuhlrampen oder andere bauliche Barrieren nicht beseitigt wurden, mag der Zugang nun leichter sein. Dennoch fehlt Übersetzungssoftware, die das gesprochene für Menschen mit Hörbehinderung in Text übersetzen. Zudem ist nicht jede Videoplattform oder interaktives Noteboard barrierefrei programmiert. Überlastetes Lehrpersonal ist besser schnell und direkt nach dem Seminar ansprechbar, als dass es die 500. Mail um halb drei nachts bearbeitet. Präsenz ist also mehr als bloße Anwesenheit, sie schafft Räume des sozialen Ausgleichs und des kollektiven Lernens.

Fabian Korner

Null-Bock-Attitüde und Hobby-Hopping im Corona-Semester

Als ich mein Studium zu Beginn der Pandemie aufnahm, war ich noch richtig motiviert und freute mich auf die vielbeschworene „ach so tolle“ Studienzeit. Tja, nach drei Corona-Semestern ist von der anfänglichen Begeisterung kaum etwas übrig. Neue Freund*innen habe ich nicht gefunden und die versprochenen Partys bleiben aus. Dafür ist der Leistungsdruck enorm. Meine Hörsaalbesuche kann ich an einer Hand abzählen. Das Wohnzimmer-Studium nervt. Außerdem bin ich, was die Uni angeht, völlig desillusioniert und habe keinen Bock mehr. Der Pandemiebetrieb im neuen Lebensabschnitt hat dafür gesorgt, dass ich tief in einer Krise stecke, die es zu bewältigen gilt.

Glücklicherweise habe ich ein Hausmittel gegen chronische Unlust: Hobbys. Um den Kopf frei zu kriegen hilft es mir unheimlich, einfach mal etwas Anderes zu machen. Unverfängliches ‚Dinge tun‘ ist gut für’s Gemüt. Blöd nur, dass die Corona-Pandemie nach und nach Anspruch auf meine Hobbys erhob. Brettspielabende waren mit Kontaktbeschränkungen kaum möglich, Schwimmbäder ständig dicht und abends das Tanzbein zu schwingen war im Angesicht der Seuche auch keine tolle Idee. Ich war plötzlich hobbylos und musste mir Alternativen suchen.

Meine erste geniale Idee kam mitten in der Nacht und ließ, dank Online-Shopping, nicht lange auf sich warten: Ein Webrahmen, wie man ihn früher aus der Schule kannte. Ich war fast ’ne ganze Woche besessen davon, musste mir dann aber eingestehen, dass ein sechster Topflappen wirklich keinen Platz mehr in meinem Schrank gehabt hätte. Danach war die Luft raus.

Mit den nächsten Projekten verhielt es sich ähnlich: Das Schulmikroskop von Ebay war zwar faszinierend, aber nachdem ich mir einige Tage lang alles darunter angeguckt hatte, was nicht niet- und nagelfest war, fand man es schon bald erneut als Kleinanzeige im Internet. Die Mundharmonika hingegen zücke ich auch heute noch manchmal. Ich kann sie zwar kaum spielen, trotzdem dient sie mir als dankenswertes Instrument, um die Zeit totzuschlagen. Zum Studieren hat sie mich allerdings nicht motiviert – schade!

Nach vielen gescheiterten Versuchen und teuren Impulskäufen musste ich mir eingestehen, dass mein materieller Ansatz vielleicht nicht völlig zielgerichtet war. Mir ist klageworden: Die Motivation für’s Studieren kommt nicht mit dem Paketboten ins Haus.

Per Zufall machte ich schließlich Bekanntschaft mit der örtlichen SDS-Gruppe. Mir wurde klar, dass ich ein ganzes Jahr lang Zeit und Geld investiert hatte, um mich mit meiner – zugegeben misslichen – Situation abzufinden. Jetzt habe ich begriffen, dass es sich weitaus mehr lohnt, für ernsthafte Verbesserungen im Studium in den Kampf zu ziehen. Direkte Konfrontation ist meistens besser als ein Ablenkungsmanöver.

Ich wette, dass es vielen Studierenden so geht wie mir. Ich möchte euch etwas an die Hand geben: Kein Hobby der Welt motiviert so sehr, sich mit dem Studium zu beschäftigen, wie hochschulpolitisches Engagement. When in doubt, do some Hochschulpolitik.

Mo Menzel

Der magische Streik der Mikros

Hätte ich vor der Pandemie die Wahl gehabt, an ausgewählten Kursen online teilzunehmen, dann hätte ich es mit Sicherheit gemacht. Heute hingegen, nach vier Corona-Semestern, würde ich mich in jedem Fall für Präsenzlehre entscheiden. Zwei Aspekte haben mich besonders gestört. Diese kann ich als Student, der ein ehrliches Interesse an seinem Studium hat, in keiner Weise beeinflussen. Sie haben aber leider dafür gesorgt, dass der Online-Unterricht für mich komplett ruiniert wurde.

Von meinen Kommiliton*innen war ich in den letzten Monaten enttäuscht. Zugegebenermaßen naiv dachte ich, dass die Beteiligung im Seminar, im Vergleich zur vorpandemischen Zeit, mehr oder weniger gleich ausfallen würde. Eingetreten ist dies leider nicht. Ich habe auch erwartet, dass sich die Anwesenheit insgesamt besser gestalten würde, da für viele der lange Weg zur Uni wegfällt und mittels Laptops und Smartphones die Möglichkeit besteht, auch außerhalb des eigenen Zuhauses an den Kursen teilzunehmen. Genau das Gegenteil ist der Fall: meine Mitstudierenden fehlen nun viel öfter. Zusätzlich hat die Beteiligung sehr gelitten. Die meisten sagen kein einziges Wort, teils über Wochen hinweg. Wenn die Lehrperson jemanden ohne Meldung aufruft, dann ignorieren viele dies, antworten nicht oder verweisen auf ein defektes Mikrofon, welches auf magische Weise nur jede dritte Woche funktioniert. So macht Uni keinen Spaß. Stattdessen gibt es minutenlange Verzögerungen, alle sind genervt und wenige Menschen müssen den Kurs am Leben halten, um nicht selbst aufgrund nicht existenter Interaktion einzuschlafen.

Die Studierenden sind jedoch nur ein Teil des Problems. Schuld sind auch die Dozierenden. Viele geben sich nun weniger Mühe für die Vorbereitung der Seminare und unterrichten teils von unterwegs. Außerdem entscheiden sich einige bewusst gegen die Präsenzlehre, obwohl diese wieder möglich gewesen wäre. Mir ist klar geworden, dass der Lehrbetrieb für viele nur einen geringen Stellenwert einnimmt. Die politischen Maßnahmen im Zuge der Pandemie, bei denen Studierende beinahe komplett vergessen wurden, sprechen dieselbe Sprache.

Die Qualität der Seminare hat so stark abgenommen, dass ich den Sinn der Teilnahme in manchen Kursen hinterfrage und darüber nachdenke, ob ich die Zeit nicht besser nutzen kann. Ich habe nicht das Gefühl, dass meine Kommiliton*innen große Lust auf ihr Studium haben. Die letzten Zoom-Semester haben mir klargemacht, dass in diesem System wirklich lehrreiche Seminare mit motivierten Dozierenden kaum mehr zu finden sind.

Deniz Özün