Schwangerschaftsabbruch: Die Kriminalisierung bleibt

Schwangerschaftsabbruch: Die Kriminalisierung bleibt

Die neue Regierung aus SPD, FDP und Grünen will endlich längst überfällige Reformen bezüglich Schwangerschaftsabbrüchen beschließen – so steht es zumindest im Koalitionsvertrag. Um welche Änderungen  es sich handelt, wie wirksam sie sind und was noch fehlt, hat unsere Autorin Emma mit den Aktivistinnen Leonie Kühn und Kate MacAlister besprochen. 

Inhaltlicher Hinweis: In diesem Artikel geht es um Schwangerschaftsabbrüche und Vergewaltigung wird erwähnt. Wenn du dich damit unwohl fühlst, lies den Text lieber nicht oder mit jemandem zusammen.

Wer ungewollt schwanger ist, wird in Deutschland vor einige Hürden gestellt. Die Ampelkoalition will daran etwas ändern: Im Koalitionsvertrag findet sich ein ganzer Absatz zur reproduktiven Selbstbestimmung mit Maßnahmen, die es ungewollt Schwangeren künftig erleichtern sollen, einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen zu lassen.

Abschaffung des Paragraphen 219a StGB

Für die meisten Schlagzeilen hat dabei wohl die geplante Streichung des Paragraphen 219a StGB gesorgt, dem sogenannten „Werbeverbot“ für Abtreibungen. „Ärztinnen und Ärzte sollen öffentliche Informationen über Schwangerschaftsabbrüche bereitstellen können, ohne eine Strafverfolgung befürchten zu müssen“, steht im Koalitionsvertrag.

„Wir haben uns sehr gefreut, dass sich klar für eine Abschaffung dieses Paragraphen ausgesprochen wird“, sagt die Ärztin Leonie Kühn, Mitgründerin von Doctors for Choice Germany. Der Verein setzt sich für reproduktive Rechte und Gesundheit ein und legt einen besonderen Fokus auf Schwangerschaftsabbrüche.„Es wird Zeit, dass dieser Paragraph, den es weltweit nirgendwo sonst gibt, endlich fällt.“

Kostenlose Schwangerschaftsabbrüche für alle

Schwangerschaftsabbrüche sollen zukünftig kostenfrei sein, was Kate MacAlister, die selbst Medizin studiert und sich im Frauen*streik Bonn engagiert, für besonders wichtig hält: „Das signalisiert, dass ein Schwangerschaftsabbruch ein normaler Eingriff der gynäkologischen Gesundheitsversorgung ist. Zudem erleichtert es den Zugang, insbesondere für Menschen mit wenig Einkommen, die sich bisher durch ein bürokratisches Verhör bei den Krankenkassen durchkämpfen mussten.“ Bisher seien die Kosten nur übernommen worden, wenn man unter eine gewisse Einkommensgrenze fällt.

Abtreibung als Teil der ärztlichen Ausbildung

„Schwangerschaftsabbrüche sollen Teil der ärztlichen Aus- und Weiterbildung sein“, steht im Koalitionsvertrag, was die beiden Aktivistinnen, auch wenn bisher keine konkreten Pläne genannt werden, positiv bewerten. Die mangelhafte Ausbildung sehen sie beide als Problem an:

„De facto gibt es keine verpflichtende Lehre in Bezug auf Schwangerschaftsabbrüche“, sagt Medizin-Studentin MacAlister. „Es kann sein, dass du eine Facharztausbildung in einem Krankenhaus machst, in dem keine Schwangerschaftsabbrüche durchgeführt werden und so als angehende*r Gynäkolog*in nicht ein einziges Mal mit einem Schwangerschaftsabbruch in Berührung kommst.“ Insbesondere die medikamentöse Methode werde kaum gelehrt, da Kliniken hauptsächlich operative Eingriffe durchführen.

Wer als Medizinstudierende*r in Deutschland lernen möchte, wie man einen Schwangerschaftsabbruch durchführt, muss sich häufig selbst organisieren, zum Beispiel in Gruppen wie Medical Students for Choice, die Papaya-Workshops anbieten. Dabei lehren ausgebildete Gynäkolog*innen neben rechtlichen und ethischen Aspekten auch die medizinischen Grundlagen des medikamentösen Schwangerschaftsabbruchs. An Papayas können die Studierenden selbst lernen, wie die Absaugmethode funktioniert.

„Was fehlt, ist auch Forschung zu Verhütungsmitteln und Schwangerschaftsabbrüchen“, so Kühn. „Wir können nicht über die Entkriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs reden, ohne darüber zu sprechen, dass wir Verhütungsmittel kostenlos und flächendeckend zugänglich machen müssen. Diese müssen weniger Nebenwirkungen haben und nicht nur für Menschen mit Uterus entwickelt werden. Der Schwangerschaftsabbruch muss als Teil der reproduktiven Gesundheit gesehen werden.“

Schwangerschaftsabbrüche bleiben kriminalisiert

Was noch aussteht, ist die Abschaffung des Paragraphen 218 StGB: „Bisher steht der Schwangerschaftsabbruch im Strafgesetzbuch neben Mord und Totschlag“, erklärt Leonie Kühn. Grundsätzlich sei er rechtswidrig und bleibt nur unter bestimmten Voraussetzungen straffrei, die im StGB formuliert werden.Eine dieser Voraussetzungen ist die medizinische Indikation, die vorliegt, wenn die Schwangerschaft eine schwerwiegende Beeinträchtigung der Gesundheit der schwangeren Person darstellt. Eine weitere Möglichkeit ist die kriminologische Indikation, die gegeben ist, wenn die Schwangerschaft durch eine Vergewaltigung entstanden ist. Die dritte und häufigste Indikation ist die Beratungsregelung, bei der die schwangere Person sich bescheinigen lassen muss, dass sie sich bei einer anerkannten Schwangerschaftskonfliktberatungsstelle beraten lassen hat. Seit der Befruchtung dürfen nicht mehr als zwölf Wochen verstrichen sein und die Abtreibung muss durch eine*n Ärzt*in vorgenommen werden.

„Wir hätten uns gewünscht, dass der Paragraph 218 gestrichen wird“, sagt Kühn. Im Koalitionsvertrag stehe lediglich, dass eine Kommission gegründet wird, die eine Regulierung des Schwangerschaftsabbruchs außerhalb des Strafgesetzbuchs prüfen solle.

„Ich glaube, dass der Paragraph 218 das größte Hindernis auf dem Weg zu reproduktiver Gerechtigkeit und zu zugänglichen Abbrüchen ist“, so Kate MacAlister. „Diesen Paragraphen gibt es seit 150 Jahren. Das bedeutet 150 Jahre Kriminalisierung, Tabuisierung und Diskriminierung. Er führt zu Versorgungsengpässen und zur Gesundheitsgefährdung von Menschen, die keinen Zugang zu legalen und sicheren Schwangerschaftsabbrüchen bekommen.“

Die momentan sehr schlechte Versorgungslage könnte sich mit der Entkriminalisierung ändern, glaubt Leonie Kühn: „Wir haben einen massiven Rückgang an Ärzt*innen, die Abbrüche durchführen. Daran wird sich ohne konkrete politische Maßnahmen nicht viel ändern. Die Entkriminalisierung ist ein Schlüsselmoment dafür.“

Auch der gesamtgesellschaftliche Umgang mit dem Thema könnte sich mit der Streichung des Paragraphen 218 StGB ändern: „Sowohl in der Gesellschaft, als auch in der Medizin, ist der Schwangerschaftsabbruch ein tabuisiertes Thema. Es wird zwar in den letzten Jahren mehr darüber gesprochen, aber noch immer nicht genug. Mit der Entkriminalisierung würde man sich als Ärzt*in nicht mehr fühlen, als stünde man mit einem Bein im Gefängnis.“

Verbesserungen wurden von der feministischen Bewegung erkämpft

„Die Frage nach körperlicher Selbstbestimmung ist eine der fundamentalsten Fragen der feministischen Bewegung“, erklärt MacAlister. „Es ist bewiesen, dass die Einschränkung des Zugangs zu sicheren oder legalen Schwangerschaftsabbrüchen zu einer erheblichen Sterblichkeit von Betroffenen führt.“ Nach Angaben der WHO sind unsichere Schwangerschaftsabbrüche die dritthäufigste Todesursache bei schwangeren Menschen. 

Die Kriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen führe keineswegs zu weniger Abbrüchen, sondern zwinge Menschen dazu, sich unsicheren Methoden auszusetzen. „Meistens sind das Menschen, die sowieso bereits marginalisiert, diskriminiert und benachteiligt sind“, so MacAlister. „Deshalb ist die Forderung nach uneingeschränkten Zugang zu sicheren Schwangerschaftsabbrüchen nicht nur eine Frage der feministischen Geschlechtergerechtigkeit, sondern auch von sozialer und ökonomischer Gerechtigkeit.“

Auch wenn die im Koalitionsvertrag genannten Punkte noch lange nicht ausreichen, stellen sie laut Kühn einen wichtigen ersten Schritt dar: „Schon alleine, dass der Schwangerschaftsabbruch Thema im Wahlkampf und in Wahlkampfshows war, hat mich hoffnungsvoll gestimmt. Vor zehn Jahren wäre das nicht denkbar gewesen.“

Kate MacAlister erinnert daran, wem diese Änderungen zu verdanken sind: „Hoffnung geben mir die Freund*innen und Genoss*innen, die sich dafür organisieren, dass es zugängliche Schwangerschaftsabbrüche und körperliche Selbstbestimmung gibt.“ Das seien Menschen wie die Gynäkologin Kristina Hänel, das Pro-Choice-BündnisMedical Students for ChoiceDoctors for Choice und die feministische Streikbewegung. „Es ist ihr unermüdlicher Kampf, der die im Koalitionsvertrag aufgelisteten Änderungen möglich gemacht hat.“

Info:

Doctors for Choice Germany ist ein bundesweites Netzwerk aus Ärzt*innen und Medizinstudierenden, mehr Informationen findet ihr hier: https://doctorsforchoice.de

Medical Students for Choice Berlin ist eine studentische Arbeitsgruppe, die sich für eine Verbesserung der medizinischen Ausbildung zum Schwangerschaftsabbruch einsetzt. Ähnliche Gruppen in anderen Städten und mehr Informationen findet ihr hier: https://msfcberlin.com/msfc-deutschlandweit/

Mehr Informationen zum feministischen Streikbündnis, das um den feministischen Kampftag am 8. März entstanden ist und Ortsgruppen in vielen Städten hat, findet ihr hier: https://frauenstreik.org