22 Jan. Studentisches Leben und Überleben: Mehr Perspektiven aus vier Pandemiesemestern
Die Redaktion der critica trifft sich vornehmlich per Video-Konferenz. Glücklicherweise schaffen wir es trotzdem irgendwie, unseren eigenen Ansprüchen gerecht zu werden. Anders sieht es an der Uni aus. Hier liegen Anspruch und Realität weiter auseinander als je zuvor. Schaut man sich die Berichte unserer Redaktionsmitglieder über den Pandemiebetrieb der Hochschulen an, wird klar, dass uns mittlerweile vier Corona-Semester vor eine ganze Menge neuer Herausforderungen stellen. Wir alle sehnen uns nach Präsenzlehre und Kontakt zu Kommiliton*innen. Unser politisches (und journalistisches) Engagement gestaltet sich jedoch an vielen Stellen als Lichtblick.
Lukas, Paul und Lea erzählen von der Rückkehr nach Hause im Online-Semester, albtraumhaften Hausarbeits-Abgaben und kurzen, aber erfrischenden Präsenzphasen.
Der schwarze Bildschirm als Spiegelbild meiner inneren Leere
Als ich vor einigen Jahren an die Universität kam, fühlte ich mich verloren. Weder Funktionsweise dieser Institution war mir vertraut, noch konnte irgendjemand aus meinem Umfeld Fragen beantworten, die vielleicht ein paar meiner Unsicherheiten beseitigt hätten. Meine neuen Freund*innen hatten Hobbys wie gemeinsame Kochabende oder das Besuchen von Poetry Slams, die ich bis dato nicht kannte. Noch dazu fuhren sie mit ihren Familien, wie selbstverständlich, in den Urlaub nach Sylt und zum Skifahren nach St. Moritz. Von den Berufen ihrer Eltern ganz zu schweigen. Oft fühlte ich mich zwischen den Fängen der neoliberalen Bürokratieherrschaft der Universität und den Freigeistern, also meinen Mitstudierenden, gefangen.
Eines muss ich zugeben: Ich verstand und lernte schnell – vor allem mich anzupassen. Nach einigen Semestern war die grundsätzliche Unsicherheit gewichen und mein Wissensdurst scheinbar unstillbar geworden. Mein Habitus veränderte sich radikal. Im Marx-Lesekreisen blühte ich wöchentlich auf. Gleichzeitig entfernte ich mich von den Menschen, mit denen ich aufgewachsen bin.
Zeitsprung. Ich war auf den griechischen Inseln, als sich im Frühjahr 2020 die pandemische Lage auch in Europa zuspitzte. Ein Tag vor dem ersten Lockdown kam ich nach Deutschland zurück. Angela Merkel ließ in einer Fernsehansprache verlauten: „Es ist ernst. Also nehmen sie es auch ernst“. Uns Studierende katapultierte diese pandemische Situation in die Onlinelehre. Hier kam etwas zusammen, was für mich nicht zusammengehörte. Im Sommersemester 2020 ging ich nicht mehr in die Universität und verbrachte wegen der beschworenen Flexibilität wieder mehr Zeit mit den Menschen, mit denen ich aufgewachsen bin. Ich näherte mich ihnen wieder an, was sich zum einen befremdlich anfühlte. Zum anderen begann ich zu begreifen, was meine Entfremdung von ihnen ausgelöst hatte: die soziale Klasse. Für die meisten gab es kein Homeoffice, denn entweder verloren sie ihre Jobs oder mussten dank Systemrelevanz nun noch mehr arbeiten.
Den Austausch mit meinen Mitstudierenden konnte kein Onlineformat ersetzen. Während meine Kommiliton*innen von den Vorteilen schwärmten – sie konnten ja auch ins Ferienhaus fahren – fühlte ich mich zurückgeworfen. Mir fehlte der Austausch, die Resonanz und das, was das Studieren für mich ausgemacht hatte. Mit starker Verzögerung beendete ich mein Bachelorstudium.
Mein Master begann vielversprechend, nämlich in Präsenz. Der Spaß war zurück. Als es in der Woche vor den Winterferien wieder in die Onlinelehre ging, war ich – so dachte ich zumindest – gewappnet. Ich setzte mich mit Kommiliton*innen zusammen vor den Laptop und traf mich zur Nachbesprechung der Seminare. Was sich allerdings nicht änderte, war das Gefühl der Leere, die sich in mir breit machte, sobald das Seminar vorbei war, ich meinen Laptop ausschaltete und der Bildschirm meines Laptops schwarz wurde.
Lukas Geisler
Ich kann nicht mehr (oder wie Hausarbeiten mein Leben bestimmen)
Mein Studium neigt sich langsam dem Ende zu. Nach Regelstudienzeit (sechs Semester Geschichts- und Politikwissenschaften) würde ich bis Oktober 2022 meinem Bachelor abschließen und wäre meinem Ziel angehender Historiker zu werden einen Schritt näher. So weit so gut, gäbe es da nicht ein Problem: Ich kann nicht mehr.
Auch an mir, einem Studenten der Geisteswissenschaft, der ja „nur“ lesen und schreiben muss, sind die letzten zwei Jahre nicht spurlos vorbeigezogen. Dabei waren die Prüfungsformen durch das Online-Format teilweise einfacher – eigentlich perfekt, um gute Noten zu sammeln. Ein Problem bestand jedoch in meinem Fall: die Hausarbeit.
Bis zur Pandemie hatte ich noch keine Erfahrung mit wissenschaftlichen Arbeiten. Vor mir türmten sich Berge an Unklarheiten über Umsetzung, Herangehensweise und Format. Ich saß vor einem gigantischen Fragezeichen, für das es scheinbar keine Lösung gab. Die Sprechstunden mit den Dozent*innen waren komplett ausgelastet und mit dem Vereinbaren eines Arzttermins vergleichbar – Frühestens in einem Monat und mit Glück für eine halbe Stunde.
Mit der Zeit löste das Fragezeichen Hausarbeit in mir Panik, Angst und enormen Stress aus. Ich war verzweifelt und sah keinen Ausweg. So begannen die Hausarbeiten über die letzten zwei Jahre mein Leben zu bestimmen. Zu den anfänglich zweien, die ich mit ins nächste Semester nahm, kamen zeitnah drei hinzu. Ich wusste nicht mehr weiter und saß die ganze vorlesungsfreie Zeit vor dem Bildschirm um das Fragezeichen abzuarbeiten. Der Erfolg war nicht nennenswert. Abgabetermine überschnitten sich und wurden von mir immer wieder bis an die Grenze strapaziert. Teilweise hatte ich dadurch für eine Hausarbeit nur zwei Wochen Zeit – Literatur, Recherche und Schreiben eingeschlossen. Eigentlich ein unmöglicher Akt, zu dem der pampige, konservative und verständnislose Dozent nichts außer gemeine Sprüche beitragen konnte. An dieser Stelle nochmals Danke an das Empathie-Monster, das hat mir wirklich gut getan!
Nach anderthalb Jahren ist es mittlerweile besser geworden, das Fragezeichen hat sich verkleinert – vorhanden ist es aber noch. Nicht zu vergessen ist, dass der Universitätsbetrieb natürlich weiterlief und Leistungen wie gewohnt zu erbringen waren. Zudem gehöre ich zu der großen Gruppe, die ihr Studium durch Nebenjobs finanzieren müssen. Zum Glück konnte ich aber im letzten Jahr von meinem Job als Produktionshelfer zu einem als studentische Hilfskraft wechseln. Von dem nicht vorhandenen Kontakt mit Kommiliton*innen ganz zu schweigen. Der ungewollte Umstieg in ein schlecht organisiertes Fernstudium hat mich an meine psychischen Belastungsgrenzen geführt. Nicht nur einmal habe ich daran gedacht, alles hinzuwerfen. Nach zwei Jahren ohne entspannte Freizeit sowie Urlaub bin ich langsam wirklich am Ende. Ich kann nicht mehr.
Paul Fürst
Ein Todesstoß für leblose Seminare
Letzten Sommer habe ich ein Seminar freiwillig belegt. Heißt: Nicht für Credit-Points oder die Verbuchung der Studienleistung, sondern, weil mich das Thema interessiert hat. Dummerweise war ich mit meiner Leidenschaft für das Gebiet ziemlich allein. In einem Seminar mit zehn Teilnehmer*innen war dies nicht besonders schön für die Dozentin – und auf Zoom eine absolute Qual. Fragen, die ins Leere gingen und immer wieder ich (mit ein, zwei engagierten Komilliton*innen), wie ich versuchte, irgendwas zur Thematik zu sagen.
Warum zeigte niemand Interesse an der Veranstaltung? Im Idealfall ist ein Seminar gefüllt mit Studierenden, die sich für das Themengebiet interessieren. Muss jedoch ein Modul abgeschlossen werden, um die für den erfolgreichen Studienabschluss notwendigen Punkte zu sammeln, kann nicht immer nach persönlicher Neigung gewählt werden. Oft muss man nehmen, was man kriegt.
Wir werden permanent dazu animiert, unser Studium schnell abzuschließen. Von Instituten zusammengestellte Studienverlaufspläne vermitteln, dass die Abschlussarbeit bestenfalls während dem Absolvieren mehrerer Module geschrieben wird. Und das parallel zu Nebenjob, Freund*innen, Sport und – wenn man mit lachendem Gesicht dem Burnout zusteuern möchte – gegebenenfalls noch politischer Arbeit oder Ehrenamt. Also belegen wir Veranstaltungen, die uns nicht interessieren, weil sie in unseren Stundenplan und Studienverlauf passen. Am Ende werden die Punkte verbucht. Dozent*innen sind frustriert, Studierende haben wenig gelernt und im Zoom-Seminar wird geschwiegen.
Für einen kurzen Moment saß ich im Oktober mit allen Master-Erstsemestern im Vorlesungssaal vor einer glücklich gestimmten Professorin. Sie begrüßte uns am Institut und äußerte ihre Freude darüber, dass wir uns vor Ort treffen konnten. Beim anschließenden Glas Sekt auf dem Bonner Hofgarten zur Feier des Tages, redete ich mehr mit meinen Kommiliton*innen, als in den drei vorherigen Semestern zusammen. Diese flüchtige Phase ist dank Omikron-Variante und allgemeiner Lustlosigkeit an der Präsenzlehre bereits wieder den schwarzen Kacheln im Zoom-Seminar gewichen.
Was alles beim Uni-Alltag via Zoom auf der Strecke bleibt, kann ich in wenigen Zeilen unmöglich verdeutlichen. In den letzten Semestern ist mir jedoch klar geworden, dass ohnehin leblosen Seminaren durch das Online-Format der Todesstoß versetzt wird. Vereinzelung und Konkurrenzdruck im Studium werden seit Inkrafttreten der Bologna-Reformen immer intensiver. Ohne persönlichen Kontakt zu Mitstudierenden, erreichen sie ihren traurigen Höhepunkt.
Mittlerweile kommuniziere ich mit meinen Kommiliton*innen wieder über Messenger-Gruppen. Eines der präsentesten Themen ist der Ausfall von Seminaren, meistens wegen Corona-Infektionen oder sonstigen pandemiebedingten Schwierigkeiten. Die allgemeine Erleichterung, die darüber geäußert wird, ist wohl eher Bologna-bedingt.
Lea Klingberg