15 Feb Wie die Tagesschau den amerikanischen Schoßhund spielt
Wenn es um die iranische Atombombe geht, herrscht wahrlich kein Informationsmangel. Immer wieder wird in den westlichen Medien das Narrativ gestärkt, der Iran führe ein Atomwaffenprogramm, obwohl dies nicht der Fall ist. Deutsche und US-Amerikanische Medien tragen durch Vorurteile und Falschinformationen dazu bei. Deniz kritisiert anhand eines Artikels der Tagesschau das einseitige Bild, das hierzulande vermittelt wird.
Die Islamische Republik hat sich schon immer gegen Atomwaffen ausgesprochen und die Entwicklung dieser sogar verboten[1]https://farsi.khamenei.ir/treatise-content?id=228#2790[2]https://web.archive.org/web/20170921001025/https://foreignpolicy.com/2014/10/16/when-the-ayatollah-said-no-to-nukes/. Schon im Iran-Irak-Krieg der 80er-Jahre wurden keine chemischen Waffen vonseiten des Iran eingesetzt, obwohl der irakische Präsident Saddam Hussein unter anderem mit Hilfe Deutschlands Giftgas im Krieg benutzte[3]https://www.spiegel.de/politik/ausland/deutschland-lieferte-chemikalien-an-saddams-irak-und-assads-syrien-a-923347.html. Verfolgt man jedoch den Diskurs in den deutschen Medien, zeigt sich ein komplett anderes Bild. Statt der „objektiven“ und „neutralen“ Berichterstattung, die sich die Tagesschau bzw. der deutsche Journalismus auf die Fahnen schreibt, werden Regierungsnarrative reproduziert. So rief 2013 die Welt in dem Schlusswort eines ihrer Artikel zur Invasion des Iran auf, nachdem den Leser*innen unzählige Lügen vorgetragen wurden[4]https://www.welt.de/politik/ausland/article120413968/Ruhanis-Luege-ueber-Irans-Massenvernichtungswaffen.html. Das Problem hierbei ist, dass diese Art von Berichterstattung nicht als Interpretation oder Kommentar einer Einzelperson bzw. Redaktion kenntlich gemacht wird, sondern die dargelegten Informationen als harte Fakten präsentiert werden. Beschäftigt man sich genauer mit der Materie, entsteht der Eindruck, dass manche Artikel auch vom US-Verteidigungsministerium stammen könnten.
Ein gutes Beispiel stellt der Artikel „Es wird wieder geredet“ auf Tagesschau.de vom 29.11.21 dar[5]https://web.archive.org/web/20211129185110/https://www.tagesschau.de/ausland/iran-atomverhandlungen-117.html. Hier wird darauf hingewiesen, dass die USA 2018 unter Trump aus dem Atomabkommen ausgestiegen sind, welches 2015 zwischen der Obama-Regierung und dem Iran ausgehandelt wurde. Das Abkommen sollte eine ausschließlich zivile Nutzung der iranischen Uranvorkommen bewirken und gleichzeitig mit dem Wegfall der Sanktionen das Land wieder in die Weltwirtschaft einbinden. Die Hintergründe für die Kündigung des Vertrags dafür werden im Artikel aus zwei Gründen verschwiegen: Zum einen war der Ausstieg reine Willkür, gegen die sich selbst die Europäer*innen gestellt haben[6]https://web.archive.org/web/20211130004836/https://www.tagesschau.de/ausland/eu-iran-atomabkommen-105.html, und zum anderen passt diese Tatsache nicht in das Narrativ des „bösen“ Iran, welches Tagesschau.de versucht zu vermitteln. Die Leser*innen sollen sich aus den nächsten Sätzen indirekt ableiten, dass der Austritt aufgrund der vermeintlich kurz vor der Vollendung stehenden iranischen Atombombe geschah.
So seien es (stand November 2021) nur noch drei Wochen, bis der Iran genug spaltbares Material für seine Atomwaffen habe. Wenn die Quellen der Tagesschau derart präzise Angaben machen können, dann hätten sie mit Sicherheit auch in Erfahrung gebracht, wenn dies eingetreten wäre. Seit Ende November ist viel Zeit vergangen, aber mitbekommen haben wir von diesem Meilenstein nichts. Seit fast 20 Jahren wird alle paar Monate versichert, die iranische Atombombe sei nur noch wenige Wochen von der Fertigstellung entfernt[7]https://mobile.twitter.com/WideAsleepNima/status/1470498661188743169. Selbst der Tagesschau-Autor ist scheinbar so irritiert, dass er mal von drei Monaten und mal von drei Wochen schreibt.
Die Frage, die sich stellt, ist, wer hinter diesen Aussagen steckt. Wer glaubt, die Tagesschau würde ihre Aussagen untermauern, irrt. Unter dem Deckmantel des journalistischen „Quellenschutzes“ handelt es sich bei den zitierten „Experten“ wahrscheinlich um solche aus dem US-Militär oder amerikanischen Denkfabriken, welche seit Jahrzehnten einen Regierungswechsel im Iran herbeiführen möchten und eine klare, feindliche Agenda verfolgen[8]https://responsiblestatecraft.org/2020/10/20/why-its-a-bad-idea-to-debate-fdd-ceo-mark-dubowitz/. Es sind also keinesfalls „neutrale“ oder – überhaupt – Experten. Ebenso könnten im Artikel die heimischen Profis vom Bundesnachrichtendienst zitiert werden, die bereits 2006 eine Atombombe vorhergesehen haben[9]https://www.spiegel.de/politik/ausland/bnd-warnung-iran-koennte-schon-bald-atombombe-bauen-a-396060.html, von der 16 Jahre später noch immer jede Spur fehlt.
„Auch dann ist es noch ein weiterer Weg bis zu einer Bombe, aber manche halten den Iran bereits jetzt für ein nukleares Schwellenland“. Die wahrscheinlich gleichen „Experten“ gehören zur Gruppe, die „den Iran bereits jetzt für ein nukleares Schwellenland“ halten. All das erinnert an das Jahr 2003, als amerikanische Geheimdienste Berichte über Massenvernichtungswaffen im Irak fabrizierten, die zur US-Invasion des Irak führten[10]https://www.dw.com/de/irak-krieg-am-anfang-stand-die-l%C3%BCge/a-43279424. Durch diese Lügen haben bis heute Millionen Menschen ihr Leben verloren.
Hier wird die Problematik einer solchen Berichterstattung deutlich. Ein so bedeutsames Medium wie die Tagesschau bereitet die Grundlage für den Diskurs in der Bundesrepublik für Millionen von Menschen. Mit sehr vagen Äußerungen wird den Leser*innen vermittelt, dass der Iran schuldig ist, ohne jemals Beweise vorzubringen. In der Vergangenheit hat nicht nur die Internationale Atomenergie-Organisation, sondern sogar die CIA bestätigt, dass der Iran kein Atomwaffenprogramm unterhält[11]https://www.iaea.org/newscenter/pressreleases/statement-on-iran-by-the-iaea-spokesperson[12]https://www.nytimes.com/2012/02/25/world/middleeast/us-agencies-see-no-move-by-iran-to-build-a-bomb.html. Diese Situation erinnert daher an die Zeit vor dem Irakkrieg 2003, in der Medien begannen, den bevorstehenden Krieg zu rechtfertigen[13]https://web.archive.org/web/20110611121300/http://www.nieman.harvard.edu/reports/article/100831/The-Press-and-Public-Misperceptions-About-the-Iraq-War.aspx. Das in den vergangenen Jahrzehnten geschaffene Narrativ des „bösen“ Iran wird in den Köpfen der Menschen verweilen.
Weiterhin seien laut dem Autor die USA um eine diplomatische Lösung bemüht. Inwiefern aber von Diplomatie die Rede sein kann, wenn seit Jahren ökonomische Kriegsführung seitens den USA betrieben wird, bleibt unklar. Die US-Sanktionen, welche vom UN-Menschenrechtsrat als illegal verurteilt wurden, töten Menschen durch fehlende Medikamente zur Behandlung von Krebs und anderen Krankheiten sowie das Erschweren der Bekämpfung des Corona-Virus durch fehlende medizinische Güter und das Blockieren von Krediten[14]https://www.hrw.org/news/2019/10/29/iran-sanctions-threatening-health[15]https://www.ohchr.org/EN/NewsEvents/Pages/DisplayNews.aspx?NewsID=23847&LangID=E[16]https://web.archive.org/web/20211121153701/https://www.tagesschau.de/ausland/coronavirus-usa-iran-sanktionen-101.html.
Der Artikel suggeriert allerdings, dass die Schuld beim Iran und nicht bei den Amerikanern zu suchen sei, denn „Trump ist abgewählt, aber in Teheran sind inzwischen Hardliner an der Macht“. Ein Hardliner ist laut Duden der „Vertreter eines harten [politischen] Kurses“ und somit negativ konnotiert. Diese Definition gibt indessen nicht die gesamte Bedeutung wieder, denn ähnlich wie beim Begriff „Oligarch“, der von den Medien nur für Menschen aus postsowjetischen Staaten verwendet wird, fehlt die geografische Komponente. „Hardliner“ wird überwiegend für Feinde des Westens und in den letzten Jahren fast ausschließlich für Politiker*innen aus dem Iran verwendet. Sind Politiker*innen aus den USA und Deutschland, die einen harten Kurs z. B. gegenüber Russland, China und dem Iran vertreten, nicht ebenso Hardliner? Der Autor verwendet diese Begriffe also, um bei der Leser*in ein ablehnendes Gefühl hervorzurufen.
Mit objektivem Journalismus, insbesondere der hochgelobten, „neutralen“ Berichterstattung der Tagesschau, hat diese Polemik wenig zu tun. Falschaussagen werden über die Jahre so oft wiederholt, bis an der Wahrheit dieser nur die wenigsten noch zweifeln. Wieso bestehen die deutschen Medien darauf, dass der Iran ein Atomwaffenprogramm führt, wenn dies nicht der Fall ist? Es ist zu hoffen, dass der Autor des Artikels sich zumindest bewusst ist, dass er Narrative von dem Iran feindlich gesinnten Parteien wiedergibt. Dies kenntlich zu machen, wäre das Mindeste.
Noch erstrebenswerter wäre ein Diskurswechsel in den deutschen Leitmedien. Andere Positionen finden sich meist nur in linken Nischenprojekten. Dies ist nicht verwunderlich, wenn man betrachtet, wie die Redaktionen der bürgerlichen Medien in Deutschland besetzt sind und dass darauf gepocht wird, das journalistische Feld könne losgelöst von politischer Macht und den von dieser geprägten gesellschaftlichen Diskursen und Dynamiken agieren. Stattdessen ist es inmitten von ihnen angesiedelt, muss sie bedienen und mit ihnen kooperieren, um die für sie überlebenswichtigen Informationen zu erhalten, ohne die sie nicht relevant bleiben können.
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