18 Apr Eine Kultur des Flüsterns
Eine Kultur des Flüsterns
#LinkeMeToo ist im vollen Gange. Das ist gut, aber in der Debatte laufen auch Dinge falsch, findet unsere Autorin Mara Luise. Diese Veröffentlichungen müssen der Anfang eines Kulturwandels im gesamten progressiven Spektrum und das Ende der Kultur des Flüsterns sein!
In der aktuellen Ausgabe des Magazins DER SPIEGEL wird über mutmaßlich übergriffiges Verhalten durch Mitglieder der Partei DIE LINKE in Hessen berichtet. Genannt wird unter anderem Adrian G., der neben übergriffigen Verhalten auch mutmaßlich sexuellen Kontakt zu einer Minderjährigen gehabt haben soll. Schnell richtete sich das Narrativ des SPIEGELs allerdings nicht gegen die (männlichen) Täter, sondern gegen die jetzige Parteivorsitzende Janine Wissler. Sie war zu dem Zeitpunkt der Taten Fraktionsvorsitzende im hessischen Landtag. Sie soll von den Taten zeitnah erfahren haben und versucht haben, diese herunterzuspielen. In ihrem Statement zu den Vorfällen beschreibt sie, dass sie davon erst später erfahren habe und, laut ihrer Darstellung, dies direkt an eine Vertrauensgruppe weitergeleitet haben soll.
Ob diese Aussagen stimmen oder nicht, muss selbstverständlich sofort aufgeklärt werden. Die Täter sind immer noch aktiv und Janine Wissler ist, selbst wenn die Anschuldigungen an sie stimmen sollten, nur sekundär beteiligt. Dass sich nun die Rücktrittsforderungen an sie und nicht die Täter richten, hat System. Es scheint, dass Frauen in der Politik, insbesondere in Ämtern, immer fehlerlos sein müssen. Wenn Männer in ähnlichen Machtpositionen in irgendeinerweise an übergriffigem Verhalten beteiligt sind, bekommt man das immer nur hinter vorgehaltener Hand mit. Das beginnt auf den untersten Ebenen. Politik ist immer noch ein Spiel für Männer. Ein Ort, der nur für sie zugänglich sein soll und in dem es Frauen massiv schwerer gemacht wird. Egal ob in Parlamenten oder in aktivistischen Gruppen.
Überrascht haben mich diese Berichte allerdings nicht. Sexualisierte Gewalt und Übergriffigkeit gibt es überall, nicht nur in Hessen, nicht nur in Bayern. Überall, wo wir Frauen am öffentlichen Leben teilnehmen. Wir müssen an jedem Ort vorsichtig sein, können uns immer nur begrenzt fallen lassen. Auch progressive politische Orte, wie die Linkspartei es versucht zu sein, sind da keine Ausnahmen. Es gibt kein „bei uns doch nicht“. Sexualisierte Gewalt ist kein Problem der anderen, der Reaktionären. Auch in Linkspartei, Grüne Jugend, Migrantifa und so weiter. Auch diese Orte sind Orte, an denen das Patriarchat mit politischen Macht- und Einflussstrukturen zusammenkommt, Orte, die sich nicht aus den sie umspannenden Systemen entreißen können, sind Orte, in denen diese Kultur der Angst herrscht. Denn diese Systeme begünstigen Fälle wie die in Hessen.
Wir als Progressive, als Menschen, die für eine gerechtere Welt kämpfen, müssen versuchen diesen Systemen entgegenzuarbeiten und nicht einfach resigniert mit den Schultern zu zucken. Jetzt heißt es, aus den Vorfällen zu lernen und entsprechende Strukturen aufzubauen. Es braucht konkrete Ansprechpersonen, die genug Einfluss und Umsetzungsmacht haben, Täter*innen zur Verantwortung zu ziehen. Gleichzeitig müssen wir ein Bewusstsein für das Problem schaffen. Viele progressive Männer leben immer noch in der Annahme, dass sie ja „einer von den Guten“ sind. Sie sehen die Grenzüberschreitung, das Brechen von Konsens (wenn sie überhaupt wissen, dass es Konsens ist) nicht. Das muss sich ändern! Gleichzeitig müssen wir die Kultur der Angst und die Kultur des Flüsterns brechen.
Von Beginn an werden Täter immer nur hinter vorgehaltener Hand genannt. Man flüstert neuen Aktvist*innen zu, „Pass mal lieber bei XY auf“ oder „Ah ja, YX mal wieder. Ja, der hat mir auch schon mal seine Hand aufs Knie gelegt“ etc. Die meisten Frauen in politischen Strukturen haben solche Geschichten parat. Oft auch über die, die von sich erzählen, dass sie zu „den Guten“ gehören. Zu hören bekommt man sie erst nach einigen Bier und besonders erst, wenn man etwas unter sich ist. Öffentlich genannt werden nur die wenigsten. Es ist eine Kultur des Flüsterns.
Dass Vorfälle sexueller Gewalt und Übergriffigkeit ans Licht kommen ist gut und richtig. Wir müssen endlich aufhören zu flüstern. Täter*innen müssen offen benannt werden können. Sonst werden wir als Gesellschaft für immer in dieser Kultur des Flüsterns verharren müssen. Tätern*innen werden für immer weitermachen, werden sich und andere Täter*innen schützen können. Auch, dass jetzt nicht von innerhalb von Solid, SDS und Partei auf die Täter Druck gemacht wird, stattdessen auf Janine Wissler gefeuert wird, ist Teil dieser Kultur.
[1] https://www.die-linke.de/start/presse/detail/wissler-stellungnahme-zur-berichterstattung-des-spiegel/