Der Hauptfeind in der eigenen Hochschule?

Der Hauptfeind in der eigenen Hochschule?

Die neue Relevanz von Zivilklauseln in Zeiten zunehmender Militarisierung berichten Tristan und Felix.

“Unsere Waffen seien Waffen des Geistes, nicht Panzer und Geschosse. Was für eine Welt könnten wir bauen, wenn wir die Kräfte, die ein Krieg entfesselt, für den Aufbau einsetzten.”

Albert Einstein, 1932

„Der Frieden ist vorbei!“ Mittlerweile stimmt dem zumindest auch eine breite Öffentlichkeit zu, die sich zuvor nicht an Angriffen des NATO-Partners Türkei auf die befreiten kurdischen Gebiete Rojava oder den mit deutschen Waffen geführten Krieg im Jemen gestört hat. Während aber Menschen überall auf der Welt auf die Straße gehen, um für Frieden zu demonstrieren, stellt die Bundesregierung mit ihren 100.000.000.000 € die Weichen für ein neues Jahrhundert der kriegerischen Auseinandersetzungen.

Hier zeigt sich die Wahrheit von Einsteins Worten: Mit diesem Betrag ließe sich neben dem Abbau des gesamten Sanierungsstaus deutscher Hochschulen (60 Mrd. €) noch der Etat des Bundesministeriums für Bildung und Forschung verdreifachen (der war 2020 noch bei 18,3 Mrd. €). Statt in medizinische Forschung zu investieren oder in die Ausbildung dringend benötigten Lehrpersonals zu investieren, wird das Geld in die Militarisierung der BRD gesteckt. Neben der wirtschaftlichen Führungsrolle in der europäischen Union, will die Bundesregierung nun auch die militärische übernehmen, ohne über die historische Bedeutung der Wiederauferstehung Deutschlands als Militärnation auch nur einen kritischen Gedanken zu verlieren.

Jetzt gerade sollte die Forderung nach Zivilklauseln an deutschen Hochschulen mit neuer Vehemenz aufgegriffen werden. In Zeiten militaristischer Mobilmachung muss die Universität ihrer avantgardistischen Verantwortung gerecht werden und zu einer antimilitaristischen Forschung mit dem Ziel der Friedens- und Fortschrittswahrung stehen. Das haben Studierenden (und auch Lehrenden) schon seit den 80er Jahren immer wieder in zahllosen hochschulpolitischen Debatten gefordert. 

Eine Bewegung mit Geschichte

Die Selbstverpflichtung zur ausschließlich zivilen und friedlichen Forschung einer Universität oder Hochschule ist seit der Zeit nach dem Hitler-Faschismus mit einer Vielzahl an Kämpfen in der ganzen BRD verbunden gewesen. Besonders in den 2000er Jahren hat die Zivilklauselbewegung Fahrt aufgenommen und bis 2019 über 60 Universitäten und Hochschulen auf zivile Forschung eingeschworen. Dennoch ist dies leider nach wie vor eine Minderheit.

Als internationales Vorbild der ausschließlich zivilen Forschung kann Japan gelten. Dort wurde bereits 1950 durch den Wissenschaftsrat die Verpflichtung der Hochschulen zur zivilen Forschung beschlossen und seither weitgehend umgesetzt. Forschung für Frieden und zum Wohle der Menschheit sind dort seitdem eine Selbstverständlichkeit. Die Universitäten sind in Japan dadurch Quelle der Friedensbewegung geworden. Der ehemalige Premierminister Shinzō Abe hat sich mit seiner Regierung jedoch wiederholt an der Remilitarisierung versucht, was mit Protesten bekämpft wurde – so ist die fortwährend zivile Ausrichtung nicht etwa Resultat einer wohlwollenden Regierung, sondern einer kämpfenden Bewegung und einer kritischen Wissenschaft. Mit dem neuen Aufflammen des Ukrainekriegs wird auch die Remilitarisierung an den deutschen Universitäten eine Hochzeit erleben. Viele der errungenen Erfolge werden wieder zunichte gemacht und laufende Bemühungen vereitelt.

Weder frei noch unabhängig

Von den Gegner*innen der Zivilklausel werden hierbei auch gerne alte Narrative herangezogen. So bediente der Leiter des „Instituts für Sicherheitspolitik“ der Uni Kiel fleißig der Hufeisentheorie und setzte Aktivist*innen parallel mit Nazis gleich – die Forderung nach einer Zivilklausel erinnere ihn „fatal an Zeiten, in denen Universitäten in Deutschland nicht mit Menschen oder Institutionen kooperieren durften, weil diese jüdisch waren“ – und warf den Fürsprecher*innen der Zivilklausel vor, „linksextrem“ zu sein. Es zeigt: Die Forderung nach Frieden bleibt somit als “extremistisch” gebrandmarkt.

An der liberalen Argumentation, jedwede Einschränkung der Forschung sei ein Angriff auf eine freie und unabhängige Wissenschaft, ist derweil wenig Haltbares. Die Militärforschung ist weder frei, noch ist sie unabhängig. Hinter ihr stehen starke wirtschaftliche Interessen und die Universitäten sind durch ihr neoliberales Finanzierungsmodell stark auf Drittmittel angewiesen. Das beste Beispiel machen die amerikanischen Hochschulen aus, deren Finanzierung mitunter stark auf das Pentagon angewiesen ist. Das Verteidigungsministerium der Vereinigten Staaten rangiert mittlerweile als drittgrößter Spender in der Wissenschaftsförderung. In einem Staat, in dem Hochschulen nach Managementkriterien umgestaltet werden, um wirtschaftlich erfolgreich zu forschen, stellt die Stärkung des Militärs um 100 Mrd. € eine erhebliche Einflussnahme in der schlimmsten Form dar: Die Abkehr von Sozialstaat, Gesundheit und Bildung zugunsten einer militärischen Renaissance. Freie Forschung muss frei von wirtschaftlichen Interessen sein.

Zudem muss Wissenschaft, um nicht korrumpierbar zu werden, auch transparent sein. Doch die mit Rüstungsunternehmen und Militärinstitutionen geschlossenen Vereinbarungen verlangen strikte Geheimhaltung. Diese Intransparenz macht eine demokratische Überprüfung der Forschung unmöglich.

Wie bremsen wir diese Spirale aus?

Durch die in Folge von Bologna nachlassenden Mobilisierungspotentiale an den Universitäten stellt sich die Frage, wo Bemühungen richtig gesetzt sind und wo gegen Windmühlen gekämpft wird. Sollte jede Hochschule und Universitätsstadt den Kampf um die Zivilklausel für sich austragen, oder ist es zielführender, auf Länderebenen gemeinsam vorzugehen? Auf dieser Ebene sind Fortschritte womöglich schwerer zu erzielen und wenn sie doch gezeitigt werden, so ist es mit Schlupflöchern und Sonderklauseln. Aber auch auf Länderebene lässt sich auf eine (wenn auch beschränkte) Historie von Erfolgen zurückblicken. Erfolge, die jedoch nicht immer von Dauer waren. So hat erst 2019 die Landesregierung von NRW den Passus „Die Hochschulen entwickeln ihren Beitrag zu einer nachhaltigen, friedlichen und demokratischen Welt. Sie sind friedlichen Zielen verpflichtet und kommen ihrer besonderen Verantwortung für eine nachhaltige Entwicklung nach innen und außen nach.“ aus ihrem Hochschulgesetz gestrichen. Scheinbar steht eine nachhaltige, friedliche und demokratische Welt in einem diametralen Widerspruch zu den Zielen von CDU und FDP.

Klar ist dennoch: Antimilitarist*innen im universitären Kontext müssen sich gerade jetzt wieder dieser Debatte neu verpflichten, um Perspektiven und Strategien zu entwickeln, die dem Ausverkauf der Wissenschaft für kriegerische Interessen entgegenwirken. Auch an den Universitäten kann die Kriegs- und Aufrüstungsspirale ausgebremst und gebrochen werden.

Um mit dem Gründungsmotto der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel aus dem Jahre 1665 zu schließen: Pax optima rerum – “Der Frieden ist das höchste der Güter.


Dieser Beitrag erschien zuerst in gekürzter Form in unserer Semesterausgabe – critica Nr. 28

Felix studiert Soziale Arbeit an der DHBW Stuttgart. Als Teil des SDS ist er dort gegen die Kooperation seiner Hochschule mit der Rüstungsindustrie aktiv.

Tristan studiert Gesellschaft und Kulturen der Moderne an der JLU Gießen, wo er für den Asta als Referent für Hochschulpolitik unterwegs ist.