19 Aug Pick up yourself! – Warum Andrew Tate und die Manosphere nicht halten können was sie versprechen
Pick up yourself!
Menschen wie Andrew Tate versprechen jungen Männern Erfolg mit Geld und Sex. Sie bieten ihnen jedoch nur eine scheinbare Lösung. Wichtig ist es die unterliegenden Probleme anzugehen.
In meiner Timeline dominieren in letzter Zeit zwei Dinge:
Erstens ein Screenshot aus einem Artikel des Magazins „Psychology Today“. Dieser gibt als eine seiner Kernaussagen an, dass hetero Männer und männliche Personen durch die Verbreitung von gesunden Standards in Beziehungen weniger Dates bekommen. Der Titel des Artikels lautet „The Rise of Lonely, Single Men“.
Zweitens habe ich einige Tage zuvor in Instagram-Stories meiner feministischen Freundinnen einen Post des Influencers Matt Bernstein gesehen. Darin wird die “Internet-Persönlichkeit“ Andrew Tate und seine Positionen vorgestellt. Dieser verbreitet im Netz seine Ansicht, dass 18-Jährige Mädchen attraktiver wirken als junge Frauen, da sie noch kaum Geschlechtsverkehr gehabt hätten; dass Frauen Eigentum ihrer Männer wären oder besser nicht Auto fahren sollten. Damit reiht er sich in eine Reihe von misogynen Influencern und Podcasts ein, die vor allem über Clips auf TikTok junge Männer ansprechen: der so genannten „Manosphere“ – dieselbe Gruppe heterosexueller Männern, die glaubt, durch die gehobenen Standards von Frauen weniger Dates zu bekommen. Diese Männer lockt die Manosphere mit dem Versprechen, dass diese ihnen beibringen kann, wie man(n) beliebig viele Sexpartnerinnen und – auch das sollte nicht unerwähnt bleiben – finanziellen Erfolg erzielt. Voraussetzung dafür ist das richtige Mindset.
Dieses Phänomen ist allerdings nicht erst mit TikTok entstanden. Ich erinnere mich noch daran, wie mir – einem tragisch verliebten, enorm schüchternen, männlichen Teenie – ein guter Freund ein Buch in die Hand drückte. „Vielleicht hilft dir das ja“, meinte er. Empfohlen wurde es ihm in diversen „Pick-up“-Foren. Der Titel des Buches lautete: „Lob des Sexismus“.
Geholfen hat es mir natürlich nicht, aber durch die Lektüre kommt mir die Rhetorik in den TikToks aus der Manosphere seltsam vertraut vor. Seitdem das Internet zu einem sozialen Ort wurde, haben sich Männer zusammengefunden und versucht, über verschiedene Strategien Frauen zu Sex zu überreden. Sie reden sich ein, dass der Feminismus Frauen zu selbstsicher und zu wählerisch gemacht habe. Das würde dazu führen, dass nur noch die „besten“ Männer Frauen abbekommen würden. (Vgl. Kracher 2020, S. 44)
Sie selbst gehören natürlich nicht zu denen, die eine Frau „besitzen“. Ein Selbstbewusstsein, welches Frauen unabhängig von ihren Partnern macht, hätten sie nicht verdient, denn Frauen sind, nach den Überzeugungen der Manosphere, Männern unterstellt. Deshalb sei Misogynie absolut gerechtfertigt. Das hat sich seit „Lob des Sexismus“ nicht geändert.
Die Manosphere bietet ihre eigenen Lösungen für diese Problem. Statt sich und seine Sozialisation zu hinterfragen und sich den gehobenen Standards anzupassen, locken die Akteure in der Manosphere frustrierte, junge Männer mit dem Versprechen, dass sie sich nicht ändern müssten, dass sie nicht feministischer werden müssten – sie brauchten eben nur das richtige Mindset. Denn das dort verbreitet Verständnis von Männlichkeit ist, dass Männer stark sein müssen und keine Emotionen zeigen dürfen. Ihre Männlichkeit ist stark mit materiellem und sozialem Erfolg verbunden. In der Manosphere wird immer wieder suggeriert, dass scheinbar jeder monetären Erfolg mit irgendwelchen undurchsichtigen – nicht selten den eigenen – Geschäftsmodellen, haben kann. Weiterhin wird immer wieder betont, dass Männer sich nicht emotional öffnen müssen, was ja ein gesundes Merkmal in Beziehungen wäre, sondern „männlicher“, also: physisch stärker, egoistischer und dominanter werden müssen.
Zugegeben klingt das ziemlich abstrus. Leider kommt es tatsächlich vor, dass Männer sich von diesen Pick-Up-Menschen angesprochen fühlen und sich aufgrund der Spirale aus Misogynie in das Schneeballsystembegeben. Es liegt wohl daran, dass sie sich selbst nicht zutrauen, beim Dating eine Chance zu haben. Dieser Eindruck stammt einerseits aus dem Anspruch, keine Gefühle zeigen zudürfen, aber auch aus einer Vereinzelung und Entfremdung, die der Kapitalismus in hohem Maße fördert. Die meisten jungen Menschen wohnen in WohnGemeinschaften, oft aber auch allein. Sie fahren meist allein im Auto zur Uni oder zum Job und dank Lieferdiensten müssen sie das Haus nicht mal verlassen, um Lebensmittel zu besorgen. All das führt dazu, dass Menschen im Alltag weniger sozialen Kontakt haben. Sozialer Kontakt ist wie ein Muskel. Wenn man ihn trainiert, wird es leichter, ihn zu benutzen. Und was ist Dating anderes als sozialer Kontakt?
Auch am Arbeitsplatz haben wir immer weniger menschlichen Kontakt. Manchmal wird es sogar von Managern nicht gern gesehen, wenn wir uns auf Arbeit mit unseren Kund*innen oder Kolleg*innen unterhalten. Auch das führt dazu, dass wir immer weniger sozial interagieren. Besonders da, wo wir die meiste unserer wachen Zeit verbringen, unserem Job.
Doch auch die Corona-Pandemie trägt zum aktuellen Erfolg der Manosphere bei. Denn die Lockdown-Maßnahmen und das weit verbreitete Homeoffice und Homestudium hat diese Faktoren noch verstärkt. Viele junge Menschen, die 2020 oder später mit dem Studium begonnen haben, kannten die längste Zeit ihre Kommiliton*innen nur von Zoomkacheln. Das, was das Studium eigentlich ausmacht – gemeinsames Mittagessen in der Mensa, studentisches Engagement und WG-Partys – waren nicht möglich.
Der Erfolg von misogynen Influencern wie Tate, der aus seiner frauenverachtenden Weltanschauung keinen Hehl macht, wird also von einer Gesellschaftsordnung, die unsere Vereinzelung stetig vorantreibt, nur befeuert. Junge hetero Männer, die aufgrund sexuellem Frust anfällig für extremen Frauenhass im Internet sind, werden durch fehlende soziale Kontakte in der echten Welt immer seltener aufgefangen oder aus der Spirale der Manosphere herausgezogen. Solange der Kapitalismus existiert, wird die Konkurrenz untereinander und die Entfremdung zwischen Menschen zunehmen. Wenn Männer ein erfülltes Sozial- und Liebesleben führen wollen, müssen sie sich für die Überwindung des Kapitalismus und des Patriarchats einsetzen. Andrew Tate und die Manosphere bieten die schlechtmöglichste Lösung.
Literatur:
Kracher, V. Incels: Geschichte, Sprache und Ideologie eines Online-Kults. Mainz: Ventil Verlag UG (haftungsbeschränkt) & Co. KG.