Feminism in transition – Ideen für einen materialistischen Transfeminismus

Feminism in transition

Kämpfe für trans Personen berücksichtigen oft den Klassenkampf nicht, während Materialist*innen oft die Anliegen trans Personen missachten. Die Soziale Reproduktionstheorie kann als Brücke dienen.

Sieht man die aktuelle Diskussion um das Selbstbestimmungsgesetz oder den verschobenen Vortrag von Marie-Luise Vollbrecht an, kann es als Marxistin schnell unbehaglich werden. Auf der einen Seite stehen trans-kritische oder gar -feindliche Personen, die je nach politischer Ästhetik trans Personen für eine Gefahr für Frauen, den Feminismus oder dem Westen insgesamt halten. Auf der anderen Seite ist der Diskurs häufig, auch im linken Spektrum, von Aktivist*innen dominiert, die vom Klassenkampf nichts zu wissen scheinen, und die sich mit den kleinsten Erfolgen zufrieden geben und sich mit Anerkennungspolitik abspeisen lassen. Ihre Forderungen gehen oft nichtdarüber hinaus, die reine Existenz von trans Personen zu verteidigen.

Materialistische Ästhetik ändert leider wenig am fehlenden Inhalt

Dabei will ich nicht sagen, dass Anerkennungspolitik per se etwas Schlechtes ist. Anerkennungspolitik kann Alltägliches erleichtern und ein angepasstes Leben für diejenigen ermöglichen, die es wollen. Beispielsweise mit den neuen Selbstbestimmungsgesetz. Damit sollen trans Personen ohne den zeit- und kostenintensiven Prozess, der teilweise auch mit sehr übergriffigen Gutachter*innen-Terminen einhergehen kann, ihren Namen und Personenstand ändern können. Aber auch wenn dieses Gesetz gut und wichtig für trans Personen ist, reicht eine solche rechtliche Gleichstellung nicht, um tatsächliche Lebensrealitäten nachhaltig zu verbessern. Rechtlich sind Frauen Männer gleichgestellt, allerdings täuscht die reine formale Gleichstellung über die tatsächlichen patriarchalen Verhältnisse hinweg. Allein der Gender-Pay-Gap ist Beweis genug.

Wir sehen also, dass eine rein rechtliche Gleichstellung für eine tatsächliche Gleichheit nicht ausreicht. Nur mit einer materialistischen Perspektive, einer Perspektive, die Arbeitskraft und damit auch die lohnabhängigen Menschen in den Vordergrund stellt, kann tatsächliche Gleichheit erreicht werden.

Producing while trans

Gerade wenn es darum geht, ihre Arbeitskraft zu verkaufen, sind trans Personen besonders verletzlich. Das liegt auch daran, dass sie häufig in Berufen der Sorgearbeit beschäftigt sind. Darüber hinaus müssen sie weitere Hindernisse auf dem Weg zur Existenzsicherung überspringen: In einer Studie in Großbritannien gab ein Drittel der befragten Arbeitgeber*innen an, dass sie keine trans Personen einstellen würden (Siehe Faye, The Transgender Issue, S. 116). Dadurch müssen trans Personen häufig verstecken, dass sie trans sind. In einer Studie der britischen Interessenvertretung für LGBT-Rechte Stonewall gab die Hälfte der Befragten an, dies zu tun. Das heißt, dass trans Personen nicht einfach wie alle anderen Personen sich einen Job suchen können. Sie müssen, da sie in den meisten Jobs nicht eingestellt werden, wenn sie offen als trans Person leben, in den Niedriglohnsektor gehen und sind somit immer nur knapp über der Existenzgrenze.

Reproducing while trans

Aber nicht nur in der Produktion sind trans Personen verletzlich: Trans Personen sind auch vor und nach ihrer Arbeitszeit auf den Sektor der sozialen Reproduktion stark angewiesen. Soziale Reproduktion beschreibt die Bereiche, in denen öffentlich Sorgearbeit geleistet wird: beispielsweise Krankenhäuser und Arztpraxen, aber auch Schulen und Kindergärten. Diese Bereiche sind nicht nur für die Menschen wichtig, sondern auch für die kapitalistische Produktionsweise, damit Arbeiter*innen fähig sind, tagtäglich mit möglichst voller Kraft auf Arbeit zu gehen, aber auch erstmal überhaupt in der Lage sind, zu arbeiten.

Diese Zusammenhänge werden durch die Soziale Reproduktionstheorie (SRT) erfasst, die in den 1980er Jahren als Erweiterung marxistischer Theorie entstand.

Lise Vogel analysierte das Zusammenspiel aus Patriarchat und Kapitalismus wie folgt: Zunächst stellt sie fest, dass bei schwangeren Personen die Arbeitskraft sinkt, da der schwangere Körper nun 2 Organismen versorgen muss. Dadurch benötigen sie Personen, die stärker in die Produktion (also arbeiten) gehen muss, damit dieser Ausfall an Lohn gedeckt werden kann. Das führt dazu, dass die gebärfähige Person sich um die Reproduktion kümmert, also die Wiederherstellung der Arbeitskraft, und die andere sorgt für die finanziellen Mittel, um diese zu gewährleisten.
Diese Zweiteilung strahlt laut Vogel über die Zeit der Schwangerschaft hinaus: Auch nach dem Ende der Schwangerschaft übernimmt die gebärfähige Person die reproduktive Arbeit. Das hat sich dann durch gesellschaftliche Erzählungen verselbstständigt, sodass wir uns gegenseitig solche Sachen sagen wie, dass „Frauen nun mal geeigneter für Sorgearbeit sind“. Das führt dazu, dass bereits kleine Mädchen im Haushalt mithelfen, während ihre Brüder draußen spielen. Aber eben auch, dass wir in gemischten WGs mehr Sorgearbeit übernehmen als männliche Mitbewohner, obwohl hier die Gebärfähigkeit keine Rolle spielt. Und das ist nicht nur im Privaten so: Auch im Bereich der sozialen Reproduktion arbeiten vor allem Frauen, denn durch diese kulturellen Narrative hat sich die Verteilung von privater Sorgearbeit auch in die Öffentlichkeit übersetzt.

Doppelte Verletzlichkeit

Trans Personen ist der Bereich der Sozialen Reproduktion doppelt verletzlich. Einerseits sind sie besonders häufig in diesem Bereich als Lohnarbeiter*innen beschäftigt oder durch Bildung im System der Sozialen Reproduktion. Aber andererseits sind insbesondere trans Personen, die sich für eine medizinische Transition beziehungsweise einzelne Schritte davon entscheiden, besonders stark von diesem Bereich für ihre Transition abhängig. Als Beschäftigten in der sozialen Reproduktion sind trans Personen von den harten Kürzungen des Sektors betroffen, wie seine anderen, meist weiblichen, Beschäftigten. Andererseits müssen sie für ihre eigene Reproduktion hohe Hürden überwinden.

Dies wirkt sich auf verschiedenen Weisen aus. Für die medizinische Transition sind zum Beispiel sehr viele Gutachten und Stellungnahmen von Psychotherapeut*innen und Psycholog*innen notwendig. Allein für den Beginn einer Hormonersatztherapie, also der Behandlung mit „gegengeschlechtlichen“ Hormonen benötigt man ein Gutachten von der behandelnden Psychotherapeut*in. Dafür braucht man erstmal einen Platz, dies nimmt laut Daten der Kammer der Psychotherapeut*innen bis zu 9 Monate in Anspruch – infolge der Corona-Pandemie sogar noch länger.

Dies wirkt sich auf verschiedenen Weisen aus. Für die medizinische Transition sind zum Beispiel sehr viele Gutachten und Stellungnahmen von Psychotherapeut*innen und Psycholog*innen notwendig. Allein für den Beginn einer Hormonersatztherapie, also der Behandlung mit „gegengeschlechtlichen“ Hormonen benötigt man ein Gutachten von der behandelnden Psychotherapeut*in. Dafür braucht man erstmal einen Platz, dies nimmt laut Daten der Kammer der Psychotherapeut*innen bis zu 9 Monate in Anspruch – infolge der Corona-Pandemie sogar noch länger.
Doch es müssen, laut dem Medizinischen Dienst der Krankenkassen (MDK), zuerst „alle psychotherapeutischen Mittel ausgereizt werden“ bevor medizinische Maßnahmen erst ergriffen werden können. Wegen dieser äußerst vagen Formulierung haben die behandelnden Psychotherapeut*innen sehr viel Spielraum. Dies kann einerseits bedeuten, dass trans Personen psychologisch stabilisiert werden, das heißt Begleiterkrankungen wie Depression behandelt werden, bevor weitere Maßnahmen ergriffen werden können. Aber es kann auch heißen, dass Therapeut*innen versuchen, das trans-Sein zu „heilen“ oder die Patient*innen anhand von überholten Erklärungsmodellen zu behandeln. Diese sind beispielsweise die „Rapid Onset Gender Dysphoria“ (die These, dass Menschen durch Gruppenzwang trans werden) oder „Autogynophilie“ (die uralte These, dass trans Frauen vor allem transitionieren, weil sie die Vorstellung von sich selbst als Frau sexuell erregt, wird gegenwärtig noch diskutiert). Die fehlende Sicherheit, also nach aktuellem wissenschaftlichem Standard behandelt zu werden, sowie die Notwendigkeit der Gutachten für Weiterbehandlung bedeutet, dass trans Personen dem Gutdünken von Ärzt*innen und Therapeut*innen komplett ausgeliefert sind.

Doch endet nicht einmal die Verletzlichkeit trans Personen in der Medizin bei Transitionsbehandlungen: Selbst bei Routinebesuchen ist eine adäquate Versorgung von trans Personen nicht selbstverständlich. Da vor einer offiziellen Geschlechtsangleichung meist die Normwerte des biologischen Geschlechts vor der Transition genutzt werden, kann es zu Fehldiagnosen und falschen Behandlungen kommen. Das heißt, dass die Wiederherstellung der Gesundheit und damit die Arbeitskraft von trans Personen nicht gewährleistet werden kann.

Trans Kämpfe sind Klassenkämpfe!

Wir sehen also, dass sowohl Produktion als auch Reproduktion für trans Menschen versperrt oder mit großen Hürden versehen sind. Produktion und (soziale) Reproduktion sind Schlüsselstellen einer Gesellschaft. In ihnen wird die Ware ‚Arbeitskraft‘ verbraucht und wieder regeneriert, womit erst alle andere Waren hergestellt werden können, die ein Mensch und eine Gesellschaft zum Überleben, zum Spaß, oder sonst irgendwie brauchen. Wenn diese Stellen für Menschen nicht ohne Barrieren zugänglich sind, sind sie im Grunde auf sich allein gestellt.

Trans Personen können, wenn sie keine Produktionsmittel besitzen, nicht einmal die einzige Ware,
die sie besitzen, also ihre Arbeitskraft, verkaufen. Sie sind als Arbeiter*innen vor der einzigen Quelle unserer kollektiven Macht ausgeschlossen, und somit auch uns als Klasse verloren. Das macht trans Kämpfe immer auch zu Klassenkämpfen!

Quellen:

1: Faye, S. (2021). The Transgender Issue (1. Aufl.). allen lane. S. 116

2: Stonewall UK. (2017, September). LGBT in Britain – Hate Crime and Discrimination. stonewall.org.uk. Abgerufen am 20. Juni 2022, von https://www.stonewall.org.uk/system/files/lgbt_in_britain_hate_crime.pdf

3: Gegenfurtner, A. & Gebhardt, M. (2017, 16. Oktober). Sexuality education including lesbian, gay, bisexual, and transgender (LGBT) issues in schools. Elsevier. Abgerufen am 21. Juni 2022, von https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S1747938X17300386?via%3Dihub

4: Bundespsychotherapeutenkammer. (2021, 29. März). BPtK-Auswertung: Monatelange Wartezeiten bei Psychotherapeut*innen. bptk.de. Abgerufen am 22. Juni 2022, von https://www.bptk.de/bptk-auswertung-monatelange-wartezeiten-bei-psychotherapeutinnen/

5: Medizinischer Dienst des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen e.V. (MDS). (2020). Begutachtungsanleitung Richtlinie des GKV-Spitzenverbandes nach §282 SGB V. Medizinischer Dienst des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen e.V. (MDS).