Die Faschisten sind zurück – oder waren sie nie weg?

Die Faschisten sind zurück – oder waren sie nie weg?

In Italien ist das erste Mal seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges eine faschistische Regierung an die Macht gekommen. Wie es dazu kommen konnte und was das bedeutet beschreibt unsere Autorin Ronja entlang eines Gespräches mit der Politikwissenschaftlerin Dr. Maike Heber

Es ist passiert. Die nächste Legislaturperiode Italiens wird von der Faschistin Giorgia Meloni und ihrer Partei Fratelli d’Italia (Brüder Italiens) angeführt.

Am vergangenen Sonntag, den 25. September, hat die italienische Bevölkerung ein neues Parlament gewählt und nun bekommt das nächste westeuropäische Land innerhalb von zwei Wochen eine rechtsnationale Regierung. Den ausgezählten Stimmen zufolge liegt das Bündnis, bestehend aus Matteo Salvinis rechtskonservativer Lega, den Konservativen, Forza Italia, um Silvio Berlusconi und den postfaschistischen Fratelli d’Italia angeführt von Giorgia Meloni bei circa 44 Prozent und damit bei einer absoluten Mehrheit der Parlamentssitze. Glückwünsche kamen direkt von der führenden Rechten Europas: Le Pen, Orbán, die AfD sowie die spanische Partei Vox äußerten sich allesamt begeistert zu diesem Wahlsieg.

Gott, Vaterland und die christliche Familie

Bei der aufstrebenden Fratelli d’Italia (FdI) handelt es sich um eine rechtsnationale Partei, deren Vorsitz Giorgia Meloni seit 2017 innehat. Die Parteimaxime, auf die sie sich in vielen politischen Forderungen stützen, sind Gott, Vaterland und die christliche Familie. Daraus lassen sich viele klassische nationalkonservative Standpunkte herausziehen: Heterosexuelle Ehen mit patriarchalen Strukturen gelten als Norm, die Devise heißt stehts: Italien und seine Bürger*innen zuerst. So soll einerseits ein außenpolitisches Selbstbewusstsein bezüglich der EU und ihrer Sparpolitik praktiziert, gleichzeitig soll konsequent gegen Geflüchtete, vor allem afrikanische und muslimische, vorgegangen werden. Migrantische Personen und Geflüchtete werden pauschal kriminalisiert und mit populistischen Versprechen, wie dem Schließen von Häfen und dem landesweiten Ausbau von Gefängnissen, Wahlkampf gemacht. Doch damit nicht genug. Vom Faschismus wird sich nie distanziert, bei Parteiveranstaltungen wird immer wieder der verbotene „Römische Gruß/Hitlergruß“ gezeigt, darüber hinaus treten Parteimitglieder und -berater mit offen faschistischer Symbolik, wie zum Beispiel einem Hakenkreuz, auf. Das Parteilogo der FdI ziert eine rot-weiß-grüne Flamme, die bereits Symbol der faschistischen Vorgängerpartei Movimento sociale italiano (MSI) war. Damit reiht sich die FdI in die postfaschistische Tradition seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs ein.

Meloni selbst trat mit 15 Jahren in die MSI ein und ist bis zur Gründung der FdI Teil diverser rechtskonservativen Parteien, wird unter Berlusconi sogar jüngste Ministerin Italiens. Bereits 1996 bezeichnet Meloni Benito Mussolini im französischen Fernsehen als einen »guten Politiker«, der alles in seiner Macht Stehende für Italien tat.

Regierbarkeit auf Kosten der Repräsentation

Meloni und Fratelli d’Italia erfreuten sich die vergangenen Monate zunehmend an Beliebtheit, während die Regierung der nationalen Einheit unter Mario Draghi immer öfter ein Schauplatz von Einzelkämpfen und Selbstprofilierungsversuchen wurde. Die Regierung Draghi bestehend aus Movimento Cinque Stelle, Partito Democratico (PD), Lega und Forza Italia, und weiteren Kleinparteien wurde im Februar 2021 gebildet, um die Pandemiebekämpfung zu verbessern und insbesondere die Mittel aus dem EU-Wiederaufbaufonds bestmöglich einzusetzen. Knapp anderthalb Jahre nach Amtsantritt kündigte Mario Draghi seinen Rücktritt an, nachdem es zu wiederholten Streitigkeiten zwischen den beteiligten Parteien kam. Profitieren konnte aus dieser Regierungszeit lediglich Fratelli d’Italia, die als einzige Oppositionspartei konsequent ihrer Linie treu bleiben konnte und sich nicht an den Machtspielchen der führenden Parteien beteiligten. Ihre Umfragewerte stiegen rasant und schon im Sommer schien die Wahl im Herbst zu ihren Gunsten entschieden zu sein. Vom Wahlsystem Italiens begünstigt fuhr sie am Sonntag den erwarteten Erfolg ein: der Mix aus Verhältnis- und Mehrheitswahlrecht sorgt für eine höhere Repräsentation im Parlament als es der prozentuale Stimmenanteil nahelegt. So werden in der Abgeordnetenkammer Lega und Partito Democratico voraussichtlich die gleiche Anzahl an Sitzen bekommen, wobei die Lega nur 9 Prozent der Wähler*innenstimmen bekam, während die PD 19 Prozent erhielt. Dies führt dazu, dass vor der Wahl Koalitionen geschlossen und die Direktkandidat*innen der Wahlkreise unter sich aufgeteilt werden. Die Regierbarkeit wird damit auf Kosten der Repräsentation erreicht. Giorgia Meloni und der FdI gelang es im Vorfeld, ihre Mitstreiter und Konkurrenten Salvini und Berlusconi in einer Koalition zu vereinen und damit ihre Regierungssicherheit herzustellen.

Die Opposition ist, auch wegen der jetzt wirksam gewordenen Verkleinerung des Parlaments, deutlich geschwächt.

Schaut man auf die Wahlbeteiligung des Landes am Sonntag fällt außerdem auf, dass nur 64 Prozent der italienischen Bürger*innen an die Wahlurnen gegangen sind, so wenige wie noch nie zuvor. Im Süden des Landes sind es sogar knapp unter 40 Prozent. Ein nicht zu vernachlässigender Grund hierfür ist die Notwendigkeit, an seine Meldeadresse zurückzukehren, um wählen zu können. Briefwahl existiert lediglich für Italiener*innen wohnhaft im Ausland. Viele junge Erwachsene, Studierende oder Arbeitende, besitzen als Meldeadresse noch ihren Geburtsort, sind allerdings aufgrund der wirtschaftlichen Lage dazu gezwungen, ihren Wohnort zu verlassen und von der Peripherie in die Stadt und aus dem Süden in den Norden zu ziehen. Die Mehrheit von ihnen hat es sich schlichtweg nicht leisten können, für einen Wahlsonntag durch das halbe Land zu reisen. Das sorgt für eine drastische Unterrepräsentation junger Menschen im Wahlergebnis.

Was passiert mit der Zukunft?

Doch wie geht es nun weiter für dieses Land, das eine Staatsverschuldung des 150-fachen seines Bruttoinlandsproduktes aufweist? Was passiert mit der Zukunft des Landes, dessen Jugendarbeitslosigkeit bei 23 Prozent liegt (vgl. Deutschland 5 Prozent)? Was wird mit Menschen geschehen, die nicht dem »Gott, Vaterland, Familie«-Bild entsprechen?

Während des Wahlkampfes hielt Meloni sich zu Migration und europolitischen Fragen stets bedeckt, sodass sie zwar wirksam für ihre Wähler*innenschaft Stimmung verbreitete, jedoch mit konkreten Antworten knauserte. Mit populistischen und rassistischen Parolen wollte sie keinesfalls von ihrem Konkurrenten Salvini übertrumpft werden, welcher seine politische Hochzeit 2018 mit dem „Kampf gegen die Flüchtlinge“ hatte, nun allerdings neben der Neofaschistin Meloni um Bedeutung ringt. Diese nutzt den Eindruck großer Teile der Bevölkerung, von der europäischen (Spar-) Politik desletzten Jahrzehnts bevormundet worden zu sein und setzt auf selbstbewusstes, außenpolitisches Auftreten. Gleichzeitig beschwichtigt sie die europäischen Eliten, dass Italien in der EU bleiben, und weiterhin seinen Teil zur Nato beitragen wird, um die Partnerländer und Finanzmärkte nicht zu provozieren. Wirtschaftspolitisch gibt sie sich unternehmerfreundlich, will Steuern senken, das italienische Bürgergeld »reddito di cittadinanza« soll abgeschafft werden, schließlich solle es um das Schaffen von Arbeitsplätzen gehen. Wie für alle rechtsnationalen Parteien, gehört es auch »zum guten Ton« von FdI gegen LGBTQI*-Rechte zu stehen, die »Gender-Ideologie« abzulehnen und explizit das »Recht auf Nicht-Abtreibung« zu stärken. Vor der Wahl hatten sie es bereits geschafft das Antidiskriminierungsgesetz Ddl-Zan, initiiert durch das sozialdemokratische Parteienspektrum, im Parlament zu boykottieren. Ob es konkrete Pläne für Gesetzesentwürfe gibt oder es bei einer Diskursverschiebung weit ins rechte Spektrum hinein »bleibt«, ist aktuell noch nicht abzusehen.

Ein neues Bündnis

Apropos, Opposition, könnte man sich jetzt fragen: Was ist eigentlich mit einer stabilen linken Opposition? Aber mit einer wählbaren, argumentativ überzeugenden linken Partei sah es lange schlecht aus. Die Menschen wurden nicht bei ihren Bedürfnissen und Problemen abgeholt. Die sozialdemokratische PD macht schon lange keine arbeiter*innenfreundliche Politik mehr und ist daher keine glaubwürdige Alternative. Eines macht jedoch Hoffnung: Vor einigen Monaten wurde ein Wahlbündnis unter dem Namen »Unione Populare« gegründet, das sich an dem französischen Äquivalent von Jean-Luc Mélenchon orientiert. Europäische Linke, wie Pablo Iglesias und Jeremy Corbyn unterstützen die Gründung. Aufgrund der früher eingetretenen Neuwahlen konnten sie aber nun nur 1,5 Prozent der Stimmen erreichen. Spannend bleibt, wie sie sich in Zukunft, vor allem bei den Europawahlen 2024 schlagen werden.

Dennoch: die Rechten erstarken in Europa immer weiter, bilden immer häufiger Regierungen. Für unsere Zukunft und ein gutes Leben für alle ist es essenziell, auf die Fragen und Sorgen der Bevölkerung eine klar ausformulierte und umsetzbare Antwort zu haben.  Wir als Linke können es uns nicht leisten, Fragen dieser Zeit unbeantwortet zu lassen.

Bildquelle: Daniele Margaroli, flickr

Ronja macht gerade ihr Erasmus in Turin und wenn sie nicht im Labor steht, versucht sie einen Durchblick in italienischer Politik zu bekommen. Zum Glück hat sie eine sehr schlaue Schwester als Expertin an ihrer Seite: Dr. Maike Heber