„The clitoris is a direct line to the matrix“ – Cyberfeminismus und die Frage nach dem Geschlecht in der Technik

„The clitoris is a direct line to the matrix“ – Cyberfeminismus und die Frage nach dem Geschlecht in der Technik

„The clitoris is a direct line to the matrix“

Die zweite Frauenbewegung beschäftigte sich intensiv mit dem Zusammenhang von Technologie und Geschlecht. Heutige Debatten über Internet und Plattformen könnten von dieser Sichtweise profitieren.

Wenn ich mein Social Media öffne, ist meine Timeline gefüllt mit feministischen oder queeren Inhalten. Auf Instagram sehe ich Memes, in denen Typen von Mackern aufgezählt werden, sowie das neueste Projekt meiner lokalen „Catcalls of…“-Gruppe, und auf TikTok erklärt mir eine Person Endometriose. Wie für die meisten Menschen ist das Smartphone mein fester Alltagsbegleiter geworden und insbesondere Soziale Medien sind für junge Menschen unumgänglich. Laut der ARD/ZDF-Onlinestudie von 2022 gaben 69% der Befragten von 16 bis 29 Jahren an, täglich Social Media-Dienste zu nutzen, weitere 18% nutzen  es mindestens wöchentlich. Auch politisch spielen Social Media-Dienste eine große Rolle. Laut dem Branchenverband Bitkom sind Soziale Medien für knapp die Hälfte der Unter-30-Jährige ein wichtiger Bestandteil der Meinungsbildung. Technikpessimist*innen meinen, wir wären mit unseren Endgeräten verwachsen; zu einer schwer trennbaren Einheit aus Mensch und Maschine geworden – einem Cyborg.

Für die Cyberfeminist*innen  der 1980er Jahre war der Cyborg eine Utopie. Während des Aufkommens des Internets haben Feminist*innen von einer neuen Welt geträumt. Donna Haraway, die Autorin des Cyborg-Manifests (1983), beschreibt, dass wir uns und unsere Geschichte immer mehr im Zusammenhang mit Maschinen und Technologie verstehen. Für sie ist der Cyborg ein Wesen in einer geschlechtslosen Welt, in der wir durch die Verschmelzung von Körpern und Technologie unsere Geschlechterzuschreibungen und deren Binarität überwinden können. Mit ihrem Manifest hat Haraway die Grundlage für den Cyberfeminismus und die Frage nach der Interaktion von Geschlecht und Technologie gelegt.

Vom Cyberfeminismus zum Netzfeminismus

Vor allem künstlerische Gruppen wie das Kollektiv VNS Matrix griffen den Cyberfeminismus auf. Sie nehmen in ihrem Text „A Cybermanifesto for the 21st Century“ die starke Binarität des späten Radikalfeminismus auf und übernehmen die patriarchale Erzählung von der Verbindung von physischer Technik mit Männlichkeit („Big Daddy Mainframe“) und digitalem, nicht physischen mit Weiblichkeit („we are the virus“). Diesen Essentialismus versuchte Haraway mit ihrer Idee eines Cyborgs in der „postgender“-Welt zu überwinden. Aktuell existiert der Cyberfeminismus meist als Netzfeminismus. So wird das Internet als größte technische Errungenschaft des 21. Jahrhunderts weniger als Studienobjekt und eher als Werkzeug benutzt. Durch das Entstehen des Web 2.0 wurde das Internet demokratisiert und nun konnten nahezu alle Personen Content auf Sozialen Medien erstellen oder miteinander in Kommentaren interagieren. Dies passiert einerseits durch politische Kunst, wie zum Beispiel durch die in Deutschland weit verbreiteten Gruppen „Catcalls of…“, die Ereignisse sexualisierte Gewalt sammeln, durch Kreide an den entsprechenden Orten sichtbar machen und das dann auf Instagram posten. OderMemeseiten, die bei ihren Nutzer*innen ein Gefühl des gemeinsamen Kampfes gegen das Patriarchat erzeugen. Andererseits durch Bildungsarbeit.

A cyberfeminist manifesto for the 21st century (VNS Matrix, 1991)

Besonders Instagram und TikTok werden für niedrigschwellige Aufklärungsarbeit genutzt, bei der grundlegende Konzepte wie Intersektionalität erklärt werden. Als drittes wird Social Media häufig als Informationskanal genutzt. Insbesondere bei der Iranischen Revolution lässt sich kaum von der Hand weisen, dass hier ein wichtiger Beitrag für die Wahrnehmung im globalen Norden gespielt hat. Jede neue Demonstration, jede aufkommende Entwicklung kann direkt von Ortsansässigen verbeitet werden. Aber auch Initiativen wie #MeToo waren Meilensteine in der Diskussion um sexualisierte Gewalt am Arbeitsplatz. Zum ersten Mal wurde durch das Austauschen gemeinsamer Erfahrungen konzentriert über sexualisierte Gewalt im Alltag gesprochen und so ein Bewusstsein für das eigene Erlebte geschaffen.
Neben all den positiven Effekten, fehlt allerdings eine inhaltliche Auseinandersetzung mit der Plattform an sich. Dies kann Probleme mit sich bringen: Durch fehlende feministische Interventionen werden besonders Frauen und queere Personen in der Regulation von Plattformen kaum beachtet. Trotzdem sind diese Gruppen am meisten von den negativen Seiten dieser Plattformen betroffen. Zahlen aus den USA zeigen, dass vor allem Frauen und Schwarze Amerikaner*innen von Hass im Netz betroffen sind. Dies wird durch Intersektionen verstärkt. In einer Studie von Amnesty International sind Women of Colour 34% häufiger von Hass im Netz betroffen als Weiße Frauen. Bei neueren Phänomenen wie KI-generierter Pornografie von Privatpersonen gibt es leider keine Zahlen, aber es ist anzunehmen, dass auch hier vor allem Frauen und weibliche Personen davon betroffen sein werden. Die schleppende oder im Falle von KI-generierter Pornografie fehlende Regulation kann auch darauf zurückgeführt werden, dass vor allem marginalisierte Personen betroffen sind.

Die ausbleibende inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Internet und seinen Plattformen als Technologie(n) sind eine relativ neue Entwicklung. Bereits in der zweiten Welle des Feminismus wurden Technologien sehr intensiv auf ihre ethischen Auswirkungen befragt. Besonders die Entwicklung neuer Bürotechnologien und Technologien zur Beeinflussung von Schwangerschaften und der Verhütung wurden sehr genau beobachtet und diskutierSpäte radikalfeministische Gruppen haben neue Entwicklungen der Reproduktionstechniken als Versuch des Patriarchats gesehen in die angeblich inhärent weibliche Erfahrung des Schwangerwerdens und -sein-könnens und haben sich nicht weiter auf ethische Debatten eingelassen. Die liberale Feministin*innen wie Michelle Stansworth haben zwar nicht die Technik an sich abgelehnt und haben auch gesehen, dass die Gefahren von neuen Reproduktionstechnologie auch durch andere Faktoren wie race oder Klasse neue Technologien negativ beeinflusst werden. Allerdings war ihr Schluss, dass es lediglich Wissen und Zugang braucht, dann könnte jede Person selbst entscheiden, ob sie sich diesen Gefahren aussetzen möchte. Modernere Feminist*innen wie Judy Wacjman erkennen an, dass gesellschaftliche Systeme wie das Patriarchat oder der Kapitalismus in Technik hineinkonstruiert werden, weshalb reiner Zugang unseren Umgang mit neuen Technologien nicht regeln kann. Beispielsweise wird Forschung an künstlichen Befruchtungen, Eispenden und Leihmutterschaften finanziell gefördert, weil so eigene Kinder gezeugt werden. Dadurch wird das bestehende Modell der monogamen, heterosexuellen Kleinfamilie gefördert und andere Familienmodelle benachteiligt. Die fehlende Gebärfähigkeit heterosexueller Cis-Frauen wird von einem unveränderlichen Zustand zu einem behandelbaren medizinischen Problem, für den sich die betroffene Person rechtfertigen muss, wenn sie ihn nicht behandeln lässt. Diese Ermöglichung erzeugt einen impliziten Zwang für Frauen, wenn diese ihre fehlende Gebärfähigkeit eigentlich nicht behandeln lassen würden.

Unterdrückung wird in die Technik eingebaut

Hier wird deutlich, dass ohne feministische Interventionen in die Entwicklung und Anwendung der Technik, analoge Unterdrückungsstrukturen in den digitalen und technischen Raum reproduziert werden. Heute fehlt die inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Internet und seinen Plattformen als Technologie. Das zeigt sich bei der Gesetzgebung: Die Perspektiven der Personengruppen, die vor allem von den negativen Effekten des Internets betroffen sind, werden nicht beachtet. Meistens sind das Frauen, queere Menschen und People of Color. Die schleppende Regulation kann darauf zurückgeführt werden, dass es sich um marginalisierte Personen handelt.

Wir waren also schon einmal weiter – es wird Zeit, das Internet als politischen Raum anzuerkennen und auch so zu behandeln.


Mara Luise ist 25, studiert in Leipzig Museumswissenschaften und ist seit 2019 im SDS aktiv. Für die Critica schreibt sie vor allem über Kultur, Feminismus und queere Themen.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der critica Nr. 30. Du erhältst sie beim SDS in deiner Stadt oder kannst sie hier online lesen.