06 Sep Das Erbe der 68er-Bewegung – SDS damals, heute und in Zukunft
Bereits der Name des Studierendenverbandes DieLinke.SDS ist an die 1968er-Bewegung angelehnt: Der Sozialistische Deutsche Studentenbund war Teil der Proteste in den späten 1960er Jahren in der Bundesrepublik. Unsere Autorinnen Josina und Svenja zeigen auf, was der heutige SDS vom historischen SDS lernen kann.
Als DieLinke.SDS beziehen wir uns allein mit unserem Namen auf einen wichtigen Akteur in der 1968er-Bewegung: den Sozialistischen Deutschen Studentenbund – den historischen SDS. Wir wollen daher im Folgenden einen Blick darauf werfen, warum die sogenannte 68er-Bewegung eine so bedeutende Rolle in der Geschichte einnimmt und warum wir als heutiger SDS in dieser Tradition stehen.
Oftmals wird 1968 als das »Jahr der Studenten« bezeichnet. Das ist eine starke Verkürzung, denn die Proteste begrenzten sich nicht nur auf das Jahr 1968 und sie wurden nicht nur von Studierenden geführt. Die Proteste reichten zudem über Deutschland hinaus, auch wenn wir uns im Folgenden darauf beschränken werden.
Politische Verhältnisse vor 1968
Bevor die ersten Proteste ausbrachen, gab es bereits im Jahr 1962 Diskussionen über die Notstandsgesetze (Dabei handelt es sich um Gesetze, die regeln, ob und wie der Staat in Krisensituationen Grundrechte einschränken darf). Zudem kam es zu ersten Protesten nach Einschränkung der Pressefreiheit. 1964 traten die USA in den Vietnamkrieg ein. Der Kriegseintritt war ein entscheidender Faktor für den Ausbruch der Proteste. Im gleichen Jahr gab es Auschwitz-Prozesse, die deutlich machten, wie stark Hochschulen, Justiz und Ärzteschaft durch Personen geprägt waren, die Teil des Herrschaftsapparat des »Dritten Reichs« waren. Zusätzlich wurde eine Reform geplant, die die Hochschulen nach wirtschaftlichen Interessen umbauen sollte. Dazu gehörte eine straffere Ordnung der Studiengänge, eine Begrenzung der Studienzeit auf acht Semester, sowie die Einteilung in ein »Studium für die Masse und ein Aufbaustudium für die Elite«. Ab 1966 wurde die Bundesrepublik von einer Großen Koalition regiert, mit der FDP als einziger Oppositionspartei.
All diese Ereignisse und Krisen sorgten für einen Riss im bisherigen Konsens innerhalb der Gesellschaft und boten damit Raum für die Proteste der 68er-Bewegung.
Welche Proteste gab es?
Die ersten Massenproteste an einer Universität brachen 1965 aus, als die Freie Universität Berlin ein Redeverbot für den Journalisten Erich Kuby erließ, nachdem dieser sich kritisch zum Namen »Freie Universität« äußerte. Daraufhin organisierten Studierende den Boykott von Vorlesungen am Institut für politische Wissenschaften, an dem sich mehr als 90 Prozent der Studierendenschaft beteiligte. Außerdem gab es Vollversammlungen mit 1.000 Leuten, Sitzstreiks, an denen 3.000 Studierende teilnahmen und inhaltliche Debatten, bei denen zwölf Stunden lang über konkrete Forderungen und über die Stellung der Hochschulen in der Gesamtgesellschaft und im Kapitalismus diskutiert wurde.
Die Lage eskalierte am 2. Juni 1967, als der SDS eine Demonstration gegen den Besuch des Schahs von Persien, dem heutigen Iran, organisierte. Persien war zu dieser Zeit eine vom Westen gestützte Diktatur. Der Besuch war somit ein Zeichen für die deutsche Unterstützung des westlichen Imperialismus. Bei der Demonstration gab es enorme Polizeigewalt: unter anderem wurde der Schlägertrupp des iranischen Geheimdienstes durch die deutsche Polizei geschützt. Der 26-jährige Student Benno Ohnesorg wurde während dieser Demonstration gezielt getötet. Dies bedeutete eine neue repressive Normalität, in der die Opposition durch körperliche Gewalt ausgeschaltet wird. In der darauffolgenden Zuspitzung spielten die Medien eine entscheidende Rolle: Sie gaben nicht der Polizei die Schuld an dem Mord, sondern den Demonstrierenden.
Während sich die Uni-Proteste zuvor auf West-Berlin begrenzten, gingen nun 30.000 Studierende in ganz Westdeutschland gegen die falsche Berichterstattung der Presse auf die Straße. Die Proteste konzentrierten sich auf drei Kampagnen: die Enteignet-Springer-Kampagne, die Proteste gegen die Notstandsgesetze sowie die Kampagne gegen den Krieg in Vietnam. Gegen den Pressekonzern Springer wurden allein in Berlin zwanzig verschiedene Flugblätter mit einer Gesamtausgabe von 300.000 Exemplaren gedruckt. Der Höhepunkt der Proteste gegen den Krieg in Vietnam war der internationale Vietnamkongress im Februar 1968 in Berlin. Dort kamen 5.000 Menschen zusammen, um sich mit der vietnamesischen Revolution zu solidarisieren und sich gegen den US-Imperialismus auszusprechen. Die abschließende Demonstration bestand aus circa 15.000 Teilnehmenden.
Dass die Bewegung häufig »68er-Bewegung« genannt wird, liegt daran, dass die Proteste im Jahr 1968 ihren Höhepunkt hatten: In Berlin fand am 1. Mai eine Demonstration mit 40.000 Menschen statt. Am 15. und 16. Mai kam es zu Streiks gegen die Notstandsgesetze an fast allen Hochschulen der BRD, zwei Tage später gab es einen Protesttag gegen Neonazis. Am 21. Mai wurde eine Demonstration gegen die Militärdiktatur in Griechenland abgehalten. Insgesamt nahm bis Ende 1968 die Zahl der Aktiven stetig zu und die Studierenden radikalisierten sich zunehmend.
Die Rolle des SDS
Der SDS, bestehend von 1946 bis 1970, war ein politischer Studierendenverband in Westdeutschland. Er war der Hochschulverband der SPD, bis diese sich im Jahr 1961 aufgrund seiner Radikalisierung mithilfe eines Unvereinbarkeitsbeschluss vom SDS distanzierte. Der SDS bildete von 1962 bis zu seiner Selbstauflösung am 21. März 1970 die einzige parteiunabhängige sozialistische Hochschulorganisation Deutschlands.
Er trug maßgeblich dazu bei, Proteste gegen die oben genannten Krisen auf die Beine zu stellen. Dadurch entwickelte sich eine politisierte Studierendenbewegung. Um in der Praxis erfolgreiche politische Aktionen zu organisieren, bildeten sich die SDS-Mitglieder theoretisch. Sie lasen Schriften der »neuen Linken«, aber auch frühere Werke von Karl Marx, Antonio Gramsci oder der sogenannten »Frankfurter Schule« und diskutierten darüber.
Ein Ziel des SDS war es, Studierende für den Kampf an der Hochschule zu aktivieren. Dazu veranstalteten sie mehrere Vollversammlungen mit regelmäßig über 1.000 Studierenden. Die Versammlungen dienten als demokratisches Entscheidungsorgan über das weitere Vorgehen. Bei gemeinsamen Treffen wurde sowohl über die Ziele und Forderungen der Bewegung gesprochen als auch über die Stellung der Hochschulen in der Gesamtgesellschaft und die Aufgabe von Bildung im Kapitalismus diskutiert.
Was können wir aus der 68er-Bewegung lernen?
Die Erfahrungen der 68er sind auch heute noch wichtig, denn das Ziel ist gleichgeblieben: ein besseres Leben für alle.
Auch heute müssen wir Menschen nah an ihrer Lebensrealität organisieren. Das heißt für uns, dass wir Studierende an der Uni politisieren, mobilisieren und organisieren wollen. Aus der 68er-Bewegung können wir darüber hinaus lernen, dass eine alleinige Organisierung der Studierenden nicht reicht, um eine Revolution zu erreichen. Dafür brauchen wir immer noch die Arbeiter*innenklasse. Daher müssen wir Kämpfe verbinden und möglichst vielen Leuten zeigen, warum die Kämpfe in ihrem Interesse sind.
Außerdem können wir uns viele Aktionsformen, wie Vollversammlungen, Sitzstreiks und den Boykott von Vorlesungen abgucken, die eine aktionsorientierte Politik mit Bildung zu den negativen Auswirkungen des Kapitalismus verbinden.
Am allerwichtigsten ist aber, dass wir uns die Hoffnung auf eine bessere Welt bewahren und das Wissen, dass wir diese erkämpfen können, denn wie Rudi Dutschke gesagt hat: »Geschichte ist machbar«.
Josina und Svenja sind beide im SDS Hannover aktiv und haben sich im Rahmen eines Vortrags bei den kritischen Einführungswochen, durch die gesamte 68er Lektüre gelesen.