05 Nov Sexualisierte Gewalt an Unis: Schweigen brechen!
Universitäten sind ein Raum des Lernens und des wissenschaftlichen Austausches, für viele Studierende ist der Campus Lebensmittelpunkt. Doch für von Sexismus betroffene Menschen ist die Uni auch ein Ort der Gefährdung durch sexualisierte Gewalt. Das wird mit jedem Fall aufs Neue klar.
An der Universität zu Köln soll ein Professor seine Doktorandinnen sexuell belästigt haben, berichtete der »Spiegel« im Dezember 2022. Der Mitte 40-jährige Mann hatte die Frauen wohl bedrängt und erniedrigt. Die Betroffenen meldeten den Vorfall, doch der Professor konnte weiter an der Uni arbeiten. Im Zuge eines bereits 2019 eingeleiteten Disziplinarverfahrens erlebten sie Parteilichkeit zugunsten des Professors und »victim blaming « (Beschuldigung des Opfers anstelle des Täters für die sexuelle Gewalttat). Sie gerieten in Situationen, in denen der Täter und dessen Anwalt mit ihnen in einem Raum waren und sie sich quasi einem Verhör stellen mussten, so berichtet der erste AstA-Vorsitzende Ben Himmelrath. Der Spiegel-Artikel entblößt »ein absolutes Versagen der institutionellen Strukturen an der Uni«, denn »insbesondere in Abhängigkeits- und prekären Beschäftigungsverhältnissen wie bei Doktorandinnen und Doktorvätern an Universitäten müssen unabhängige und sichere Anlaufstellen bei Beschwerden gegeben sein!«, so Himmelrath.
Ein weiterer exemplarischer Fall ist der eines Dozenten der Alten Geschichte an der Humboldt Universität Berlin, dessen übergriffiges Verhalten wohl schon seit über 20 Jahren ein offenes Geheimnis war. Im Juli veröffentlichte das Kollektiv »Keine Uni für Täter« die Vorwürfe gegen den Dozenten in einem Beitrag auf »indymedia«, woraufhin sich auf der Plattform »Twitter« (mittlerweile »X«) mehrere ehemalige Studentinnen und wissenschaftliche Mitarbeiterinnen zu Wort meldeten und von ihren eigenen Erfahrungen der sexuellen Belästigung berichteten. Schon 1997 gab es anscheinend erste Kritik am Dozenten. Zehn Jahre darauf folgte wohl eine Abmahnung aufgrund von sexueller Belästigung und damit der unfreiwillige Rücktritt als Studiendekan, heißt es in einer Stellungnahme des AStA. Die einzige bis Juli ergriffene Maßnahme war ein Hinweis auf der Website der Universität, der weiblich gelesene Studierende darüber informierte, dass sie an der Sprechstunde des Dozenten nur in Begleitung der Frauenbeauftragten der Philosophischen Fakultät teilnehmen sollten. »Die Universitätsverwaltung erstellt lieber unsinnige Regeln über die Durchführung von Sprechstunden, als die Uni endlich zu einem Ort zu machen, der mit der angebrachten Ernsthaftigkeit und den erforderlichen Konsequenzen auf patriarchale Gewalt reagiert«, heißt es im Artikel von »Keine Uni für Täter«. Im August verkündete die Humboldt-Universität nun die Freistellung des Dozenten. Gleichzeitig wurde bekannt, dass gegen einen weiteren Dozenten der Geschichte ein Disziplinarverfahren wegen Vorwürfen sexualisierter Gewalt läuft.
Die hier beschriebenen Fälle sind lediglich aktuelle Beispiele für ein strukturelles Problem. Sexualisierte Gewalt wird genauso an Unis ausgeübt wie an allen anderen Orten in unserer Gesellschaft. Sexismus ist auch hier Teil der Lebensrealität von weiblich gelesenen Personen. Zudem begünstigen personelle Abhängigkeiten und ungleiche Machtverhältnisse im akademischen Betrieb eine Kultur des Schweigens, die die Täter schützt. Eine europaweite Umfrage ergab, dass fast jede*r Dritte der befragten Studierenden und Mitarbeitenden an Universitäten sexuelle Belästigung erfahren hat, doch nur 13 Prozent von ihnen den Vorfall gemeldet haben. Aber um Fälle sexualisierter Gewalt aufzuarbeiten, muss darüber gesprochen werden. Universitätsleitungen können Machtmissbrauch und sexualisierte Gewalt noch so öffentlichkeitswirksam verurteilen. Wenn Unis zu wenig Strukturen zur Unterstützung von Betroffenen schaffen und Betroffene daher Angst haben müssen, dass sie nicht ernst genommen werden oder ihren Job verlieren, machen sie sich mitschuldig.
Es wird höchste Zeit, dass wir das Schweigen brechen, Schutzräume für Betroffene schaffen und von Universitäten eine Null-Toleranz-Politik im Umgang mit Machtmissbrauch und sexualisierter Gewalt fordern!
Chrissy (23) ist seit 2 Jahren beim SDS aktiv, studiert in Düsseldorf und kann das Ende des Patriacharts langsam nicht mehr abwarten.