30 Nov Menschenrechtsimperialismus – der Kolonialismus von heute
Wenn Menschenrechte als abstraktes Ziel genannt werden, sollten wir immer wachsam sein. Denn nicht selten wird dieses Argument, das alles und nichts bedeuten kann, als Rechtfertigung für militärische Interventionen genutzt.
Kaum eine politische Konfrontation oder ein militärischer Eingriff wird heute nicht mit den Menschenrechten begründet. Dabei treten die westlichen Staaten und besonders die USA als Verfechter dieser Menschenrechte auf – Staaten, die sich selbst nicht an völkerrechtliche Menschenrechte halten: Denn soziale Menschenrechte wie das Recht auf Arbeit, auf Nahrung, auf eine Wohnung, auf Erziehung usw., sind hier noch lange nicht anerkannt und durchgesetzt. Die USA brechen sogar Menschenrechte wie das Folterverbot, die selbst unter den kapitalistischen Ländern längst anerkannt wurden.
Wie also können Staaten, die Menschenrechte missachten, damit durchkommen? Sie geben ihre ganz eigene Definition der Menschenrechte vor. Dabei geht es nicht um das, was im Völkerrecht steht und schon gar nicht um die menschliche Emanzipation. Vielmehr wird die Definition der Menschenrechte an die ›westliche Zivilisation‹ gekoppelt und dabei auf ein kapitalistisches Gesellschafts- und Wirtschaftsmodell reduziert. Nach dieser Definition benennen sie sich als Eigentümer und Ursprung der Menschenrechte. Sie können die Menschenrechte also gar nicht brechen, egal was im Völkerrecht steht.
Der westliche Anspruch ist also nicht die Menschenrechte, die im Völkerrecht definiert sind, umzusetzen, sondern den Weg und das kapitalistische System der westlichen Zivilisation, weiterzuverfolgen. Es ist ein totaler und imperialer Anspruch der dominierenden kapitalistischen Staaten. Gemäß dieser Erzählung sind Katastrophen wie Armut, Kriege oder Umweltzerstörung Kollateralschäden, die als Preis für kapitalistische Freiheit und Fortschritt in Kauf genommen werden müssten. Eine einfache Bezeichnung von Staaten als »Schurkenstaaten« genügt, um diese unter Kriegsdrohung zu stellen und zu erpressen. Was der UN-Menschenrechtsrat dazu zu sagen hat, interessiert nur, wenn es mit ihrem eigenen Weltbild zusammenfällt.
Die postkoloniale Theoretikerin Gayatri Chakravorty Spivak sieht dieses Prinzip als eine »Art Sozialdarwinismus«. Sie zieht geradlinige Parallelen zwischen der Rechtfertigung der Kolonisierung als »Zivilisierungsmission« und der Rechtfertigung von neokolonialen Interventionen mit dem abstrakten Konzept der »Menschenrechte«. Die tatsächlichen Gründe hinter den militärischen Interventionen sind dabei nie die Menschenrechte, genauso wenig, wie es bei der Kolonisation um »Zivilisation« ging. Die Motivation für Krieg und Interventionen sind immer ökonomische und politische Gründe, wie beispielsweise die Sicherung von Ressourcen, die Ausbeutung von Arbeitenden oder die Bezwingung eines Konkurrenzsystems – wie des Sozialismus – das dem Kapitalismus entgegensteht.
Die Menschenrechte sind eine Waffe, die von den westlichen Ländern gegen ihre Gegner genutzt wird. Dabei haben die »humanitären Interventionen«, die mit ihnen gerechtfertigt wurden, betroffenen Staaten und ihren Bürger*innen keine Menschenrechte gebracht. Ein Beispiel ist der Überfall auf Jugoslawien: Das Ausmaß an Zerstörungen durch diese »humanitäre Intervention« wurde durch keinen auch nur abstrakten Gewinn an Menschenrechten kompensiert. Das tatsächliche Ziel war eine Vorherrschaft des Westens/der USA im postsowjetischen Europa. Die Zerschlagung des noch verbliebenen Staatenzusammenhangs auf dem Balkan hat das Sicherheitsvakuum Osteuropas zerstört. Wie es um die Menschenrechte beim Abzug der NATO-Truppen stand, hat niemanden mehr interessiert.
Auch wenn vergangene militärische Interventionen unter dem Feigenblatt der Menschenrechte mehr Zerstörung als Menschenrechte gebracht haben, zieht das Argument der Menschenrechte weiterhin sehr gut. Daher wird es immer wieder gern gegen befeindete Staaten benutzt. Als diejenigen, die eine tatsächliche menschliche Emanzipation anstreben, sollten wir uns dafür nicht instrumentalisieren lassen. Wer mit einem abstrakten Konzept an Menschenrechten argumentiert, ohne sich selbst an alle Menschenrechte zu halten, schadet nicht nur den Menschenrechten, sondern hat sicherlich andere Ziele.
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