08 Nov Chile: Autoritarismus führt zu Austerität
Die Militärdiktatur unter Augusto Pinochet in Chile zeigt: Für die Freiheit der Märkte nimmt man die Unfreiheit der Menschen gerne in Kauf – Gastbeitrag von Debt for Climate Deutschland
Vor 54 Jahren, am 24. Oktober 1970, wurde der Sozialist Salvador Allende durch die breite Unterstützung der unteren Klassen zum Präsidenten Chiles gewählt. Durch eine schrittweise, friedliche Revolution mittels Reformen innerhalb der parlamentarischen Demokratie wollte die Unidad Popular (UP), das sozialistisch-kommunistische Bündnis um Allende, den Sozialismus erreichen. Sie setzte auf Verstaatlichung der natürlichen Ressourcen und Enteignung von Fabrik- und Großgrundbesitzer; einer Umverteilung des Wohlstands. Die Transformation war dabei kein bloßes Projekt von oben sondern erweiterte die Handlungsspielräume von Gewerkschaften, sowie feministischen und Graswurzelorganisationen. Dieses Vorgehen gefährdete die Bereitstellung billiger, natürlicher Ressourcen durch den Süden für den Norden und riskierte, eine langfristige, gut sichtbare Systemalternative im sogenannten Hinterhof der USA, zu etablieren.
Systematische Wirtschaftssanktionen des Nordens, mit dem Ziel, »Chiles Wirtschaft zum Schreien zu bringen« (Nixon), sowie umfangreiche und kostspielige Aktivitäten der CIA, die der gezielten Destabilisierung der wirtschaftlichen und politischen Situation Chiles dienten, ermöglichten den chilenischen Eliten den Sturz der sozialistischen Enklave. Am 11. September 1973 putschten Teile des Militärs unter der Führung Augusto Pinochets gegen Allende und errichteten eine 17 Jahre andauernde, brutale Militärdiktatur, geprägt von systematischer politischer Gewalt.
Die Rechten ermordeten nicht nur Allende und setzten die sozialistische Regierung ab, unter Pinochet vollführten sie eine vollständige wirtschaftspolitische Kehrtwende und machten Chile zum Experimentierfeld menschenverachtender Ökonomen, mehrheitlich ausgebildet an der Universität Chicago. Als heldenhafte Retter angesichts der drohenden Schuldenkrise Süd- und Zentralamerikas wurden die sogenannten Chicago Boys zu Wirtschaftsberatern der Regierung erhoben. Sie machten die theoretischen Überlegungen Milton Friedmans, darunter die Austerität und der neu entwickelte Neoliberalismus, zur leitenden politischen Praxis Chiles. Die Umsetzung der Austeritätspolitik, also das Kaputtsparen sozialer Infrastruktur und regressiver Steuerpolitik, traf jedoch auf Widerstand der unteren Klassen.
Austerität und Neoliberalismus haben einen symbiotischen Zusammenhang mit autoritären, also undemokratischen und diktatorischen, Systemen. Einerseits brauchte es in Chile einen starken Staat, um die Austerität gegen den Willen der Bevölkerung durchzusetzen, besonders da die Politik von außerhalb diktiert wurde. Andererseits ist Austerität Klassenkampf von oben, der die unteren Klassen schwächt und so den Weg für mehr Autoritarismus ebnet – wenn nicht beides durch Klassenkampf von unten gestoppt wird.
Mit dem Neoliberalismus in Chile wurde der Grundstein für eine bis heute andauernde Politik gegen die unteren Klassen des Globalen Südens gelegt. Sie ist eine Reaktion auf die Bewegung der blockfreien Staaten, der G77 und ihrem Ziel: dem Erkämpfen einer dekolonisierten, gerechten Weltwirtschaftsordnung. Seit Mitte der 1970er Jahre, als die Staatsschuldenkrise in Süd- und Zentralamerika ausbrach, steht der Internationale Währungsfonds mit kurzfristigen Krediten bei Zahlungsschwierigkeiten den Staaten des Südens zur Seite. Diese Hilfe gibt es aber nur unter der Bedingung von Austeritätsmaßnahmen.
In Argentinien, Kenia und Sri Lanka sehen wir heute, dass die politischen Bewegungen gegen die Politik des IWF nur durch zunehmenden Autoritarismus und Staatsgewalt davon abgehalten werden können, eine gerechtere Situation zu erkämpfen. Da im Angesicht der aktuellen Vielfachkrise die Kredite des IWF an den Globalen Süden seit 2007 bis heute über 300 Prozent gestiegen sind, ist in den nächsten Jahren mit weiter verschärfter, durch den IWF aufgezwungener, und durch nationale Eliten umgesetzter Austerität und damit einhergehendem Autoritarismus in den Ländern des Südens zu rechnen. Zumindest solange diese sich nicht vom Joch der Schuldenfalle befreien. Denn diese ist das Einfallstor für die Fremdbestimmung über den Süden durch den Norden und den IWF. Sie hindert die Bewegungen des Südens daran, selbstbestimmte Politik in den Fußstapfen Allendes zu machen und für eine gerechte Weltwirtschaftsordnung jenseits des Kapitalismus zu kämpfen
Deswegen: Schulden streichen, Autoritarismus be- und Sozialismus erkämpfen!
Über Debt for Climate Deutschland: Wir sind der in Deutschland aktive Teil der aus dem Globalen Süden initiierten und angeführten Graswurzelbewegung Debt for Climate. Debt for Climate baut Macht von unten auf, indem wir Arbeiter*innen-, Indigene, feministische, religiöse, ökologische, soziale und Klimagerechtigkeitsbewegungen im Globalen Norden und Süden verbinden, um die finanziellen Schulden des Globalen Südens zu streichen und eine selbstbestimmte, gerechte Transformation zu ermöglichen.