Frei im Dienste der Menschheit?

Frei im Dienste der Menschheit?

Wissenschaft in der BRD soll zunehmend den herrschenden innen- wie außenpolitischen Interessen untergeordnet werden. Das ist geschichtsvergessen. Warum es eine befreite Wissenschaft für die Allgemeinheit braucht.

Immer häufiger ist in den herrschenden Medien von Wissenschaftsfreiheit zu lesen, spätestens seit der Fördermittelaffäre im Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) unter Stark-Watzinger (FDP) im Juni. Funktionäre des Ministeriums hatten um eine Überprüfung der Fördermittelvergabe an bestimmte Lehrpersonen der FU Berlin gebeten. Diese hatten sich in einem Offenen Brief gegen die polizeiliche, teils gewaltsame Räumung des palästinasolidarischen Protestcamps geäußert. Sie ist beispielhaft für die Reaktion der Herrschenden gegen die Politisierung der Studierendenschaft durch Palästina-Solidarität. Sie wird flankiert durch die Einführung eines politischen Exmatrikulations-Paragraphen im Berliner Hochschulgesetz. Politisches Bewusstsein und entsprechende Aktionen sollen im Keim erstickt werden.

Bei der Affäre handelte es sich wohl um eine Rote Linie, die auch bürgerlich-reaktionäre Kommentatoren, unter anderem der F.A.Z., überschritten sahen. Unbeirrt davon wurde eine fraktionsübergreifenden Resolution für den Bundestag beschlossen, die den vermeintlichen Schutz jüdischen Lebens für maulkorbartige Vorschläge zur Beschränkung von Kunst und Wissenschaft instrumentalisiert.

Der Eingriff in die Wissenschaftsfreiheit durch den potentiellen Entzug von Fördermitteln ist eine Eskalation in der seit Jahrzehnten bestehenden Förderpolitik in der Wissenschaft. Mit abnehmenden Grundmitteln ist die Abhängigkeit von Drittmittelgebern, ob öffentlich oder privat, stetig gestiegen. Der wirtschaftliche Druck führt zu politischen Konsequenzen in der Auswahl von Forschungsfragen.

Perfiderweise wird Wissenschaftsfreiheit gegen Zivilklauseln an deutschen Hochschulen angeführt. Obgleich sie freiwillige Selbstverpflichtungen der Hochschulen darstellen, wird behauptet, dass sie Forschende in ihrer akademischen Freiheit einschränken. Dabei wird verschwiegen, dass im kaputtgesparten Hochschulbetrieb eine Öffnung gegenüber der stetig wachsenden Rüstungsindustrie einem erzwungenen Ausverkauf gleichkommt.

In einem Positionspapier des BMBF vom März kommt die Offensive der Herrschenden  zur Unterordnung der Wissenschaft gegenüber der deutschen Innen- und Außenpolitik besonders zum Vorschein. »Forschungssicherheit« wird genutzt als Rechtfertigung für die Militarisierung und internationale Abschottung der deutschen Hochschulen. Positivbeispiele seien die »Wertepartner« USA und Israel. Der Abstiegskampf des Westens soll auch mit Mitteln der Wissenschaft geführt werden. Angst vor »Systemrivalen« soll geschürt werden, indem Wissenschaftler*innen für die Gefahren aus Staaten wie China und Iran »sensibilisiert« werden. So wird in dem Papier das historische Bewusstsein aus dem deutschen Faschismus als explizites Hindernis für die Aufweichung von Grenzen zwischen ziviler und militärischer Forschung porträtiert. Wo Schulungen nicht weiterhelfen, muss schweres Geschütz aufgefahren werden: das Verteidigungsministerium soll eine größere Rolle in der Forschungsfinanzierung spielen. Es wird gar ein Preis für zivil-militärische Forschungsprojekte vorgeschlagen.

Das vom BMBF angeführte Narrativ der Versicherheitlichung der Wissenschaft dient nichts anderem als einer weiteren Revision der Lehren aus 1945. Wissenschaftsfreiheit, festgelegt in Art. 5 Abs. 3 Grundgesetz, wird auf den Kopf gestellt. Denn sie kann nicht losgelöst vom Rest des Grundgesetzes betrachtet werden. Die Würde des Menschen nach Art. 1 GG muss erfüllt werden. Das ist nicht möglich durch eine Wissenschaft für Krieg, Sozialabbau und die sogenannte Staatsräson.

Im Gegenteil, das Potential der Wissenschaften zur Entwicklung menschlicher Lebensbedingungen muss befreit werden von Kapitalinteressen. Nur durch eine Wissenschaft, die frei zur Kooperation und zur Förderung des Friedens ist, können wir unserer Verantwortung gegenüber unseren Mitmenschen gerecht werden. Sie muss von uns Studierenden als Teil der Hochschulbasis schon heute realisiert werden; indem wir die historische Verbindung von Friedensbewegung und Wissenschaft aufgreifen, uns mit kritischen Lehrenden verbünden und in Hochschulgremien für eine friedenspolitische Wende im Studium und in der Forschung kämpfen.

Ari (Kulturanthropologie) und Jonathan (Biophysik) studieren in Frankfurt am Main. Der positive Friedensbegriff als Freiheit von struktureller Gewalt stellt für sie die Grundlage einer emanzipierten Wissenschaft dar.