12 Dez. »Ein Versuch, die bürgerlich-kapitalistische Hegemonie zu verteidigen«
Benjamin Ruß hat in München Geowissenschaften studiert und war im SDS aktiv. Nun verweigert die TU München ihm die Anstellung – trotz Zusage des Forschungsinstituts. Im Interview spricht er über die Hintergründe seines Falls und den Kampf um grundlegende demokratische Rechte in Kriegszeiten.
Benjamin, du wolltest nach deinem Studium weiter in der Geowissenschaft arbeiten, du hattest sogar schon die Zusage für eine Stelle. Wie wurde das Berufsverbot gegen dich begründet?
Kurz zusammengefasst: die Personalabteilung und der Kanzler der TUM haben die Argumentation des Inlandsgeheimdienstes übernommen und mich als Verfassungsfeind deklariert. Ausschlaggebend dafür waren in deren Augen meine Mitgliedschaften in der Roten Hilfe und damals im SDS, meine Veröffentlichungen auf klassegegenklasse.org, meine marxistische Weltanschauung und meine politische Aktivität, z.B. als Bündnissprecher der Stop-G7-Proteste 2015 in Elmau/Bayern. Das Münchner Arbeitsgericht hat im August nun dieses Vorgehen bestätigt, eine ausführliche Begründung steht noch aus. Dabei gibt es neben dem politischen Verfahren auch ganz klare arbeitsrechtliche Verfehlungen der TUM-Personalabteilung, die für das Gericht offenbar unerheblich sind.
Der autoritäre Umbau an den Hochschulen ist in Bayern ja auf einem ganz anderen Stand als andernorts: Seit den 1970ern gibt es keine studentische Selbstverwaltung mehr, aktuell steht das Bundeswehrfördergesetz kurz vor dem Beschluss. Welche Rolle spielt das bei deinem Fall?
Fehlende studentische Selbstverwaltung, aber auch ein niedriger gewerkschaftlicher Organisierungsgrad und eine nicht vorhandene proletarische Selbstverwaltung, spielen insofern eine direkte Rolle, als dass es so sehr schwierig ist, Entscheidungen wie in meinem Fall durch Personalabteilungen politisch und arbeitsrechtlich anzufechten. Aber eben auch, um eine politische Gegenwehr gegen Prekarisierung, Krieg, Ausbeutung und Unterdrückung aufzubauen. Der Versuch, Menschen mit ähnlichen politischen Positionen wie den Meinigen, den Zugang zu Jobs an den Hochschulen zu verwehren, liegt darin begründet, dass man den »linken Sumpf« an den Hochschulen nicht wieder bewässern will. Eine Art präventives Union Busting, das sowohl kritische Arbeitende wie auch Studierende maßregeln soll. Die Freiheit der Wissenschaft wird hier ganz bewusst beschnitten, um eine wissenschaftliche Perspektive der Arbeiter*innenklasse an den Hochschulen zu verhindern. Gleichzeitig wird damit versucht, die bürgerlich-kapitalistische Hegemonie zu verteidigen. Deutlich wird das meiner Meinung nach besonders daran, wie mit der Gaza-Solidarität an deutschen Universitäten umgegangen wird. Krieg und Massenmord soll normalisiert werden, Frieden und Solidarität mit unseren Klassengeschwistern wird dämonisiert.
Wie hat deine Gewerkschaft reagiert: mit Solidarität oder mit Skepsis gegenüber dem Marxisten Benjamin Ruß?
Ich habe durch die ver.di-Betriebsgruppe an der TUM von Anfang an vollste Solidarität erfahren. Ohne die Kolleg*innen vor Ort hätte ich diese Auseinandersetzung gar nicht erst beginnen können. Mit dieser Unterstützung habe ich auch Rechtsschutz bei ver.di bekommen. Zusätzlich gab es in einigen gewerkschaftlichen Medien, wie z.B. in der ver.di Publik, solidarische Artikel zum Prozess. Gewerkschaftsgruppen haben Veranstaltungen zu Berufsverboten organisiert. Ver.di hat hier tatsächlich politisch agiert, das rechne ich allen beteiligten Personen und Gremien hoch an. Die gewerkschaftliche Solidarität war von Beginn an ein zentraler Bestandteil meines Kampfplanes gegen das Berufsverbot.
Du bist ja nicht der erste Linke, der in der BRD ein Berufsverbot erhält. In den 1970ern waren Tausende vom sogenannten »Radikalenerlass« der Regierung Brandt betroffen. Wiederholt sich die Geschichte heute?
Geschichte ist in meinen Augen kein Kreis. Geschichte ist vielmehr als eine sich weiterdrehende Spirale zu verstehen. Als solche streift sie immer wieder Vektoren oder Tendenzen, die wir aus vorangegangenen Perioden wiedererkennen. Diese Tendenzen finden aber aufgrund dieser spiralförmigen Bewegung niemals auf derselben Ebene statt. Dementsprechend können wir natürlich eine Parallele zum »Radikalenerlass« aus den 1970ern erkennen. Allerdings unter veränderten Bedingungen: Die wichtigste Änderung ist die endgültige Niederlage der proletarischen Revolution von 1917, verkörpert durch den Zusammenbruch der Sowjetunion und damit einhergehend eine noch nie dagewesene Akkumulation von Kapital. Dieser Akkumulation steht eine krasse Prekarisierung vieler Bevölkerungsschichten gegenüber, in den kapitalistischen Zentren geht das auch einher mit einer Proletarisierung von kleinbürgerlichen Schichten. Der damit entstehenden Unzufriedenheit stellt der bürgerliche Staat weiträumige Repression gegenüber – an den (Hoch-)Schulen sowie in den Betrieben. Sowohl der »Radikalenerlass« der 1970er als auch die aktuellen Berufsverbote sind als taktische Maßnahmen im Klassenkampf zu verstehen. Dementsprechend ist es die Aufgabe der Arbeiter*innenbewegung, sich mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln gegen derlei Maßnahmen zu wehren.
Was braucht es jetzt im Kampf um unsere demokratischen Rechte?
Meiner Meinung nach ist die wichtigste Aufgabe, solche Kämpfe wie die gegen Berufsverbote, aus der Arena der bürgerlichen Gerichte in die Betriebe zu tragen, unseren Kolleg*innen aufzuzeigen, dass sinkende Löhne, der Abbau von sozialer Infrastruktur und die Beschneidung demokratischer Rechte zusammenhängen. Es braucht Öffentlichkeit, aber auch Organe der proletarischen Öffentlichkeit, die unserer Klasse die Diskussion über derartige Entwicklungen ermöglichen. Darüber hinaus müssen Organe der proletarischen Selbstorganisierung aufgebaut werden, die eine ernsthafte Verteidigung der erkämpften Rechte ermöglichen und perspektivisch auch irgendwann eine proletarische Offensive im Kampf um die Interessen von Arbeiterinnen und Arbeitern. Ich selbst werde den Kampf weiterführen und ihn gleichzeitig als Bühne nutzen, um aufzuzeigen, dass wir uns in einem Konflikt unterschiedlicher gesellschaftlicher Interessen befinden und dass wir unsere Interessen so vehement wie möglich vertreten müssen.
Das Interview führte Luca Groß (SDS Frankfurt).