
06 Feb. „Ich will ein Mandat für den Bezirk gewinnen und zur Rettung der Linken beitragen“
Ferat Koçak – bei Instagram und Tiktok auch bekannt als der Neuköllner – ist Aktivist und Abgeordneter im Berliner Landtag. Nun kandidiert er für den Bundestag. Im Interview erzählt er von seinen Gesprächen und Erfahrungen aus Neukölln und warum für ihn sowohl der Wahlkampf, als auch der Protest auf der Straße zur antifaschistischen Arbeit gehören.
Ferat, du kandidierst gerade für die Linke als Bundestagskandidat für Neukölln. Zentral für deine Kampagne ist der Vorsatz »Politik ganz anders zu machen«. Was bedeutet das für dich?
Für mich heißt das, die arbeitenden Menschen wieder ins Zentrum der Politik zu rücken. Einerseits durch Haustürgespräche: Wir haben in Neukölln bereits an 25.000 Türen geklingelt, um über die echten Probleme zu sprechen. Die kennen die Menschen selber ganz gut. Hier geht es auch um Glaubwürdigkeit für uns als Partei.
Andererseits heißt Politik anders machen, Menschen mit Rückgrat und Haltung ins Parlament zu schicken. Menschen, die sich nicht kaufen lassen. Abgehobene Gehälter führen zu abgehobener Politik. Ich begrenze aktuell schon meine Diät als Mitglied des Abgeordnetenhauses und habe mich auch dazu verpflichtet, mein Gehalt im Bundestag auf 2.500 Euro zu begrenzen. Alles andere geht an Projekte im Kiez, unter anderem meine Sozialsprechstunde. Dort können Menschen hinkommen, die in schwierigen Lagen stecken. Und ich habe bei der Stadtteilversammlung im Dezember versprochen, dass ich die Neuköllner bei komplizierten Fragen konsultieren werde, also spätestens in einem Jahr wieder eine Versammlung machen werde. Hunderte Menschen haben sich an unseren bisherigen Wahlkampfaktivitäten beteiligt. Ich will ein Mandat für den Bezirk gewinnen und zur Rettung der Linken beitragen.
In Neukölln finden häufig palästina-solidarischer Protest statt, einige Menschen im Bezirk sind selbst Geflüchtete und haben Familie im Kriegsgebiet. Viele berichten von Polizeigewalt gegen die Demonstrierenden, wie wirkt sich das auf die Lage in Neukölln aus?
Neukölln ist Heimat einer der größten palästinensischen Communities weltweit. Hier leben tausende Menschen, die Familienmitglieder oder Freund*innen verloren haben. Lange vor dem 7. Oktober 2023 wurden deren Grundrechte massiv eingeschränkt und Demonstrationen verboten. Das hat sich massiv zugespitzt. Ich setze mich schon lange dafür ein, dass alle Menschen die Möglichkeit haben ihre Trauer, Wut und Verzweiflung gegen den Genozid auf die Straße zu tragen.
Ein Thema was du sehr zentral setzt ist der Kampf gegen Rechts. Du bist selbst Betroffener rechter Gewalt, auf dich und deine Familie wurden zwei Brandanschläge verübt. Nach einem langen Prozess wurden die Täter vor wenigen Wochen schuldig gesprochen. Wie blickst du auf dieses Urteil und den Prozess dahin? Wie fließen diese Erfahrungen in deine politische Arbeit ein?
Ich frage mich, warum es fast sieben Jahre gebraucht hat, bis die dringend Tatverdächtigen verurteilt wurden. Aber es fügt sich in das Bild von Sicherheitsbehörden und beängstigenden Querverbindungen von Staat und Justiz in die rechte Szene. Diese Jahre waren eine psychische Belastung, keine Frage. Trotzdem habe ich auch immer wieder Mut daraus geschöpft. Ich ziehe zwei Lehren: Die Rechten kriegen uns nicht klein und – um die Holocaust-Überlebende Esther Bejerano zu zitieren: »Wer gegen Nazis kämpft, kann sich auf den Staat nicht verlassen!«. Aber auch unser Wahlkampf ist antifaschistisch. Bei unseren Haustürgesprächen reden wir mit den Menschen über die wirklichen Probleme und Spaltung in dieser Gesellschaft und bauen eine echte Alternative zur AFD auf.
Du warst an einem Protest gegen eine Nazi-Demonstration in Friedrichshain und an den Widersetzen-Aktionen gegen den Parteitag der AFD in Riesa beteiligt. Warum bist du weiterhin auch außerhalb des Parlaments politisch aktiv?
Antifaschismus müssen wir selber machen, da hilft kein Staat, keine Polizei, keine Justiz. Der Angriff auf meinen Freund und Genossen Nam Duy Nguyen in Riesa war dafür exemplarisch. Inhaltlich war der AFD-Parteitag zutiefst unheimlich. Wo der Begriff »Remigration« vor einem Jahr noch ein absoluter Skandal war, nimmt die AFD dieses Ziel nun als Forderung ins Wahlprogramm. Sie wollen hunderttausende unserer Freund*innen, Nachbar*innen und Kolleg*innen deportieren. Umso wichtiger ist es eben auch, kollektiv und von unten der AFD Niederlagen zuzufügen. Es kann zwar nur der Auftakt zu vielen weiteren Aktionen sein, aber »Widersetzen« in Riesa war ein riesiger Erfolg.
Das Interview führte Sabine Daams vom SDS Berlin.