14 Juli Wissenschaften für den Antifaschismus
Universitäten sind kein ideologiefreier Ort; das zeigt sich auch in der Lehre! Viele Studiengänge sind klar neoliberal geprägt und werden im Sinne von Kapitalinteressen geformt. Was es braucht, damit VWL, Geschichte, Physik und Psychologie ihr antifaschistisches Potenzial ausschöpfen können, lest ihr hier.

Antifaschistische Psychologie
Auch wenn sie es sich selbst nicht eingestehen will: Die Psychologie ist politisch und alles andere als neutral. Aktuell stützt sie in Theorie und Praxis das herrschende Gesellschaftssystem.
In der heutigen Psychologie werden gesellschaftliche Umstände, die zu psychischem Leid führen, praktisch nicht hinterfragt. Diese fehlende Aufklärung führt dazu, dass Frustration aufgrund von Ausbeutung, Entfremdung und Unterdrückung eher auf andere Menschen projiziert wird, und stärkt damit menschenfeindliche Ideologien. Solidarische Strategien zur Bekämpfung psychischen Leids werden durch den individualisierenden Blick der Psychologie behindert. Betroffenen wird gesagt, dass sie innerhalb des bestehenden Systems ihre eigenen Bedürfnisse (die künstlich in Opposition zu den Bedürfnissen aller anderen gebracht werden) priorisieren sollen. Sie werden dadurch von ihren Mitmenschen entfremdet und selbstsüchtiges Verhalten wird gefördert.
Eine antifaschistische Psychologie sollte stattdessen Mut machen, schädliche Strukturen zu verändern und auf solidarische Bedürfnisbefriedigung hinarbeiten. Der im Neoliberalismus alltäglich konstruierte Gegensatz zu anderen schadet Leidenden. Durch die Erfahrung, in einer solidarischen Gemeinschaft Veränderung zu bewirken, könnten sie psychische Stärke finden. Die Konstruktion »psychischer Krankheit« beinhaltet den Glauben an ein »normales« Verhalten und begünstigt die Abwertung von Menschen, die dieser Normalität nicht entsprechen (wollen). Die Psychologie wird so zu einer verhaltenskontrollierenden Instanz im Sinne der herrschenden Gesellschaftsordnung. Eine antifaschistische Psychologie sollte menschliche Diversität fördern, statt auf Anpassung zu drängen. Sie sollte den medikalisierenden Blick ablegen und psychisches Leid als verständliche Reaktion auf äußere Umstände begreifen. Eine Psychologie, die es mit der Bekämpfung psychischer Probleme ernst meint, muss sich aktiv gegen Ideologien stellen, die selbst massives Leid verursachen. Sie muss also antifaschistisch sein.
Jan (27) will kaputt machen, was uns kaputt macht und ist deshalb in Münster beim SDS und bei einem Lesekreis zu kritischer Psychologie aktiv.

Antifaschistische VWL
Wer sich für ein Studium der Volkswirtschaftslehre (VWL) entscheidet, könnte meinen, er lerne darüber, wie Wirtschaft bestmöglich organisiert werden kann. Stattdessen ist realitätsferner, unwissenschaftlicher Neoliberalismus in Reinform angesagt. Weltfremde Modelle, die den Menschen als Homo Oeconomicus voraussetzen, dessen Handeln lediglich auf Wohlstandsmaximierung aus ist, werden zwar regelmäßiger Kritik ausgesetzt, trotzdem sind sie weiterhin Grundlage der neoklassischen VWL. Bereits seit den 1970er Jahren dominiert das neoklassische Dogma innerhalb der Wirtschaftswissenschaften. Obwohl dieses die inhärente Krisenhaftigkeit des Kapitalismus nicht anerkennt, keine Lösungen für soziale Ungleichheit und Klimakrise bietet und wissenschaftliche Standards nicht erfüllt, scheinen plurale Ansätze kaum Anklang an (deutschen) Unis zu finden. Die Neoklassik, die im Studium so vehement vermittelt wird, propagiert geringe sozialstaatliche Ausgaben, verklärt Profite als Wohlstandsgewinn und kennzeichnet staatliche Eingriffe in den Markt als gefährlich. Abgesehen davon wird den Menschen keine Selbstwirksamkeit zugesprochen. Statt nach ihren Bedürfnissen zu wirtschaften, sollen sie sich den denen des Marktes unterwerfen. Aktuell entsteht durch Krise(n) und soziale Verelendung in breiten Schichten der Bevölkerung Frustration.
Dass daraus kein antikapitalistisches Bewusstsein entsteht, sondern ein Nährboden für den Faschismus geschaffen wird, hat nicht zuletzt mit dem Individualismus der VWL zu tun. Es bleibt die Frage, warum das Neoklassische Dogma schon seit mehr als 50 Jahren dominiert, obwohl seine wissenschaftlich unsaubere Art und sein geringer Erklärungswert längst nachgewiesen sind und was wir tun können, um das zu ändern.Statt Neoklassik braucht es deshalb vielfältige, kritische Perspektiven auf das herrschende System. Dabei müssen plurale Erklärungsansätze um Geltungsanspruch streiten. Gerade mit einer marxistischen Analyse können wir die Vielfachkrise besser verstehen und Alternativen formulieren, die menschliche Bedürfnisse ins Zentrum der Wirtschaft rücken.
Viki (21) studiert in Düsseldorf Philosophie, Politik und VWL und will die Neoklassik aus dem Hörsaal jagen.

Antifaschistische Zwecke und Fragen der historischen Wissenschaft
Antifaschistische Zwecke und Fragen der historischen Wissenschaft Da wir gesellschaftliche Verhältnisse nicht naturgegeben-statisch, sondern als Ergebnis geschichtlicher und von uns (selbst-)bewusst zu führender Klassenkämpfe begreifen, ist die historische Perspektive auf soziale Verhältnisse und politische Entwicklungen wesentlich für alle
fortschrittliche Sozialwissenschaft. Anders gesagt: Wer den Faschismus mit seinen Wurzeln ausrotten will, muss die ökonomischen, politischen und kulturellen Entwicklungen wie auch die Debatten um Widerstandstaktiken der Organisationen der Arbeiterbewegung analysieren und sich dafür die aus der Befreiung vom Faschismus gelernten Erfahrungen immer wieder neu aneignen. Im Gegensatz zur bürgerlichen Faschismusforschung brechen wir diese besonders aggressive Form bürgerlicher Herrschaft gerade nicht aus der imperialistischen Krisenlogik heraus, weshalb es verkürzt wäre, die konkrete geschichtswissenschaftliche Erklärung des Faschismus als alleinige Bestimmung antifaschistischer historischer Sozialwissenschaft anzugeben. Wie sehr auch die scheinhistorische Hetze gegen die palästinensischen Befreiungsbestrebungen sich als Lehre
aus dem Faschismus ausgibt oder mit Hitlervergleichen und Verweise auf das Münchener Abkommen NATO-kritische bzw. Friedensinitiativen in Bezug auf den Krieg in der Ukraine dämonisiert werden, ist es dennoch unabdingbar durch kritisch-rationale Aufklärung die Deutung über den Faschismus seinen politischen Erben zu entreißen.
Das positive antifaschistische Verständnis vergangener Genoss*innen, die bereits vor der Machtübertragung den Kampf gegen den Faschismus aufnahmen, ihn bezwangen und mit der DDR den Aufbau einer alternativen Gesellschaft begannen, erweitert die inhaltlichen Fragestellungen einer „antifaschistischen historischen Wissenschaft“ über die Ideologiekritik hinaus. Historische Aufklärung über die ökonomischen Gründe der Umstellung aller Lebens-und Wirtschaftsbereiche auf Kriegstüchtigkeit kann unsere Klasse zum Handeln für eine wirklich humane, friedliche, sozialistische Gesellschaft befähigen. Zentrales Anliegen antifaschistischer Wissenschaft ist die Bildung über die Veränderbarkeit der geschichtlichen Entwicklung und die Erfahrungen der Arbeiterparteien. Auch die Diskussion über Geschichtswissenschaft, Geschichtskultur und antifaschistische Bildung hat mit den Erfahrungen aus der DDR bereits eine Grundlage. Wir müssen nicht bei Null anfangen.
Anna (24) studiert Geschichtswissenschaft in Bonn und hat durch die Geschichte der Mediävistik in der DDR mehr über die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln gelernt als durch bürgerliche „NS-Forschung“.

Antifaschistische Physik
Große Teile des technischen Fortschritts der Neuzeit beruhen auf der Physik. Somit hat sie eine enorme Relevanz für die kapitalistische Produktionsweise. Sie hat die Industrielle Revolution sowie die Atombombe ins Leben gerufen und mit Halbleitern die Grundlage für den kommerziellen Computer ermöglicht. Schon lange wurden Erzählungen der natürlichen Überlegenheit weniger, »wissenschaftlich« begründet. Dies spitzt sich auch um die Physik zu, die als reine und objektive Wissenschaft dargestellt wird. DER Physiker verkörpert in der öffentlichen Wahrnehmung das Genie schlechthin. Mit der Physik bewaffnen sich deshalb zum Beispiel Superreiche, um ihre Macht zu erhalten und zu legitimieren und den Sprung zum Faschismus zu rationalisieren. Setzt man sich jedoch in eine typische Vorlesung, könnte man das alles aber nicht erraten. Sie besteht hauptsächlich aus Formelschieben und auch in der Forschung ist es nicht anders. Das größte Problem der Disziplin ist eine starke Entfremdung. Im Gegensatz zur dominanten Entpersonalisierung, wird Physik von Menschen betrieben und jeder Fragestellung liegt ein subjektives Erkenntnisinteresse zugrunde.
Dieser zentrale Teil der Physik zieht sich durch den gesamten Prozess der Erkenntnisgewinnung: angefangen mit der Fragestellung selbst und permanent durch subjektive Näherungen weitergeführt. Fragestellungen müssen offen, gesellschaftlich begründet werden um davon ausgehend für soziale Verbesserung zu kämpfen. Auch darf die Physik nicht für Krieg und Ausbeutung missbraucht werden. Gerade in der Grundlagenforschung ist es unmöglich abzuschätzen, was mit den neu gewonnen Erkenntnissen geschieht. Mit der Entdeckung der Kernspaltung 1938 war nicht abzusehen, dass sieben Jahre später die ersten beiden Atombomben über Hiroshima und Nagasaki abgeworfen werden. Anstatt nach der Entwicklung einer abstrakten Formel diese der Nachwelt zu überlassen,müssen ihre Ergebnisse öffentlich eingeordnet werden. Konkret bedeutet es darüber aufzuklären wer, aus welchenGründen, Interesse an den Ergebnissen hat und sich dafür einzusetzen, dass sie dann für Allgemeinwohl verwendet werden.
Freddy (21) studiert in Köln Physik, ist dort auch beim SDS aktiv und fühlt sich von seinem Studium entfremdet, geht es jedoch mit seiner Fachschaft (die beim Artikel mitgeholfen hat) an, in der es fester Teil der Programmatik ist.