RWE enteignen – Lützi bleibt!

1,5° heißt: Lützerath bleibt!

RWE enteignen – Lützi bleibt!

Am 13. Februar lud das Bündnis Alle Dörfer Bleiben! zum Spaziergang in Lützerath im rheinischen Braunkohlegebiet ein. Es kamen über 300 Menschen. Lukas Geisler war vor Ort und hat mit Aktivist*innen aus den verschiedenen Bündnissen Gespräche geführt.

An diesem Sonntag ist viel Treiben in dem kleinen Dorf, das am Wochenende keine Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr hat. Zehn Kilometer sind es nach Erkelenz, wo sich der nächstgelegene Bahnhof befindet. Von dort sind es 40 Minuten mit der Bahn nach Düsseldorf. Schon von Weitem sind die mehrere hundert Meter großen Schaufelradbagger von Garzweiler II zu sehen. Lützerath ist mehr als ein symbolischer Ort, denn nach einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung würde bereits das Abbaggern der Kohle unter dem Ort dazu führen, dass Deutschland seinen Beitrag zur Einhaltung der 1,5°-Grenze nicht erfüllen kann. Damit Deutschland das 1,5°-Ziel zu einer Wahrscheinlichkeit von 50% einhalten kann, so die Berechnungen, dürfen nur noch 200 Millionen Tonnen Braunkohle in den Tagebauen Hambach und Garzweiler abgebaut werden. Laut dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) gewährleistete dieser „Kohleausstiegspfad im Einklang mit dem 1,5° Budget […] auch den Erhalt der Garzweiler Dörfer“.[1]https://www.alle-doerfer-bleiben.de/wp-content/uploads/2021/08/diwkompakt_2021-169.pdf

Der letzte Landwirt

Deshalb fordert die Initiative Alle Dörfer Bleiben!, die hauptsächlich aus Einwohner*innen der Orte besteht, seit 2018, dass die Kohle unter Lützerath und den fünf weiteren bedrohten Dörfern am Tagebau Garzweiler II unter keinen Umständen abgebaut und genutzt werden darf. Eckardt Heukamp, der letzte der ursprünglichen Einwohner*innen von Lützerath, kämpft gegen den Braunkohle-Tagebau sowie seine Enteignung durch RWE und die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen. Die Abrisskante vom Braunkohletagebau Garzweiler II ist nur rund 200 Meter von seinem Hof entfernt. Die von RWE vorgesehene Enteignung beruft sich rechtlich auf ein uraltes Bergbaugesetz und darauf, dass es im öffentlichen Interesse wäre, die Kohle unter Lützerath abzubaggern. Gerade letzteres ist ein absurdes Argument, denn kein Energieträger in Deutschland ist klimaschädlicher als Braunkohle. Dies unterstrich auch das Bundesverfassungsgericht im April 2021, als es das Klimagesetz der alten Regierung als verfassungswidrig erklärte.[2]https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2021/bvg21-031.html Noch rund 1.500 Menschen sollen ihr Zuhause an den Tagebau verlieren. Im Rheinland wurden bereits mehr als 45.000 Menschen für Braunkohletagebaue umgesiedelt und über 100 Orte zerstört.

Neue Bündnisse und ein gemeinsamer Kampf

Doch inzwischen ist Eckardt Heukamp nicht mehr der einzige Bewohner von Lützerath, denn bis zu 300 Klimagerechtigkeitsaktivist*innen haben sich auf seinem Hof und Grundstück niedergelassen. Mittlerweile gibt es mehr als 30 Baumhäuser, dazu viele selbstgebaute Hütten. Auch Häuser, die noch nicht den Abrissmaßnahmen von RWE zum Opfer gefallen sind, wurden besetzt. Bunt, lebhaft und einladend haben die Aktivist*innen ihr neues Domizil gestaltet.

Die neuen Einwohner*innen in Lützerath sind ein Zusammenschluss aus mehreren Klimagerechtigkeits-Gruppen, die den Kampf gegen RWE aus den Dörfern in die Städte tragen und vor Ort an der Seite der Menschen im Rheinland stehen, wenn RWE mit der Zerstörung fortfahren will. Gemeinsam wollen sie sich mit verschiedenen anderen Akteur*innen und Aktivist*innen gegen Zerstörungen, die RWE und die Landesregierung wehren. Sie stellen sich auch gegen die kapitalistische Profitlogik sowie die damit vorangetriebene Klimakrise. Einige von ihnen waren auch schon an der Besetzung im Hambacher Wald beteiligt. Andere sind bei Ende Gelände organisiert. Im September 2021 stellte das Verwaltungsgericht Köln in seinem Urteil fest, dass die Räumung des Hambacher Waldes mit der Begründung des Brandschutzes rechtswidrig gewesen sei.[3]https://www.tagesschau.de/regional/nordrheinwestfalen/hambacher-forst-255.html Trotz der Räumung werten die Klimagerechtigkeitsaktivist*innen die Besetzung als Erfolg, denn der Hambi darf bleiben. Nun wollen sie in Lützerath an den erfolgreichen Widerstand anschließen.

Die ZAD Rheinland

Um den Forderungen mehr Ausdruck zu verleihen, haben sie die ZAD Rheinland ausgerufen. ZAD steht für „Zone a defendre“, ist an widerständige Praktiken aus Frankreich angelegt und ist ein Neologismus, der sich auf eine militante Besetzung bezieht, die darauf abzielt, ein Konzernvorhaben physisch zu blockieren. In Frankreich tauchte der Begriff Anfang der 2010er Jahre auf und wurde erstmals während des Widerstands gegen das Flughafenbauprojekt in Notre-Dame-des-Landes populär. Diese Zone haben die Klimaktivist*innen mit einer symbolischen Linie am Rande von Lützerath kenntlich gemacht. Die Botschaft: Bis hierhin und nicht weiter. Bei der Rede einer Aktivist*in von ZAD Rheinland auf dem Spaziergang von Alle Dörfer Bleiben! rufen sie zum Widerstand auf: 

„Wir haben den Hambi verteidigt – wir werden auch Lützerath verteidigen! Die 1,5°-Grenze verläuft vor Lützerath und wir werden hier ihre Einhaltung durchsetzen. Wir haben schon Kraftwerke lahmgelegt, RWE Millionen gekostet und mehr als einmal gezeigt, was wir von einem Staat und System halten, der Profite über Menschen stellt. In den Bäumen und im Hüttendorf verhandeln wir nicht mehr, denn die Klimakrise kennt keine Kompromisse.“

Und die Zeit spielt den Aktivist*innen in die Hände. Denn die Rodungssaison in Nordrhein-Westfalen ist immer von Oktober bis Ende Februar. Außer mit einer Sondergenehmigung wären dem Konzern RWE dann bis zum nächsten Winter die Hände gebunden. Zwar sollte Ende Januar das Oberverwaltungsgericht Münster über den Erhalt oder den Abriss von Lützerath entscheiden, allerdings verzögert sich dieses Urteil aus unbekannten Gründen. Gerade auch die anstehende Landtagswahl im Bundesland könnte ein weiterer Faktor werden. Denn die schwarz-gelbe Regierung in Düsseldorf wird bemüht sein, nicht wieder ähnliche mediale Bilder wie bei der Räumung des Hambacher Waldes zu produzieren.

RWE Enteignen!

Auch der Ex-Bundestagsabgeordnete Zeki Gökhan, ein linkes Urgestein aus Nordrhein-Westfalen, ist an diesem Sonntag wieder nach Lützerath gekommen. Für ihn ist klar: „Stopp mit Rodung und Zerstörung! Keine weitere Braunkohleverstromung. Alle Dörfer müssen bleiben, das 1,5°-Ziel müssen wir halten!“. Er ist nicht der Einzige, der an diesem Tag fordert, dass der Energiekonzern RWE enteignet werden sollte. Trotz angeblicher Nachhaltigkeitsstrategie ist der Konzern nach Angaben von Greenpeace weiterhin mit 89 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr größter Emittent Europas.[4]https://www.greenpeace.de/publikationen/kurzanalyse_rwe_-_vom_winde_verweht_maerz_2021.pdf

Auf die doch eher bürgerlichen Proteste der Initiative Alle Dörfer Bleiben! mit dem anschließenden Gottesdienst der Initiative Die Kirche(n) im Dorf lassen angesprochen, erwidert eine Aktivistin der ZAD Rheinland, dass es für die Klimagerechtigkeits-Bewegung keine Rolle spielt: „Wir lassen uns nicht spalten. Wir beleben das Dorf Lützerath und zeigen dabei, dass eine andere Lebensform, ohne Konkurrenz und kapitalistische Verwertungslogik, möglich ist. Das geht nur gemeinsam. Nur mit gesellschaftlichen Mehrheiten können wir den Kapitalismus überwinden!“

Von Lützerath lernen

Das Bekenntnis zum Pariser 1,5°-Ziel fällt im Koalitionsvertrag nicht sehr konkret aus. Die Klimaziele von Paris zu erreichen habe „oberste Priorität“, heißt es. Der Kohleausstieg soll „idealerweise“ auf 2030 vorgezogen werden. Gerade das zeugt davon, dass man politischen Druck braucht, um die sozial-ökologische Zangenkrise anzugehen. Um diesen Druck zu erreichen, braucht es einen neuen Kristallisationspunkt – Lützerath kann dieser Ort für den Kampf für Klimagerechtigkeit werden. Gerade, weil er nicht nur symbolisch aufgeladen ist, sondern ganz real für das 1,5°-Ziel steht. Doch noch mehr, weil in den Baumhäusern und dem Hüttendorf von Lützerath eine konkrete Utopie einer anderen, einer postkapitalistischen Gesellschaft gelebt wird – und zwar nicht gegen, sondern mit den Bewohner*innen der umliegenden Dörfer. Lützerath zeigt, wie eine neue Klassenpolitik und neue Bündnisse zwischen jungen, urbanen sowie akademischen Aktivist*innen und ländlichen Dorfbewohner*innen aussehen können. Sie führen einen gemeinsamen Kampf: Gegen Kohleverstromung durch RWE und gegen die Pläne der Landesregierung von Nordrhein-Westfalen.

Von Lukas Geisler