Brennpunkt Krankenhaus

Demonstrierende Mitarbeiter*innen im Gesundheitswesen

Brennpunkt Krankenhaus

Der Pflegenotstand verschärft die Situation in den Krankenhäusern bundesweit. Deswegen streiken im Mai die Pflegekräfte in NRW, falls sich bis dahin nichts ändert. Über die Notwendigkeit der Arbeitskämpfe und den Tarifvertrag Entlastung berichtet Moritz.

Es ist mal wieder soweit: Leere Supermarktregale in der Bundesrepublik Deutschland. Dieses Mal fehlt Speiseöl. Das kommt hauptsächlich aus Russland und der Ukraine in unsere Supermärkte, also wird mal wieder gehamstert was das Zeug hält. Wer kann schon sagen, wann es Nachschub gibt?! Oder ob überhaupt?! Wie immer ist unsere Aufmerksamkeit an den völlig falschen Stellen gebündelt und selbst fehlendes Speiseöl und hohe Spritpreise werden zynisch als Vorboten der Apokalypse gedeutet.

Bei all den düsteren Prophezeiungen wird leider schnell verschwiegen, dass es auch schon lange vor der Ukraine-Invasion genug gute Gründe gab, sich um unsere Infrastruktur zu sorgen: Spätestens die Corona-Pandemie hat doch eigentlich schon deutlich gemacht, wie katastrophal es zum Beispiel um unsere medizinische Versorgung bestellt ist. Unsere Krankenhäuser sind dabei Brennpunkt und Hoffnungsschimmer zugleich, denn ein Arbeitskampf bahnt sich an, der unsere Aufmerksamkeit mehr verdient als leere Supermarktregale.

Das Problem heißt Pflegenotstand

Am ersten Mai, pünktlich zum Internationalen Kampftag der Arbeiter*innen, werden die Beschäftigten aller sechs großen Universitätskliniken in Nordrhein-Westfalen in den Streik gehen. Das tun sie, weil ihre Arbeitsbedingungen seit Jahren immer prekärer werden und die Politik und Arbeitgeber*innen auf ihre Hilferufe trotz Zusicherungen bislang mit kaum mehr als Applaus reagiert haben. Doch was die Beschäftigten wirklich brauchen, ist Entlastung. Und zwar schleunigst.

Das Problem hat einen Namen: Pflegenotstand. Er ist mittlerweile den meisten Menschen ein Begriff und beschreibt einen akuten Personalmangel in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen. Zu wenige Arbeitskräfte müssen zu viel leisten. Das kommt nicht von irgendwo: Dank demographischem Wandel werden immer mehr Menschen in der Bundesrepublik pflegebedürftig. Gleichzeitig rücken immer weniger Menschen in Pflegeberufe nach. Die schlechten Arbeitsbedingungen treiben noch bestehende Arbeitskräfte aus dem Beruf. Ein Teufelskreis entsteht, der seit Jahren die Situation in den Krankenhäusern verschärft. Den überarbeiteten Pflegekräften unterlaufen Flüchtigkeitsfehler, Auszubildende müssen ohne die nötige Einarbeitung völlig allein klarkommen, und „mal eben eine Pause“ kann auch niemand machen. Das gefährdet nicht nur die Pfleger*innen, sondern auch die Patient*innen, denn eine angemessene Versorgung kann nicht immer gewährleistet werden.

Ein Tarifvertrag Entlastung als wichtigster Schritt

Die Lösung liegt auf der Hand: Ein Tarifvertrag muss her, der den Krankenhäusern eine sinnvolle Personalbemessung vorschreibt. Die darf nicht nur für Pflegepersonal gelten, sondern muss für alle Krankenhausbeschäftigten greifen. Außerdem muss für angemessenen Ausgleich gesorgt werden, wenn Arbeitsplätze doch mal unterbesetzt sein sollten.

Der TVE (Tarifvertrag Entlastung) ist vielleicht der wichtigste Schritt, den Beschäftige an Krankenhäusern jetzt gehen können, um ihre eigenen Arbeitsbedingungen zu verbessern. Er schafft akute Abhilfe gegen den Pflegenotstand, weil er Abwanderung von Arbeitskräften vermindert, die Rückkehr in die Pflege begünstigt, und Ausbildungsplätze attraktiver gestaltet. Er ist weiterhin ein starkes Druckmittel, mit dem andere Kliniken im Umkreis in Zugzwang gebracht werden können, und er hinterlässt gewerkschaftlich organisierte Belegschaften an den Krankenhäusern, die hoffentlich zu einer deutlich größeren Bewegung zusammenwachsen können, um gemeinsam für ein Gesundheitssystem ohne Profite weiter zu kämpfen.

Gesundheit kann man nicht hamstern!

In Berlin hat das Bestreben um einen TVE jüngst zum Erfolg geführt. 2021 erkämpften sich die Beschäftigten der Berliner Krankenhausträger Charité und Vivantes jeweils ihre eigenen Tarifverträge und sind seitdem bestens organisiert. Die Unikliniken in Aachen, Bonn, Düsseldorf, Essen, Köln und Münster ziehen jetzt nach und wir, die auf den Zuschauertribünen sitzen, sollten ganz genau hinsehen.

Nichts verdient unsere Aufmerksamkeit jetzt mehr als unser Gesundheitswesen. Wir müssen das streikende Krankenhauspersonal bei ihrem Arbeitskampf unterstützen, indem wir ihre Streikposten besuchen und bei unseren Freund*innen und Verwandten um Verständnis für die Streiks werben. Es wird höchste Zeit. Denn Gesundheit kann man nicht einfach hamstern!

Dieser Beitrag erschien zuerst in unserer Semesterausgabe – critica Nr. 28