Marx auf Share-Pics

Statt dicken Büchern gibt es nun linke Theorie

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Menschen, die neu in die linke Bewegung einsteigen oder auch schon länger dabei sind, sehen sich früher oder später mit dem Thema “Theorie” konfrontiert. Schnell werden einem diverse Begriffe aus Politik, Wirtschaft und Philosophie um die Ohren geworfen. Es wird von “Materialismus”, “Dialektik” oder “Warenfetisch” gesprochen, als wäre klar, was damit gemeint ist. Der Berg aus empfohlener Literatur ist groß – genauso wie die Hürde, sich mit Theorie zu befassen.

Auf ihrem Instagram-Account @linketheorie und in ihrem Podcast vermitteln Lea und Yannic verschiedene Aspekte marxistischer Theorie gut zugänglich. In kurzen, nach Themen strukturierten Posts, fassen sie Inhalte zu Feminismus, Kolonialismus, politischer Ökonomie und mehr zusammen.

Wie hat das Projekt “linketheorie” begonnen und hattet ihr einen klaren Anspruch vor Augen?

Yannic: Begonnen haben wir 2020 im Lockdown. Damals waren wir beide aktiv in der GEW (Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft). Als das durch die Corona Pandemie schwieriger wurde, haben wir darüber nachgedacht, wie wir uns sonst für die linke Bewegung engagieren könnten. 

Lea: Einen klaren Anspruch hatten wir nicht. Wir haben uns beide viel mit marxistischer Theorie beschäftigt und dachten, dass wir im Lockdown am besten über Social Media etwas beitragen könnten, um die linke Bewegung voranzubringen. 

Mittlerweile hat euer Instagram Account mehr als 20.000 Abonnent*innen. Damit seid ihr eins der größten linken Social-Media-Projekte. Habt ihr eine solche Resonanz erwartet? 

Lea: Wir hätten nie damit gerechnet, dass wir auch nur annähernd die Hälfte erreichen. 

Yannic: Mit der Zeit war unser Account ein Selbstläufer. Es kamen immer mehr Leute dazu, wir wurden öfter geteilt und so hat eine Art Multiplikatoreneffekt eingesetzt. Unter unseren Followern sind auch Menschen, die uns nur folgen, um sich über Linke aufzuregen. Aber vor allem kommen unsere Abonnent*innen aus den unterschiedlichsten linken Strömungen. Auch aus solchen, die weit von dem entfernt sind, was wir eigentlich vermitteln wollen. 

Wer sind die Menschen, an die ihr euch richtet? Glaubt ihr, eure Posts können auch “bauchlinke” Menschen politisieren? 

Lea: Uns geht es grundsätzlich um Theoriebildung für die deutsche Linke. Unser Format ist an ein breites Spektrum der linken Szene gerichtet. Und natürlich auch an Menschen, die vielleicht nur erste Sympathien mit der linken Bewegung haben und bei denen Interesse für mehr geweckt werden kann. 

Yannic: Für uns ist Theorie nicht gleich Theorie. Wir wollen auch erfahrenere Linke auf Aspekte marxistischer Theorie, wie Feminismus, Antirassismus oder Antiimperialismus aufmerksam machen, die oft vergessen werden. Hier sehen wir unsere Posts als Anstupser zu diesen wichtigen Themen. 

Bekommt ihr häufig Nachrichten von Abonnent*innen oder auch Anfeindungen von rechts? 

Yannic: Ich glaube, wir bieten keine gute Angriffsfläche für Hasskommentare. Wir versuchen immer fundiert mit Fakten zu argumentieren. Deshalb sind wir wahrscheinlich in einer anderen Position als Accounts, die sozialistische Memes teilen, die eher auf Emotionen abzielen. 

Lea: Um uns anzugreifen, müsste man zuerst unsere Inhalte lesen. Das ist wahrscheinlich eine Hürde, die uns vor 08/15-Trollen schützt. Vereinzelt bekommen wir natürlich trotzdem Provokationen zugeschickt. 

Yannic: Aber vor allem erhalten wir über unterschiedliche Kanäle sehr liebe Nachrichten, die uns motivieren weiterzumachen. Solche Interaktionen schließen dann die Lücke, die durch Social Media entsteht, zwischen unseren Posts und ihrem Effekt, den wir sonst nicht spüren würden. 

Wieso setzt ihr Schwerpunkte auf diese Themen und klärt über diverse Formen der Unterdrückung auf? 

Lea: Kolonialismus und Imperialismus sind Themen, die uns persönlich sehr interessieren und die im aktuellen Weltsystem sehr relevant sind. Wenn man sich in deutschen linken Strukturen befindet, interessiert man sich vielleicht erstmal nicht für diese Thematiken, außer man ist selbst zum Beispiel von Rassismus betroffen. Klassische marxistische Ökonomie mag eine Grundlage sein, aber wir versuchen möglichst viele gesellschaftliche Themen genau auf dieser Grundlage darzustellen. 

Wie entscheidet ihr, welche Themen ihr beleuchtet, und wie bereitet ihr eure Inhalte vor? 

Lea: Das Entscheidende für uns ist, dass ein Thema uns interessiert und wir es für wichtig halten. Wir wollen das Feld der Theorie aber auch möglichst breit darstellen und überlegen uns deshalb, was noch an Aspekten fehlt. Immer mal wieder bekommen wir auch Anfragen zu speziellen Themen. Wir versuchen auch eine gute Durchmischung von schwerer zugänglichen, meist ökonomischen Inhalten und leichter zu verstehenden Themen, wie zum Beispiel Entfremdung oder Arbeitslosigkeit, zu schaffen. 

Yannic: Einige Themenblöcke planen wir langfristig, andere Post-Ideen kommen uns spontan zum Beispiel während  unseres eigenen Lernprozesses. 

Würdet ihr eure Inhalte einer bestimmten Richtung politischer Theorie zuordnen? 

Yannic: Die Richtung unserer Inhalte würden wir am ehesten als wissenschaftlichen Sozialismus bezeichnen. Damit beziehen wir uns auf eine theoretische Basis, die sich von Utopismus abgrenzt. Wir sind nicht bloß antikapitalistisch, sondern haben eine positive Vision von einer Zukunft nach dem Kapitalismus. 

Lea: Wir posten nicht explizit zu Sozialismus oder Kommunismus, sondern versuchen linke Inhalte durch Bezug auf allgemeine gesellschaftliche Themen zu vermitteln.

Ist es überhaupt möglich, komplexe politische und philosophische Theorien in Instagram-share-pics zusammenzufassen? 

Lea: Es ist nicht unser Anspruch, Theorien vollumfassend über Instagram darzustellen. Das kann er überhaupt nicht sein. Was wir tun, ist Theorie auf gut verdauliche Inhalte zu reduzieren. Dabei müssen wir abwägen, was essentiell ist und was wir weglassen können. Unsere Posts können deshalb keine eigenständige Auseinandersetzung mit Theorie ersetzen. 

Yannic: Wir sollten jede Gelegenheit nutzen um Menschen zu erreichen. Unvollständiges Wissen werden sie sowieso aufschnappen. Sie werden eigenständig in marxistische Theorie eintauchen und falsche Vorstellungen erst  im Nachhinein korrigieren. Das Format ist nicht das Wichtige, sondern der Versuch, Menschen möglichst lang dabei zu halten und in ihrem Lernprozess zu begleiten. Ich kann den Anspruch verstehen zu sagen, Menschen müssen wissenschaftlich und umfassend gebildet werden, um nicht in falsche Vorstellungen zu stolpern. Aber ich halte es für idealistisch zu erwarten, dass alle Menschen eine so wissenschaftliche Sicht auf die Gesellschaft in ihren Alltag integrieren können. 

Lea: Linke Theorie zu vereinfachen, auch wenn man sie dafür reduzieren muss, ist ein Weg, sie Menschen näher zu bringen, die vielleicht sonst nicht auf diese stoßen würden. Es braucht ein Angebot, das es allen, egal ob sie studieren oder nicht, möglich macht, einen Zugang zu Theorie zu finden. In der linken Szene schwirren viele Begriffe herum, die einem erstmal überhaupt nichts sagen und schwer verständlich klingen. Wir versuchen Grundlagen zu liefern, um zu lernen, was hinter ihnen steckt. 

“Ohne revolutionäre Theorie kann es auch keine revolutionäre Bewegung geben.“

Dieses Zitat von Lenin steht in der Bio eures Instagram-Accounts. Welche Rolle spielt Theorie für eine kämpferische Praxis? 

Lea: Die linke Bewegung ist in Deutschland kein Mainstream. Ich glaube, Diskussionen und Gespräche sind wichtig, um Menschen dazu zu gewinnen und zu aktivieren. Dafür ist es notwendig zu wissen, wovon man redet und starke Argumente zu haben. Wir müssen unsere Kritik auf eine wissenschaftliche Basis stellen und nicht auf Wunschdenken zurückgreifen.  Außerdem kann ein festes theoretisches Verständnis davon, wie dieses System funktioniert, dazu beitragen, dass es nicht nur bei Empörung über seine Ungerechtigkeit bleibt, sondern Menschen dazu bewegen, sich langfristig zu organisieren. 

Yannic: Um diesen Gedanken in eine andere Richtung zu bringen: Das Verhältnis von Theorie und Praxis ist niemals in allen Kontexten gleich. Es gestaltet sich je nach gesellschaftlichen Verhältnissen anders. Die Vermittlung von Theorie, zum Beispiel über Diskussionen oder unsere Seite, ist wichtig, auch weil in Deutschland die materiellen Verhältnisse für viele Menschen nicht so prekär sind, dass sie sich direkt radikalisieren. Es ist wichtig, die Bewegung der Menschen, die antikapitalistisch sind, zu vergrößern, indem wir ihnen die Informationen darüber bereitstellen, was warum falsch läuft. 

Es scheint auf der einen Seite Teile der Linken zu geben, in denen eine Art Aversion gegen Theorie herrscht, auf der anderen Teile, in denen Theorie fetischisiert und zu einem Selbstzweck erhoben wird. Was würdet ihr jeweils entgegnen? 

Yannic: Ich glaube, aktuell haben wir in der linken Bewegung, vor allem in poststrukturalistischen Bereichen, eine starke Tendenz, die theoretische Seite linker Politik überzubewerten, sich im Akademischen aufzuhalten und nicht in die Praxis überzugehen. Ich denke aber, und das gilt auch für die Teile der Linken, die Theorie als zu “theoretisch” ablehnen, dass das ein Missverständnis von marxistischer Theorie ist. Diese hat ja den Anspruch, aus der Praxis zu kommen und auch wieder in die Praxis einzufließen. Sie kann überhaupt nicht als rein akademische Disziplin bestehen, dann wäre sie unvollständig. 

Lea: Ich glaube auch, dass dieser Abwehrreflex gegen linke Theorie, den viele Menschen haben, berechtigt ist. Linke Bücher sind oft dicke, schwer verständliche Wälzer. In Fällen wie zum Beispiel der kritischen Theorie wollten die Autoren überhaupt nicht verständlich sein und in ihren Studierenden-Kreisen statt von der breiten Masse gelesen werden. Linke Theorie sollte eine Theorie für die Praxis sein und allgemein verständlich vermittelbar. Deshalb ist unser Anspruch, sie als Werkzeug für die Praxis zu verstehen, das wir allen Menschen an die Hand legen können. 

Was für Tipps habt ihr für Einsteiger*innen in linke Theorie? 

Yannic: Zuallererst, sich nicht zu stressen. Ich glaube, die marxistische Theorie hat in sich den Anspruch, möglichst korrekt und vollständig zu sein. Das kann dazu verführen, sich eine Leseliste mit 100 Büchern aufzubauen, nur um sich berechtigt zu fühlen mitdiskutieren zu können. Dann ist es ganz gut sich zurückzunehmen und zu erkennen, dass diese Leseliste leider nicht schrumpft und die Wissenslücken immer größer werden, je mehr man dazu lernt. 

Lea: Ich glaube, man traut sich erstmal nicht an die Klassiker, weil die Hürde groß ist und versucht sich dann an scheinbar linken Bestsellern. Aber ich kann nur empfehlen, sich tatsächlich an Marx zu trauen, da einem so immer noch das beste Grundwissen geliefert wird. Es gibt viel gute Begleitliteratur und Podcasts als Hilfestellung. 

Gibt es ein Buch, das ihr Einsteiger*innen in linke Theorie immer empfehlen könnt? 

Lea: “Die Verdammten dieser Erde” von Frantz Fanon. Das Buch ist praktisch, es hat einen konkreten historischen Zusammenhang, es ist nicht zu schwierig und theoriegeladen. 
Yannic: Ich glaube, David Harveys Einführung in das Kapital (“Marx’ »Kapital« lesen”) ist trotz aller Kritikpunkte zum Einstieg immer noch Gold wert