20 Apr „Die Leichtigkeit ist verloren gegangen“
Ein Ende der Pandemie ist nicht abzusehen. Viele Studierende leiden psychisch darunter. Emma hat mit einem betroffenen Studenten und einem Psychologen gesprochen.
Die Hälfte der Studierenden fühlt sich zur Zeit beim Gedanken ans Studium „schlecht“ oder „sehr schlecht“. Das hat eine Umfrage des freien Zusammenschlusses der Student*innenschaften (fzs) aus dem Wintersemester 2021/2022 ergeben. Jonas studiert Soziologie in Freiburg. Ihm geht es nicht anders: „Ich stelle mir die Sinnfrage bezüglich meines Studiums. Ich überlege, was ich da eigentlich persönlich rausziehe und ob es sich für den Abschluss lohnt, weiterzumachen.“
Studienzweifel sind keine Seltenheit, unter Coronabedingungen aber noch schwieriger zu bewältigen. Freizeitmöglichkeiten sind begrenzt, durch den Mangel an sozialen Kontakten fehlt der Ausgleich. Viele Studierende entwickelten deshalb Ängste oder Depressionen, berichtet der Psychologe Matic Rozman. Er arbeitet in der psychotherapeutischen Beratung des Studierendenwerks Freiburg. Die Beratungsstelle soll ein niedrigschwelliges Angebot für Studierende sein, die gerade eine Krise durchmachen. Seit der Pandemie ist der Zulauf so groß wie noch nie: „Eigentlich ist es unser Anspruch, dass man noch in derselben Woche einen Termin bekommt“, sagt Rozman. Momentan dauert es zwischen vier und fünf Wochen.
Das Soziale fehlt
Das Studium ist eine Phase, in der sich einiges im Umbruch befindet. Viele ziehen in eine andere Stadt und bauen ein neues soziales Umfeld auf, was sich schwierig gestaltet, wenn das ganze Studium online stattfindet. „Das Soziale war für mich einer der wichtigsten Faktoren am Studieren; Menschen zu treffen, die sich für ähnliche Dinge interessieren und sich mit ihnen über diese Themen auszutauschen, generell einen Alltag mit ihnen zu teilen“, sagt Jonas.
Auch Rozman sieht in den Einschränkungen der sozialen Kontakte ein großes Problem: Studierende sind eine besonders vulnerable Gruppe. Sie befinden sich in einer Lebensphase, die einen neuen Abschnitt darstellt und in der sie darauf angewiesen sind, Kontakte zu knüpfen. Hier wird Corona in vielerlei Hinsicht zum Hindernis. Die Pandemie beeinflusst nicht nur viele Biografien, auch die Entwicklung der intellektuellen Fähigkeiten der Studierenden ist stark eingeschränkt: „Das Studium hat dadurch, dass weniger Diskussionen geführt werden können, an fachlicher Qualität verloren“, sagt Jonas.
Außerdem hatten die Dozierenden zu Beginn keine Erfahrung mit Onlinelehre und konnten nur schlecht einschätzen, wie viel den Studierenden zuzumuten war. „Ich hatte gerade am Anfang der Pandemie das Gefühl, dass es zu viel war“, so Rozman. Hinzu kommt, dass Dozierende schwer für die Studierenden zu erreichen seien und mit Verzögerung auf Mails antworteten, Sprechstunden ausfallen ließen und die Begegnungszeiten noch knapper würden. „Es ist eine zusätzliche Quelle der Verunsicherung und Belastung, wenn sich Fragen nicht zeitnah klären lassen.“
Wenn das Geld knapp wird
Mit einer verringerten Qualität des Studiums für eine gewisse Zeit können manche vielleicht noch leben, aber wirklich schwierig wird es, wenn Geldsorgen dazukommen. Wie viele Studierende, hat Jonas seinen Nebenjob in einem Hostel verloren. Die sogenannte Überbrückungshilfe des Bundes, für die er am Anfang der Pandemie einen Antrag stellte, wurde ihm nicht bewilligt. Diese wurde nur ausgezahlt, wenn man weniger als 500 Euro auf dem Konto hatte – was oftmals gerade für eine Miete reicht. „Zwischendurch konnte ich meinen Job für ein paar Monate machen, dann wieder nicht mehr. Einen alternativen Job zu finden war nicht leicht, weil es weniger Angebote gab. Das war schon belastend. Ich stand schon vorher finanziell nicht besonders gut da und das hat es nochmal erschwert.“
Auch Rozman hat viele Studierende erlebt, die mit ähnlichen Schwierigkeiten zu ihm kamen: „Eine prekäre finanzielle Situation kann sehr beunruhigend sein. Wenn die Eltern auch nicht helfen können, kann das zu einem erhöhten Druck im Studium und zu Konzentrationsproblemen führen. Man hat Sorgen, die so stark sind, dass man nicht so frei lernen kann, wie man es eigentlich wollen würde.“
Präsenz alleine ist keine Lösung
Rozman betont, dass viele Studierende stark darauf angewiesen seien, den Stoff im Vorlesungssaal vermittelt zu bekommen. Vor dem Bildschirm litten sie häufiger unter Konzentrationsschwierigkeiten und neigten eher dazu, gedanklich abzudriften. Er plädiert daher für mehr Präsenzlehre, sieht aber auch die Gefahren: „Die Studierenden müssen selbst abwägen, ob sie sich dieser Situation aussetzen möchten. Was die Infektionszahlen angeht, finden manche Lockerungen vielleicht zu früh statt. Es ist aber andererseits auch etwas anderes, in ein Restaurant zu gehen, als mit einer gut sitzenden Maske in einem Vorlesungssaal zu sitzen.“
Für Jonas stellt die Forderung nach Präsenzuni keine Lösung für die aktuellen Probleme dar: „Nicht alle fühlen sich wohl, bei den steigenden Inzidenzzahlen und Hospitalisierungsraten in eine Präsenzveranstaltung zu gehen.“ Mit dieser Entscheidung werden die Studierenden allein gelassen.
Alternative Lösungen finden
Viel Hoffnung gegenüber der Uni hatte Jonas ohnehin nicht: „Ich nehme die Uni als bürokratischen, unpersönlichen Apparat wahr, bei dem man anklopfen kann, wenn man etwas will, der von sich aus aber nicht nach einem schaut.“ Während der Pandemie sei das nicht anders gewesen. Er hätte sich gewünscht, dass die Uni mehr Möglichkeiten geboten hätte, damit sich die Studierenden untereinander vernetzen können. „In Zeiten, in denen es möglich war, hätte ich informelle Treffen im Freien schön gefunden. Aber auch Gruppenarbeiten oder Onlineräume nach Seminaren finde ich entlastend.“
Auch einen Ausbau der psychotherapeutischen Beratungsstelle oder weitere psychologische Unterstützungsangebote über die Uni hätte er begrüßt. Rozman erklärt dazu, dass es unter Coronabedingungen noch komplizierter als ohnehin schon sei, einen Therapieplatz zu finden: „Die Nachfrage ist deutlich gestiegen, den Leuten geht es mit der Pandemie nicht gut. Die psychotherapeutische Versorgung konnte nicht kontinuierlich gewährleistet werden. Es fehlen Kapazitäten.“
„Man bräuchte eine Verschnaufpause“
Die Pandemie habe bei vielen Menschen Spuren in der Psyche hinterlassen. Und sie ist noch längst nicht vorbei. Die Inzidenzen steigen weiterhin, jeden Tag sterben Menschen an Corona und viele, auch junge und gesunde Menschen, leiden unter Long-Covid und Langzeitfolgen der Infektion. „Mittlerweile sind alle sehr müde und erschöpft“, sagt Rozman. „Jetzt zu erwarten, dass das Leben normal weitergeht, wäre wie nach einem langen Marathonlauf zu sagen: Jetzt ist das Aufwärmen fertig, jetzt können wir mit dem Training starten! Eigentlich bräuchte man jetzt erst eine kleine Verschnaufpause.“
Auch Jonas merkt, wie ihn die Pandemie mitgenommen hat: „Das starke Einschränken von Kontakten über die lange Zeit hinweg macht mir zu schaffen, aber auch das ständige Beobachten und Neubewerten der Pandemielage, Quarantäne und Coronakontakte. Das nimmt alles viel Raum ein und ist sehr anstrengend.“ Spontane Freizeitaktivitäten oder Reisen, all das sei sehr kompliziert bis unmöglich: „Die Leichtigkeit ist verloren gegangen.“
Vielen Studierenden hat die Pandemie zugesetzt. Wenn du auch das Gefühl hast, professionelle Unterstützung oder Beratung zu gebrauchen, kannst du über die Terminservicestellen der kassenärztlichen Vereinigung (Tel-Nr.: 116 117) unkompliziert ein Erstgespräch mit einer Therapeut*in vereinbaren. Außerdem bieten viele Universitäten Angebote für eine psychosoziale Beratung.
Dieser Beitrag erschien zuerst in unserer Semesterausgabe – critica Nr. 28