03 Mai Postwachstumsökonomie: Eine elitäre Debatte
In von Postwachstumsanhänger*innen geführten Debatten wird häufig angebracht, dass trotz Wirtschaftswachstum die Menschen seit Jahrzehnten nicht glücklicher werden und wir somit ja auch wieder auf den Stand des Bruttoinlandsprodukts (BIP) der 70er Jahre zurück könnten. Dies soll durch individuellen Verzicht passieren. Fiona erklärt, warum das zu kurz gedacht ist.
Der Klimawandel ist die wohl größte Bedrohung für die Menschheit im 21. Jahrhundert. Der Kapitalismus ist sein treibender Motor. Dass wir dieses Wirtschaftssystem überwinden sollten, ist in linken Kreisen unumstritten. Während heutzutage marxistische und links-keynesianische Ansätze ins Hintertreffen geraten, findet die sogenannte Postwachstumsökonomie in klimapolitischen Kreisen immer mehr Zuspruch. Postwachstumstheorien sind vielfältig und das Lager der Postwachstumsökonom*innen ist breit gefächert. Diese Theorien haben Unterstützer*innen von „progressiven“ Liberalen bis hin zu linksradikalen Klimagruppen.
Ein zentrales Argument von Postwachstumsökonom*innen ist es, dass wir auf einen großen Teil unseres Konsums verzichten könnten. Doch worauf genau soll verzichtet werden? Leben in Deutschland wirklich alle im Luxus? Die Antwort lautet: Nein. Wir haben hierzulande den größten Niedriglohnsektor Europas, Arbeitsverhältnisse sind zunehmend prekär. Nur aus einer privilegierten Position heraus lässt sich Verzicht leicht fordern. Lebensglück hängt auch damit zusammen, dass der Wohlstand gerecht verteilt ist und es gute und sichere Arbeit gibt. Die Debatte wird zudem nur im globalen Norden geführt, während es für Menschen im globalen Süden nur zynisch klingt, auf Wirtschaftswachstum zu verzichten.
Was ist Postwachstumsökonomie?
Postwachstumsökonomie beschreibt, wie der Name vermuten lässt, ein Wirtschaften, welches vom Wirtschaftswachstum entkoppelt ist. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) wird oft als Maß für Fortschritt und Wohlstand herangeführt. Das wird von Postwachstumstheoretiker*innen kritisiert. Sie sind der Ansicht, dass zum Wohl von Mensch und Umwelt andere Maßstäbe herangezogen werden müssen und Wachstum nicht mehr das allgemeine Ziel der Volkswirtschaft sein sollte. Das Wirtschaftswachstum soll zum Schutz des Klimas reduziert, oder gar rückgängig gemacht werden. Doch ist dieser drastische Schritt überhaupt umsetzbar und wirklich zum Wohle der Gesellschaft?
Wohlstand für alle
Postwachstumsökonom*innen machen den Fehler, den Wunsch nach Wirtschaftswachstum mit Profitmaximierung im Kapitalismus zu verwechseln. Während es bei der Profitmaximierung darum geht, dass sich wenige Kapitalist*innen auf Kosten vieler bereichern, entsteht Wirtschaftswachstum durch Produktivitätssteigerung und ist somit auch ein Zeichen technischen Fortschritts. Wirtschaftswachstum kann auch außerhalb des Kapitalismus funktionieren und in einer sozialistischen Gesellschaft allen zu Gute kommen.
Durch die Steigerung der Produktivität konnte in der westlichen Welt Wohlstand für einen großen Teil der Gesellschaft erreicht werden. Maßgeblich für die Verbesserung war jedoch eine starke Arbeiter*innenbewegung und siegreiche Arbeitskämpfe. Ziel von diesen Kämpfen war und ist noch immer, dass das erwirtschafte Wachstum uns allen zu Gute kommt, statt die Reichen noch reicher zu machen. Denn anstatt in einer Selbstversorgergesellschaft müßig Felder zu bestellen, haben wir nun Hände frei für Arbeit in Industrie und im Dienstleistungssektor. Das trägt zu einer höheren Lebensqualität bei und kann für weniger harte Arbeit für alle sorgen. Dafür müssten die Ressourcen aber gerecht verteilt werden.
Anstatt bereits erkämpfte Errungenschaften aufzugeben, sollten wir lieber für eine starke Gewerkschaftsbewegung und einen ökologischen Umbau der Wirtschaft zugunsten der Mehrheit streiten. Dafür braucht es massive staatliche Investitionen in erneuerbare Energien und grüne Technologien. Wir müssen weg von fossilen Brennstoffen und alte Industrien so transformieren, dass dies nicht auf dem Rücken der einfachen Arbeiter*innen erfolgt. Um deren soziale Sicherheit zu garantieren und gleichzeitig energisch gegen die Interessen der Konzerne den ökologischen Umbau zu schaffen, bedarf es staatliche Planung.
Dieser Beitrag erschien zuerst in unserer Semesterausgabe – critica Nr. 28
Fiona (23) studiert Informatik an einer Fachhochschule. Sie findet Wachstum zwar gar nicht so schlimm, hat aber trotzdem mit 14 damit aufgehört.