Die Wiederkehr der Klassen: »Es sind nicht wir alle, die für den Klimawandel verantwortlich sind«

Die Wiederkehr der Klassen: »Es sind nicht wir alle, die für den Klimawandel verantwortlich sind«

Die ökologische Frage ist eine soziale: Die Klimakrise ist durch und durch ungleich verteilt, von ihren Ursachen bis zu den direkten Wirkungen sowie die Möglichkeiten, etwas dagegen zu unternehmen. Doch diese Erkenntnis umzusetzen, ist politisch gar nicht einfach.

John Lütten hat mit Kim Lucht und Jakob Graf den Sammelband Die Wiederkehr der Klassen. Theorien, Analysen, Kontroversen herausgegeben. Im ersten Teil des Interviews sprach er mit critica über die Wiederkehr des Klassenbegriffs in der öffentlichen Debatte, und um produktive und unproduktive Wege, wie er mit Identitätsfragen in Zusammenhang gebracht beziehungsweise ihm gegenübergestellt wird.

John Lütten, im Sammelband orientiert ihr euch nicht nur an der klassischen Trias von race, class und gender, sondern erweitert dies um zum Beispiel die ökologische Achse. Warum habt ihr diesen Aspekt aufgenommen?

Einerseits aufgrund der objektiven Bedeutung der ökologischen Frage: Die Klimakrise und der Rückgang der Biodiversität sind dramatische Entwicklungen, die heute aus gutem Grund eine zentrale Rolle in der gesellschaftlichen Diskussion spielen. Zugleich haben diese Zusammenhänge eine starke Klassendimension.

Was bedeutet das konkret?

Einerseits hinsichtlich der Folgen sind die ärmeren Teile der Gesellschaften sowohl in unseren Breitengraden als auch im sogenannten globalen Süden schneller und härter von der globalen Umweltkrise betroffen. Aber auch die Verantwortung und Möglichkeiten der Einflussnahme sind klassenspezifisch verteilt: Es sind nicht »die Menschen« oder »wir alle«, die für den Klimawandel oder den Raubbau an der Natur verantwortlich sind – oder zumindest nicht in gleichem Umfang. Es gibt klassenspezifische Muster des Konsums und Ressourcenverbrauchs.

Und das macht die Klimakrise zu einer Klassenfrage?

Das auch, aber noch grundlegender ist die Frage, wie Umweltschäden eigentlich entstehen. Schließlich sind es ja nicht du oder ich, geschweige denn die Arbeiterinnen und Arbeiter, die die Abholzung des Regenwaldes, monokulturelle Landwirtschaft oder die Braunkohleverstromung zu verantworten haben – über diese Dinge entscheiden Konzerne, Unternehmer und ihre Apparate. Der ökologische Konflikt ist so gesehen dann auch eine Klassenfrage – und so wird er in unserem Band auch diskutiert.

Wie lässt sich die soziale mit der ökologischen Frage zusammendenken?

Die gesellschaftliche Produktion können wir mit Marx als einen durch Arbeit vermittelten gesellschaftlichen Stoffwechsel begreifen, und das bedeutet, dass alle ökonomischen Prozesse immer auch ökologische sind. Die Art und Weise, wie Arbeit und Produktion gesellschaftlich organisiert werden, bestimmt folglich in letzter Instanz, nach welchen Prinzipien das Verhältnis der Gesellschaft zur Natur organisiert ist.

Und wie sieht das in einer kapitalistischen Ökonomie aus?

Im Kapitalismus wird das gesellschaftliche Verhältnis zur Natur genauso wie die Produktion nach den Imperativen der Kapitalverwertung gestaltet. Die Ausbeutung menschlicher Arbeitskraft und Naturzerstörung haben so gesehen den gleichen Ursprung, weil es das Kapital ist, das für seine Verwertung sowohl Lohnabhängige als auch die Natur und ebenso Tiere verschleißt – die Fleischindustrie ist dieser Tage das anschaulichste Beispiel dafür. Kapitalistische Wirtschaft beruht nicht nur auf der Ausbeutung von Arbeitskraft, sondern auch auf der immer umfangreicheren Aneignung natürlicher Ressourcen, die wahlweise vom Staat mit Eigentumstiteln versehen oder sozusagen »gratis« der Natur entnommen werden.

Deshalb kreisen sowohl die soziale wie auch die ökologische Frage letztlich um die Eigentums- und Produktionsverhältnisse der Gesellschaft und um die Frage, wer eigentlich über das Warum, Was und Wie der Produktion entscheidet. Lohnabhängige und Gewerkschaften ebenso wie die Klimagerechtigkeitsbewegung sollten sich also für einen dringend erforderlichen Umbau der Gesellschaft, also den vielbeschworenen »System Change«, zusammenschließen.

[Anmerkung der Redaktion: siehe dazu den System Change Kongress, zu dem Die Linke.SDS diesen Oktober in Leipzig einlädt.]

Was steht dieser Transformation im Weg?

Politisch ist die Sache komplizierter: Auf der einen Seite gibt es zum Beispiel Teile der organisierten Arbeiterschaft, die klimaschädliche Arbeitsplätze auf Kosten ökologischer Nachhaltigkeit erhalten wollen. Auf der anderen gibt es grün-liberale Teile der Klimabewegung, die auf das Interesse der Lohnabhängigen an einem gesicherten Einkommen und sozialer Sicherheit keine Rücksicht nehmen wollen und ihnen mitunter die direkte Schuld für die Zerstörung des Planeten geben.

Wie entwickelt sich dieser Konflikt aktuell?

Es gibt Situationen wie etwa in den Lausitzer Kohlerevieren, in denen es scheint, als stünden sich beiderlei Interessen konträr gegenüber – eine Frontstellung, die als sogenanntes »Jobs versus Environment Dilemma« diskutiert wird. Allerdings hat sich die Diskussion hier in den letzten Jahren teilweise auch weiterentwickelt: In mehreren Städten, etwa München oder Leipzig, gab oder gibt es Versuche, Bündnisse zwischen Gewerkschaften, Beschäftigten und Klimabewegung zu schaffen – der SDS ist daran ja stellenweise auch beteiligt. Im besten Fall entstehen da Ansätze, die unter dem Stichwort einer »ökosozialistischen« Klassenpolitik darauf zielen, soziale und ökologische Fragen auf allen Ebenen zusammen anzugehen.

In diesem Kontext ist das Konzept der »imperialen Lebensweise« sehr prominent. Auch euer Buch greift das Konzept kritisch auf.

Ja. Ulrich Brand und Markus Wissen weisen mit dem Konzept darauf hin, dass der Kapitalismus in unseren Breitengraden nicht nur besondere Produktions-, sondern auch Konsumverhältnisse umfasst, die eine spezifische »imperiale« Lebensweise ausmachen. Diese erfordert einen Umweltverbrauch, der auf globaler Nord-Süd-Ungleichheit sowie imperialen und neokolonialen Verhältnissen fußt und der nicht verallgemeinerbar ist: Würde in allen Gesellschaften zum Beispiel so viel Fleisch gegessen und Benzin oder Öl verbraucht wie hierzulande, wäre der Planet sehr schnell am Ende.

Was bedeutet dieser Hinweis?

Er zeigt erstens, wie tief diese imperialen Verhältnisse in unseren Alltagsstrukturen und -praktiken verankert sind. Zweitens macht er deutlich, dass ein Umbau der Gesellschaft letztlich mehr als nur die Eigentums- und Produktionsverhältnisse im engeren Sinne umfassen muss: Auch eine wie auch immer geartete sozialistische Gesellschaft könnte ökologisch ruinöse Konsumverhältnisse nicht einfach fortführen, wenn sie die Existenz der menschlichen Gattung nicht aufs Spiel setzen will.

An dem Konzept der »imperialen Lebensweise« gibt es aber auch linke Kritik. Was hältst du davon?

Ja, es gibt in der Tat Kritiken, die ich überzeugend finde. Zum Beispiel, dass die Klassenungleichheiten »bei uns« und die Produktionsseite tendenziell vernachlässigt werden. Vor allem ist mir das Verhältnis von Ursache und Wirkung im Konzept der imperialen Lebensweise nicht ganz klar: Bringen die Produktionsverhältnisse die Konsumnormen und die Lebensweise hervor, oder andersherum? Man könnte jetzt sagen: Sie bedingen sich wechselseitig. Aber das ist zu einfach, man muss es konkreter machen. Denn je nachdem, wie man diesen Zusammenhang genau begreift, kommen sehr unterschiedliche Ansatzpunkte für politische Einflussnahme heraus.

Das Interview führte Lukas Geisler. Im nächsten Teil des Interviews geht es um klassenbewussten Feminismus und um die Prekarisierung der Arbeit.

»Die Wiederkehr der Klassen. Theorien, Analysen, Kontroversen« ist bei Campus erschienen. Zum kostenlosen Download geht es hier.