30 Jul Kritik der „Israelkritik“: Schall und Rauch
Deutsche Medien begegnen dem Antisemitismus-Eklat auf der Weltkunstschau documenta mit Misstrauen gegenüber Ausländern und entblößen dabei die abstruse deutsche Kritik an „Israelkritik“, meint Michael.
Seit Wochen wütet ein Skandal durch das deutsche Feuilleton, die Kulturwelt und zuweilen auch den Bundestag, der mit der Entdeckung einer antisemitischen Figur auf einem Riesenbanner auf der Weltkunstschau documenta begonnen hatte. Obgleich die Empörung über diese Bildsprache durchaus berechtigt ist, müssen wir die Politik hinter dem Skandal kritisch betrachten.
Die documenta findet in Kassel alle 5 Jahre statt und gilt als eins der wichtigsten Kunstereignisse weltweit. Die diesjährige Weltkunstschau wurde vom indonesischen Kollektiv ruangrupa kuratiert, das ausschließlich andere kunstschaffende Kollektive aus dem Globalen Süden und aus marginalisierten Gruppen im Norden eingeladen hatte – eine ausgesprochen antikoloniale Geste. Auch Taring Padi, das indonesische Kollektiv hinter dem inzwischen entfernten Banner, sind überzeugte Verfechter einer solchen antikolonialen Haltung.
Beide Kollektive haben sich inzwischen entschuldigt und sich eindeutig vom antisemitischen Motiv distanziert. Der Backlash geht jedoch weiter. Von rechts wird „der Postkolonialismus“ als dringende Bedrohung aufgebaut. Man müsse der heranwachsenden Weltoffenheit Grenzen setzen, damit sich Judenhass hier nicht einschleicht – als käme Judenhass in Post-Nazi-Deutschland vorwiegend aus der Ferne…
Kontaktschuld und Google-Recherche
Am 12. Juli schrieb Caroline Fetscher im Tagesspiegel, dass der ganze documenta-Skandal im Wesentlichen auf den Beirat zurückginge, der ruangrupa für die Kuration ausgewählt hatte. Also nimmt sie in inquisitorischer Manier die Mitglieder des Beirats nacheinander unter die Lupe und reiht sich damit in die aufkommende Welle der Weltverschlossenheit ein. Ihre Google-Recherche „beweise“ nämlich, dass „mehrere“ Mitglieder des Beirats in der Vergangenheit „deutliche Israel-Kritik oder Nähe zur Israel-Boykottbewegung BDS“ bekundeten. Aufgrund dessen hätte man, so Fetscher, die ganze Affäre absehen können.
Doch nur bei zwei von den acht Mitgliedern konnte Fetscher zeigen, dass sie jemals „Israel-Kritik“ geäußert haben und nur bei einem davon konnte sie eine Verbindung zur palästinensischen BDS-Bewegung nachweisen. Drei weiteren Beiratsmitgliedern wirft Fetscher etwas wie Kontaktschuld vor, beispielsweise weil eine auf einem Podium israelfeindlichen Andeutungen nicht sofort widersprochen hatten.
Was Fetscher nicht mit Tatsachen beweisen konnte, überdeckt sie mit gewagten Anspielungen. Man müsse eine Differenzierung zwischen „Israelkritik“ und spezifischer Kritik zu Einzelproblemen vornehmen. Die „Israelkritik“ sei eine pauschale Kritik, die „oft antisemitisch getönt und motiviert“ ist. Auf diese „Israelkritik“ berufe sich auch die BDS-Bewegung, so Fetscher.
Merkwürdige Sprachkritik
Nach Fetscher sei schon die Verwendung des Wortes problematisch, da man ja bei keinem anderen Land der Welt so ein geflügeltes Wort verwende und man sich die Frage stellen müsse, warum das der Fall ist. Diese Frage stellen sich viele. Aber gerade im internationalen Kontext ist solche Sprachkritik mehr als merkwürdig: Immerhin existiert der Begriff in der Form nur in der deutschen Sprache. Weder Fetschers zwei Hauptbeschuldigten im Beirat – eine Südafrikanerin und ein Inder – noch die palästinensische BDS-Bewegung, drücken sich vorrangig auf Deutsch aus.
Aber selbst wer tatsächlich sogenannte „Israelkritik“ auf Deutsch äußert hat nicht diesen Begriff samt seinen vermeintlichen Implikationen zu verantworten: Das Wort „Israelkritik“ kommt nämlich erst dann vor, wenn über die Kritik am Staat Israel diskutiert wird. Die Besonderheit in der Debatte um die „Israelkritik“ ist folglich nicht (nur) unter den „Israelkritikern“ zu suchen, sondern (auch) in der Kritik an der „Israelkritik“.
Die Motivation der Menschenrechtsverletzungen ist unantastbar
Die Differenzierung, die Fetscher in Sprachkritik ummantelt, wird von vielen Meinungsträger*innen in Deutschland geteilt. Macht man sie inhaltlich, und nicht sprachlich fest, könnte man sie so zusammenfassen: Kritik an israelischen Maßnahmen und Missstände in Teilbereichen ist per se legitim (Fetscher nennt beispielhaft die Lage der palästinensischen Bevölkerung), Kritik an den Gesamtzusammenhang wird dagegen verurteilt.
Einmal anders betrachtet: Kritik an den Mitteln des Staates Israel wird als legitim eingeräumt, Kritik der Zwecke dieser Mittel wird pauschal verurteilt. Menschenrechtsverletzungen dürfen verurteilt werden; das politische Programm, dass sie zeitigt, sogar notwendig macht, bleibt unantastbar.
Wenn man also zum Beispiel nur die Zwangsräumungen in Ostjerusalem kritisiert, ist das in Ordnung. Verdächtig wird es angeblich in dem Moment, wo man diese in den geschichtlichen Zusammenhang seit 1947 setzt, in dem für die Errichtung eines „jüdischen Staates“ Orte und Landstriche „judaisiert“ werden. Spricht man ferner von systematischen Menschenrechtsverletzungen, zum Beispiel im Rahmen des Verbrechens der Apartheid, gehe das wohl schon zu weit.
Kritik solle im Falle Israels also nur so lange geduldet werden, wie sie oberflächlich bleibt. In Paraphrase an Fetscher: Eine solche Regel macht insofern hellhörig, als sie zu keinem anderen Staat behauptet wird, auch nicht so häufig vorausgesetzt wird. Kein Wunder, dass sie selten so ausbuchstabiert und viel eher hinter abstruser Sprachkritik versteckt wird.
Michael Sappir studiert Philosophie in Leipzig, früher hat er ein BA Linguistik abgeschlossen. Er leitet die critica-Redaktion, und ist neben Die Linke.SDS im Jüdisch-israelischen Dissens (JID) aktiv.
Bildquelle: C.Suthorn, Wikimedia Commons – cc-by-sa-4.0