Weder Washington noch Beijing: Für einen konsequenten Antiimperialismus!

Weder Washington noch Beijing: Für einen konsequenten Antiimperialismus!

Linke Verherrlichung Chinas aus Antiimperialismus ist realitätsfern und widersprüchlich. Alles Bestehende müssen wir kritisieren – auch die „kommunistische“ Supermacht China.

Nach der Entscheidung des US-Obergerichtshofs das Recht auf Abtreibung abzuschaffen, ging ein Tweet viral, der beispielhaft für eine linke Verherrlichung der Volksrepublik China im Westen ist:

„what are we, China?“

no Karen, China is a civilized country that guarantees universal access to abortion

Die Volksrepublik (VR) China soll also als „zivilisierter“ Gegenentwurf zur Barbarei der USA dienen, vielleicht sogar als glänzendes Beispiel für körperliche Selbstbestimmung. Dabei werden dreieinhalb Jahrzehnte der erzwungenen Abtreibungen und die, alles andere als gute, Situation für Frauen in China ausgeklammert. Diese Verklärung der realen Verhältnisse in China steht der Solidarität mit den dortigen Arbeiter*innen und Betroffenen des chinesischen Imperialismus im Wege. Was steckt hinter diesem Phänomen? 

Solche westlichen Sozialist*innen, die den „Realsozialismus“ verklären, werden Tankies genannt. Dabei handelt es sich um eine abwertende Bezeichnung. Dieser Begriff beschrieb ursprünglich Mitglieder der Kommunistischen Partei Großbritanniens, die den Einsatz von Panzern durch die UdSSR zur Unterdrückung der Ungarischen Revolution 1956 befürworteten.

Heutzutage sind „Tankies“ meist Vertreter*innen des Marxismus-Leninismus und Maoist*innen, die sich selbst als antiimperialistisch verstehen und autoritäre Staaten wie die VR China und Nordkorea gegen jegliche Kritik verteidigen. Die Unterstützung der VR China steht jedoch im Widerspruch zum Antiimperialismus, weil es sich bei ihr um einen imperialistischen und siedlerkolonialistischen Nationalstaat handelt.

Die Tankie-Ideologie und ihre Folgen

Zentral für die Ideologie der Tankies ist die Ablehnung des westlichen Imperialismus, insbesondere den amerikanischen. Jede Kritik an den vermeintlichen sozialistischen Utopien wird mit Verweis auf diesen abgewehrt.

So behaupten Tankies vehement, dass die amerikanische Regierung hinter Menschen und Bewegungen stecken muss, die mit der Politik ihrer Utopien nicht einverstanden sind. Hongkonger protestieren dafür, ihr politisches System beizubehalten? Von der CIA beeinflusst! Uigur*innen wehren sich gegen die Auslöschung ihrer Kultur durch Illegalisierung ihrer Traditionen und die Enteignung ihrer landwirtschaftlichen Kulturstätten? Von der CIA angestiftet!

Natürlich betreiben die USA auch Propaganda und versuchen auch Bewegungen weltweit für ihre Zwecke zu vereinnahmen. Insbesondere das konservative amerikanische Establishment versucht die Deutungshoheit über die Anliegen der Uigur*innen und Hongkonger*innen zu gewinnen. Von Tankies wird es jedoch häufig so dargestellt, als wären diese Kräfte die Auslöser der Proteste und gestehen den Protestierenden keine Legitimität zu.

Die USA versuchen Einfluss auf Bewegungen wie die in Hongkong zu nehmen, allerdings überschätzen Tankies jedoch die Möglichkeiten der Einflussnahme enorm. Zuweilen wurde ihre Ideologie sogar als Negativbild des amerikanischen Exzeptionalismus analysiert: Die Vertreter*innen der Tankie-Ideologie machen die Vereinigten Staaten als einzigartig und allmächtig in ihrem Imperialismus aus und wehren sich gegen die Vorstellung, dass auch Staaten wie die VR China imperialistisch sein können und Menschen sich auch gegen diese stellen sollten.

Doch ist die VR China, genauso wie beispielsweise die USA, ein imperialistischer Akteur. (Quelle auf Chinesisch). In China herrscht eine extreme Konzentration an Kapital. Die Zahl der chinesischen Milliardäre kommt der Zahl der Milliardäre in den Vereinigten Staaten nahe. Zudem herrscht in China nicht nur eine wirtschaftliche Monopolstruktur weniger Unternehmen, diese sind auch in einen monopolistischen Bankensektor integriert. Beides sind Ursachen für den chinesischen Kapitalexport über die Belt and Road Initiative (BRI). Die BRI ist ein chinesisches Investitionsprogramm, das sich bis nach Europa und Afrika erstreckt. Diese Investitionen werden jedoch nicht aus wohltätigen Zwecken getätigt, sondern dienen vorrangig der Deckung des Rohstoffbedarfs chinesischer Industrien. Aus diesem Grund kann China als imperialistischer Akteur bezeichnet werden.

Es handelt sich also um einen inkonsequenten Antiimperialismus, wenn dieser den Kampf der Betroffenen von nicht-westlichem Imperialismus für nichtig erklärt und sie nur als Werkzeug des amerikanischen Imperialismus abtut. Ein konsequent internationalistisches Verständnis des Imperialismus dagegen versteht den Imperialismus als einen globalen Zustand, an dem alle große Staaten teilnehmen (müssen).

Die Haltung der Tankies ist dennoch auch insofern ein Problem, weil sie die Verbreitung von propagandistischer Falschinformation im Interesse dieser nicht-westlichen imperialistischen Staaten vorantreibt. Sie verhöhnt die Menschen, die gegen ihre Gewalt ankämpfen, indem sie Aussagen und Narrative der Regierungsvertreter*innen dieser Staaten legitimieren, und vergiftet damit nicht nur unser Verständnis der Geschehen, sondern auch die internationale Solidarität. Darum müssen wir uns gegen diese Strömung und ihre Narrative entschieden wehren.

Netzwerke und Verbindungen

In der englischsprachigen Linken, vor allem in den Vereinigten Staaten und Großbritannien, ist dieses Phänomen weit verbreitet. Auch in Deutschland gibt es viele Linke, die man als Tankies bezeichnen könnte, darunter auch Mitglieder der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP), die sich positiv auf die VR China bezieht. Häufig handelt es sich bei Tankies jedoch einfach um Menschen, die man als „chronisch online“ bezeichnet, die also vor allem auf sozialen Medien ihre Meinung äußern und nicht viel mehr tun.

In den Vereinigten Staaten sind dagegen eine Reihe an Gruppen und Mediennetzwerken aktiv, die nach ihrem eigenen Verständnis links sind und die im Zusammenhang mit der Verbreitung von Tankie-Narrativen auffallen.

Dazu gehört The People’s Forum, ein Zentrum für Bewegungen der Arbeiterklasse und marginalisierter Gruppen in New York City. Zusammen mit dem Tricontinental Institute for Social Research, vom einflussreichen marxistischen Historiker Vijay Prashad gegründet und geleitet, fällt das Forum nicht nur dadurch auf, dass es den kulturellen Genozid an den Uigur*innen leugnet, sondern auch, dass beide Organisationen in einem intransparenten Vorgang Millionenbeträge erhielten, die Reportagen zufolge wahrscheinlich von dem Unternehmer Neville Roy Singham stammen, dem eine Verbindung zu Beijing nachgesagt wird.

Eine weitere solche Organisation, die häufig mit dem Forum zusammenarbeitet, ist das Qiao Collective. Hierbei handelt es sich um eine Gruppe von linken chinesischen Diaspora-Nationalist*innen, die mit linkem Jargon und mit den Argumenten von Tankies die VR China verteidigen.

Dieser linke chinesische Diaspora-Nationalismus ist auf das Zunehmen der Anfeindungen von ostasiatisch gelesenen Menschen und der Wiederbelebung einer radikaleren linken Bewegung in den Vereinigten Staaten zurückzuführen. Laut Brian Hioe, Redakteur eines linken taiwanischen Onlinemagazins, brachte das Teile der jüngeren chinesischen Diaspora dazu, die VR China aus einer westlichen linken Perspektive zu unterstützen. Diese unterscheide sich somit stark von der Perspektive linker Nationalist*innen aus der VR China selbst.

Der Erfolg solcher Netzwerke liegt teilweise daran, dass viele US-Linke diese Ansichten ohnehin teilen und die Propaganda nichtwestlicher Staaten gern verbreiten. Dies zeigt sich auch in organisierten linken Bewegungen.

Ein Beispiel ist das Internationale Komitee (IC) der Democratic Socialists of America (DSA), das von Tankies dominiert wird. Eigentlich sollte das Komitee für Verbindungen zu Sozialist*innen weltweit sorgen, stattdessen macht es sich zur Aufgabe, der VR China (und anderen „sozialistischen Utopien“)  

innerhalb der linken Bewegung in den Vereinigten Staaten Rückendeckung zu geben. Viele Chinesisch-Amerikanische Sozialist*innen, die Erfahrungen mit den Kämpfen von Menschen in China haben, haben sich deswegen vom IC abgewandt.

Konsequenter Antiimperialismus

Wie also mit der VR China umgehen? Auch die Volksrepublik sollte kritisch betrachtet werden, wie die westlichen imperialistischen Staaten.

Genau dies tut eine Strömung in der internationalen Linken, die einen konsequenten Antiimperialismus an den Tag legt. Dieser ist ebenfalls antikapitalistisch und erkennt die kapitalistischen Ursachen für Imperialismus und Siedlerkolonialismus. Tatsächlich wird es nirgendwo deutlicher, wie die Unterdrückung von Menschen der Durchsetzung von Kapitalinteressen dient, als in Hongkong.

Dort war die Beseitigung der Hongkonger Gewerkschaften ein zentrales Element in der Kampagne gegen die Hongkonger Demokratiebewegung. Durch die Proteste erlebte die Hongkonger Arbeiter*innenbewegung ein starkes Momentum und ist für die regierenden Eliten gefährlich geworden. Im Zuge der Einführung des Hongkonger Sicherheitsgesetzes mussten sämtliche Gewerkschaften ihre Arbeit aufgeben.

Konsequente Antiimperialist*innen, die aus Hongkong und Taiwan stammen, fordern, dass chinesischer und westlicher Imperialismus gleichermaßen bekämpft werden  und die gemeinsame Ausbeutung der Arbeiter*innenklasse durch chinesische wie  westliche Eliten beendet werden muss. Sie wenden große Energie darauf auf, die Tankie-Ideologie zu bekämpfen und alternative Narrative zu etablieren.

Auch wir in Deutschland müssen Antiimperialismus konsequent denken, und für das Verhältnis zu China zentral machen. Dafür sind Ressourcen essenziell, bei denen wir uns über die Kämpfe in der VR China und über den chinesischen Imperialismus informieren können. Eine solche Ressource ist Lausan, ein Onlinemagazin der linken Hongkonger Diaspora, die ebenfalls Artikel über Kämpfe in China veröffentlichen. Auf der Webseite von New Bloom werden ebenfalls linke Perspektiven auf China aus einer meist taiwanischen Perspektive veröffentlicht.

Um die Entstehung und die Grundlagen des chinesischen Staatskapitalismus zu verstehen, ist das Buch Chinas große Umwälzung. Soziale Konflikte und Aufstieg im Weltsystem des deutschen Sinologen Felix Wemheuer empfehlenswert, in dem die VR China aus einer marxistischen Perspektive analysiert wird. Wemheuer betreibt auch einen sehr informativen YouTube Kanal, auf dem er Interviews zu unterschiedlichen Themen bezüglich der VR China veröffentlicht.

Wir müssen gut informiert sowohl der westlichen als auch der chinesischen Propaganda widersprechen. Wir müssen uns für die Opfer von Imperialismus und kapitalistischer Ausbeutung einsetzen, im Westen wie in China. Bauen wir einen konsequenten antikapitalistischen Antiimperialismus auf!

John M. studiert Sinologie und Politikwissenschaften in Leipzig und hasst alle imperialistischen Supermächte gleichermaßen.