03 Okt Für eine neue Allianz von Straße und Betrieb
Die gesellschaftliche Linke steht in der Verantwortung, den Protest in der sozialen Krise zu organisieren. Wie es die »Genug ist Genug«-Kampagne versucht, schreibt im Gastbeitrag Initiatorin Ines Schwerdtner
In den kommenden Monaten erwartet uns eine wirtschaftliche und soziale Krise, wie wir sie zuletzt 2008/09 erlebt haben. Nach schwierigen Jahren der Pandemie haben Millionen Menschen Angst vor der nächsten Heizkostenabrechnung, der nächsten Mieterhöhung oder davor, den Job zu verlieren.
Für die gesellschaftliche Linke besteht hier eine besondere Verantwortung. Unmut und sozialer Protest müssen von uns kanalisiert und organisiert werden – sonst tun es die Rechten. In den kommenden Wochen kommt es deshalb darauf an, aus der bestehenden Wut etwas zu machen.
Linke tun in dieser Phase das, was sie schon immer getan haben: Sie geben dem Kapitalismus die Schuld an allem und rufen zur nächsten großen Demonstration auf. Das ist für sich genommen nicht falsch, hat aber in den letzten Jahren nie dazu geführt, dass sich breite Massen langfristig für unsere Ziele organisiert hätten. Im Moment ist nicht einmal klar, ob wir ausreichend Leute mobilisieren können, einfach weil der Winter kalt und die Bedingungen hart sein werden. Immer mehr Menschen sind isoliert oder von den politischen Parteien frustriert, die klassischen linksradikalen Aufrufe aktivieren bloß die üblichen Verdächtigen. In der Breite gewinnen wir kaum Menschen dazu. Hinzukommt, dass die Sozialproteste schon jetzt von Regierung und Mainstream-Medien diffamiert werden. Die Startbedingungen sind also denkbar schlecht.
Weshalb wir strategisch umdenken müssen
Trotz aller Widrigkeiten und auch der schwachen Position der gesellschaftlichen Linken gibt es eine historische Chance, dass sich Menschen in dieser Krise auch aktiv gegen die Belastungen wehren. Unsere Aufgabe ist es, unter den gegebenen Bedingungen diejenigen Hebel ausfindig zu machen, die tatsächlich etwas an den Kräfteverhältnissen ändern können.
Deshalb schlagen wir in der »Genug ist Genug«-Kampagne vor, sowohl das alte Muster der Agitation von Kleinstgruppen als auch das Konzept der Großdemo mit den immergleichen Bündnispartnern zu verlassen. Das heißt nicht, dass diese Ansätze komplett falsch wären, aber wir müssen doch feststellen, dass wir mit den üblichen Rezepten nicht größer geworden sind. Im Gegenteil: die Basisbindung an arbeitende Menschen ist eher kleiner geworden. Prekär lebende Menschen fühlen sich weder von der Linken noch von irgendwem sonst vertreten; noch sehen sie, wo sie sich selbst einbringen können, um an ihrer Lage etwas zu verändern.
Verbindung mit gewerkschaftlichen Kämpfen
Wir haben Genug ist Genug deshalb von der britischen »Enough is Enough«-Kampagne nach Deutschland geholt, weil sie dort etwas grundlegend anders macht: Es gibt einen organischen Zusammenhang mit denjenigen Gewerkschaften, die sich gerade in Streiks befinden. Auf regelmäßig stattfindenden Rallys im ganzen Land sprechen kämpferische Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter. Der Arbeitskampf wird mit einer politischen Bewegung, Forderungen nach Steuern für Reiche und einer besseren Versorgung verknüpft.
Praktische Solidarität
Davon profitieren beide Seiten: Denn die politische Linke findet einen Ankerpunkt, während die Gewerkschaften und Beschäftigten für ihre Arbeitskämpfe endlich mehr gesellschaftliche Solidarität erfahren. Indem verschiedene Arbeitskämpfe politisch miteinander verknüpft werden, stellt sich außerdem Klassensolidarität viel praktischer her als auf jedem Blatt Papier.
Arbeitskämpfe bleiben eines der praktischsten Mittel, um Menschen in die Lage zu versetzen, für ihre materiellen Interessen einzustehen. Die Nachricht für diesen Herbst und Winter muss sein, dass es um schnelle Entlastungen, aber auch um die langfristige Verbesserung der Lebensbedingungen aller geht. Wenn wir es schaffen, die ganz konkreten Interessen der anstehenden Tarifverhandlungen sowohl in der Metallindustrie als auch im öffentlichen Dienst mit größeren politischen Forderungen zu verknüpfen, so können wir auch Studierende, von Armut Betroffene, die Klimabewegung und weitere Teile der Gesellschaft um diesen sozialen Protest gruppieren. Darin besteht die größte Chance.
Ines Schwerdtner ist Chefredakteurin des deutschsprachigen Jacobin Magazin und Mitinitiatorin der Kampagne »Genug ist Genug!«.
Dieser Beitrag erschien zuerst in der critica Nr. 29. Du erhältst sie beim SDS in deiner Stadt oder kannst sie hier online lesen.