19 Okt Polizeigewalt in Deutschland: strukturelle Einzelfälle
Deutschland hat ein Problem mit struktureller und rassistischer Polizeigewalt, der allein in NRW in einer Woche drei Menschen zum Opfer fielen. Während Menschen in Deutschland die amerikanische Polizeigewalt verurteilen, gab es keine vergleichbare Reaktion auf die jüngsten Fälle hierzulande.
Im August starben innerhalb von sieben Tagen drei Menschen durch Polizeigewalt in Nordrhein-Westfalen. Bei allen drei handelte es sich um Menschen, die an psychischen Problemen litten oder unter Drogeneinfluss standen, bei einem zudem um einen Flüchtling. Anders als im Jahr 2020 nach dem Polizeimord an George Floyd in den USA, kam es kaum zu Protesten.
Drei Tode innerhalb von sieben Tagen
Die drei Fälle lassen ein eindeutiges Muster von Polizeigewalt gegen marginalisierte Gruppen erkennen. Am 3. August erschoss die Polizei einen 48-Jährigen aus Köln, der sich gegen die Zwangsräumung seiner Mietwohnung gewehrt hatte und von dem bekannt war, dass er unter psychischen Problemen litt. Danach wurde am 8. August in Dortmund der 16-jährige Geflüchtete Mohammed D. aus dem Senegal in seiner Unterkunft von der Polizei erschossen. Die Einrichtung hatte die Polizei gerufen wegen der Befürchtung, dass er Suizid begeht. Die Polizei setzte Pfefferspray und einen Elektroschocker ein. Laut Polizei bedrohte er die elf Polizist*innen mit einem Messer und wurde daraufhin erschossen. Die Ermittlungen übernahm die Polizei Recklinghausen.
Im Kreis Recklinghausen starb gerade einen Tag zuvor ein 39-Jähriger, der in seiner Wohnung randaliert hatte. Die Polizei hatte versucht ihn durch Pfefferspray und Fixierung zu beruhigen. Einen Tag später verstarb er im Krankenhaus. Die Ermittlung übernahm die Polizei Dortmund – dieselbe, die für den Todesfall von Mohammed D. verantwortlich war, in dem die Polizei Recklinghausen ermittelte. Das Beispiel zeigt das strukturelle Problem bei internen Ermittlungen in der Polizei: Rassistische Mörder*innen ermitteln gegen ihre ebenso rassistischen und mordenden Kolleg*innen.
Anklagen in Fällen von Tod durch Polizeigewalt werden fast ausnahmslos fallengelassen
Auch ohne die gegenseitigen Ermittlungen werden die Anklagen in Fällen von Tod durch Polizeigewalt in Deutschland fast ausnahmslos fallengelassen. Dafür liefert Dessau klare Beispiele: Allein in der Polizeiwache dort kam es im Laufe von acht Jahren zum Tod von drei Menschen. Oury Jalloh ist der Bekannteste unter den Opfern. Bis heute ist nicht bekannt, wer ihn in seiner Zelle angezündet hat, und niemand aus der Dessauer Polizeiwache wurde für die Taten verurteilt.
Auch in Hamburg kam es zu einem Fall von tödlicher Polizeigewalt ohne Konsequenzen. Unter Billigung des Innensenators durfte die Polizei Brechmittel verabreichen, an denen ein 19-jähriger Asylsuchender starb. Dieser Innensenator ist heute Bundeskanzler.
Deutschland hat ein Polizeiproblem
Wie die Fälle zeigen, gibt es auch hier in Deutschland ein Problem von struktureller, oft tödlicher Polizeigewalt. Von ihr sind ausnahmslos arme und migrantisierte Menschen, Menschen mit psychischen Problemen, sowie People of Color betroffen.
Aus den Todesfällen wird deutlich, dass bei Menschen in psychischen Ausnahmesituationen auf keinen Fall die Polizei gerufen werden darf. Die Polizei ist nicht dazu ausgebildet und irrt sich immer wieder – mit tödlichen Folgen. Solche Einsätze müssen Sozialarbeiter*innen und Psycholog*innen übernehmen.
People of Color werden auch abgesehen von Todesfällen von der deutschen Polizei systematisch schikaniert, unter anderem wegen der gängigen Praxis des »racial profiling«: Wer sichtbar einer marginalisierten Gruppe angehört, wird öfter und genauer kontrolliert, Unschuldsvermutung hin oder her.
Seit Jahren werden die Budgets für die Polizei stetig erhöht. Mehr Polizei führt jedoch nicht zu mehr Sicherheit. Im Gegenteil: Sie stellt eine Bedrohung für große Bevölkerungsgruppen dar. Darum sollten der Polizei zunehmend die Mittel entzogen und diese für Soziales eingesetzt werden.
Während sich im Jahr 2020 tausende Menschen in ganz Deutschland versammelten, um gegen das US-amerikanische Polizeiproblem unter dem Slogan #BlackLivesMatter zu demonstrieren, gab es keine vergleichbare Protestwelle nach den wiederholten Fällen tödlicher rassistischer Polizeigewalt. Sie ist allerdings nicht nur ein amerikanisches Problem, sondern auch ein deutsches. Auf diese eklatanten Fälle braucht es eine laute und geschlossenen Antwort aus der Zivilgesellschaft.
John M. studiert Sinologie und Politikwissenschaft in Leipzig und ist dafür, dass auch Almans sich gegen Polizeigewalt einsetzen.
Dieser Beitrag erschien zuerst in der critica Nr. 29. Du erhältst sie beim SDS in deiner Stadt oder kannst sie hier online lesen.