28 Okt Präsidentschaftswahlen in Brasilien: der Ausgang aus der Hölle?
Was die brasilianische Linke von der anstehenden Präsidentschaftswahl zu erwarten hat und welche Entwicklungen ihrem Heimatland bevorstehen
Brasilien, 2. Oktober 2022. Die Brasilianer*innen sind aufgerufen, an die Wahlurnen zu gehen, die Person zu wählen, die das Land in den nächsten vier Jahren regieren wird. Wahlberechtigt sind alle brasilianischen Staatsbürger*innen, egal, ob sie im Ausland leben oder nicht. Obwohl die Liste elf Kandidat*innen umfasst, ist die Konfliktlinie klar: Der ehemalige Präsident Luiz Inácio Lula da Silva von der Arbeiterpartei und der aktuelle Präsident der Republik, Jair Bolsonaro, führen alle Umfragen an. In einem engen Kampf erhielt der Linkskandidat 48,4 Prozent der gültigen Stimmen, während Bolsonaro gut 43 Prozent erhielt. Nun wird am 30. Oktober per Stichwahl der nächste Präsident Brasiliens bestimmt.
Es wurde erwartet, dass Lula bereits in der ersten Runde gewinnen würde. Eine Mobilisierung durch Bolsonaro und seine Verbündeten hätte so vermieden werden können. Selbst die Umfragen zeigten einen knappen Sieg Lulas mit 51 Prozent der gültigen Stimmen. Entgegen allen Zahlen und Vermutungen erhielt der Rechtsradikale Bolsonaro jedoch weit mehr als die erwarteten 30 Prozent der Stimmen, und der Streit und die Polarisierung im zweiten Wahlgang wird immer intensiver.
Obwohl die brasilianische Linke versucht positiv zu bleiben, sind die erwarteten Ergebnisse beunruhigend. Neben den Präsidentschaftswahlen wurden auch die Abgeordneten und Senator*innen für das Parlament, sowie die Abgeordneten und die Gouverneur*innen der Bundesstaaten gewählt. Während einerseits die Zahl derjenigen Politiker*innen, die Schwarze, Indigene und LGBT-Personen vertreten, in der Abgeordnetenkammer gestiegen ist, zeigen die Ergebnisse im Senat ein gegenteiliges Bild.
Bolsonaros Partei hat die Zahl ihrer Sitze im Senat deutlich erhöht und es geschafft, mit ihren Verbündeten eine Einheitsfront zu bilden. Darüber hinaus wurden Minister*innen und Politiker*innen, die in direkter Verbindung zur aktuellen Regierung stehen, in den Senat gewählt – wie zum Beispiel der ehemalige Umweltminister Ricardo Salles, der während seiner Zeit als Umweltstaatssekretär von São Paulo wegen Amtsmissbrauchs verurteilt wurde, oder der derzeitige Vizepräsident, General Hamilton Mourão.
Zukunftsperspektiven
Sollte Lula im Jahr 2023 das Amt des Präsidenten antreten, wird er angesichts einer so starken Opposition dennoch vor zahllosen Herausforderungen und Gegner*innen stehen. Die Verabschiedung wichtiger Gesetzesvorhaben wie die Entkriminalisierung der Abtreibung, die Abgrenzung und Sicherheitsgarantie für indigene Gebiete und/oder eine antirassistische(-re) Politik wird also in und gegen ein extrem religiöses, konservatives und mit Großgrundbesitzern verstricktes Umfeld verhandelt und erkämpft werden müssen. Das Leben der indigenen Völker und die biologische Vielfalt des Landes wird so weiterhin bedroht.
Es ist klar, dass der Bolsonarismus einen bedeutenden Platz in der politischen Landschaft Brasiliens eingenommen hat, und es ist ein Phänomen, das bleiben wird. Es ist wichtig, dass sich die Linke in den kommenden Jahren organisiert und versucht, ihren Platz zurückzuerobern, insbesondere in der Arbeiter*innenklasse. Jetzt kann man nur noch auf das Ergebnis der zweiten Runde warten.
Im gegenwärtigen Szenario wird eine Lula-Regierung nicht unbedingt der Eingang zum Paradies sein, aber sicherlich der Ausgang aus der Hölle.
Isabelle ist Brasilianerin und studiert seit 2021 in Leipzig.
Bildquelle: Jeso Carneiro.