Erdbeben in Kurdistan: Hilfe benötigt – und ein Waffenstillstand

Erdbeben in Kurdistan: Hilfe benötigt – und ein Waffenstillstand

Von der Naturkatastrophe im syrisch-türkischen Grenzgebiet sind Kurd*innen besonders hart betroffen. Aber die Regimes in Ankara und Damaskus sehen die Krise auch als Chance, die militärische Kontrolle über Rojava zu erlangen.

Die Schlagzeilen sind im Moment gefüllt mit den Nachrichten über das Erdbeben in der Türkei, Syrien und Kurdistan. Am Montag, dem 6. Februar, bebte die Erde im Süd-Osten der Türkei und im Norden Syriens. Ein Erdbeben der Stufe 7,8 zerstörte Gebäude und begrub Hunderttausende unter den Trümmern. Über 20.000 Todesopfer sind bereits offiziell zu beklagen. In der Region sind über 20 Millionen Menschen von der Naturkatastrophe betroffen. Die Katastrophe verschärft jedoch auch die sowieso schon angespannte politische Situation vor Ort.

Besonders im Gebiet der Autonomen Administration von Nord- und Ostsyrien (Rojava), welches seit Jahren vom Krieg gegen das Assad-Regime, dem Krieg gegen den islamistischen Daesh (IS) und regelmäßige Invasionen des NATO-Partners Türkei heimgesucht wird, richtete das Erdbeben verheerende Zerstörungen an.

International sind Menschen von den Bildern bewegt und unterstützen die Rettungs- und Aufräumarbeiten mit Spenden. Und doch verdeutlicht der Umgang mit den Katastrophenhilfen und der Einsatz der Katastrophenhilfe nur den Zustand, den Beobachter*innen bereits seit Jahren beschreiben: Die türkische Regierung betreibt im Osten des Landes und bei seinen Militäroperationen in Rojava eine Politik gegen Kurd*innen, Alevit*innen und andere Minderheiten.

Internationale Hilfe ist bereits auf den Weg gebracht, allerdings geht diese zwischenstaatliche Unterstützung ausschließlich über Ankara an den türkischen Staat oder über Damaskus an das syrische Zentralregime. Ein Sprecher der KCK, eine Nachfolgeorganisation der durch den türkischen Staat verbotenen PKK, Cemil Bayık erklärt zutreffenderweise: »Während der AKP/MHP-Regierungszeit wurde unglaublich viel Geld gesammelt. Jedes Jahr wurde Geld für Erdbeben eingezogen, aber wir sehen, dass das Geld verschwunden ist. Es ist offensichtlich, dass alles in den Krieg gesteckt wurde. Denn es wurden Milliarden für den Krieg ausgegeben. Wenn dieses Geld für das Volk ausgegeben worden wäre, für Maßnahmen zum Schutz vor Erdbeben, für Gesundheit und für Bildung, dann würde es dieses Leid jetzt nicht geben«.

Von der Unterstützung des Erdoğan-Regimes kommt kaum oder nichts in den Regionen an, welche besonders betroffen von der Katastrophe, aber mehrheitlich von Kurd*innen und Alevit*innen besiedelt sind und in denen Erdoğans AKP-Partei, vergangenen Wahlergebnissen nach zu urteilen, nicht besonders beliebt ist. In alevitischen und kurdischen Gemeinden sind die Menschen aufeinander oder auf unabhängige internationale Hilfen angewiesen.

Noch Tage nach der Katastrophe werden Überlebende aus den Trümmern geborgen. Schnelle humanitäre Katastrophenhilfe für die gesamte betroffene Region und alle dort lebenden Menschen könnten zehntausenden immer noch Verschütteten das Leben retten.

Während durch kurdische Parteien und Partisanenverbände ein einseitiger Waffenstillstand verkündet worden war, beschossen keine 48 Stunden nach dem Beben Erdoğans Söldner die Gegend um Tall Rifaat, in der zahllose Vertriebene des Erdbebens aus der Region Efrîn/Afrîn Schutz suchten. Erdoğan führt einen Vernichtungskrieg gegen die demokratische Selbstverwaltung und insbesondere gegen das kurdische Volk.

In den durch die Türkei – teilweise schon seit Jahren – besetzten Gebieten Nordsyriens waren die Checkpoints des Militärs 35 Stunden nach dem Beben verschwunden. Das Regime überlässt die Menschen sich selbst, während der militärische Druck auf die Föderation Nord-Ost Syrien trotz – oder gerade wegen dieser unhaltbaren Umstände – verstärkt wird.

Es braucht internationalen Druck für eine Freigabe von humanitären Hilfslieferungen, in die von der bürgerlichen Presse als »Rebellengebiete« verleumdeten Gebiete der demokratischen Selbstverwaltung.

Das Assad-, wie auch das Erdoğan-Regime wittern in dieser humanitären Katastrophe ihre Chance, die militärische Kontrolle über die Gebiete im Norden und Osten Syriens zu erlangen.

Wir müssen uns hierzulande für einen sofortigen Waffenstillstand einsetzen. Außerdem wird weitere Unterstützung benötigt: Vor allem Spenden, die bei den Menschen ankommen. Empfehlenswert ist die Unterstützung der Organisation Kurdischer Roter Halbmond (KRC) oder die Spendensammlung der Alevitischen Gemeinde in Deutschland.

Für Spenden:

Kurdistan Roter Halbmond Schweiz
Banque Cantonale Vaudoise
CCP: 10-725-4
IBAN: CH62 0076 7000 L543 3416 5
BIC/SWIFT: BCVLCH2LXXX

Alevitische Gemeinde Deutschland K.d.ö.R
Spendenkonto der AABF:
Empfänger: Alevitische Gemeinde Deutschland K.d.ö.R.
IBAN: DE46 3806 0186 6401 4060 32
BIC: GENODED1BRS
Volksbank Köln Bonn
Verwendungszweck: Spende Erdbeben Türkei 2023 /Name/Adresse

Joschi Fux studiert in Leipzig Soziologie. Er ist dort im SDS und vor allem antifaschistisch politisch aktiv.

Bildquelle: EU Civil Protection and Humanitarian Aid, Flickr