22 Mai Künstlerische Intelligenz
ChatGPT ist in aller Munde und auch Bild-generierende KI dominiert seit einiger Zeit die Medien. Ein einfacher Spaß, mit dem man sich viel Arbeit ersparen kann – oder Ausnutzung »kostenloser« Daten?
»Lass dir doch von ChatGPT bei deiner Hausarbeit helfen…« Diesen oder ähnliche Vorschläge haben wahrscheinlich viele Studis in den letzten Wochen gehört. Sogenannte generierende KI-Systeme haben einen neuen Hype rund um KI ausgelöst, und nach meiner ersten Benutzung von ChatGPT (Generative Pre-trained Transformer) war ich ziemlich beeindruckt. Doch was steckt eigentlich hinter der Aufregung?
Das Funktionsprinzip der generierenden KI ist recht simpel. Man gibt einen prompt, also einen Aufforderungstext, ein – und je nachdem welches Programm man benutzt, wird anschließend eine Textantwort, ein Bild, oder sogar einige Zeilen Code ausgegeben. Eigentlich ziemlich cool, denn auf einmal können Menschen ohne Vorkenntnisse Computerprogramme entwerfen, journalistische Texte schreiben oder auch Bilder entstehen lassen.
Ökonomische KI-Kritik statt philosophischer Fragen
Dall-E, Midjourney, oder Stable Diffusion sind die gängigen Bild-generierenden KI-Programme. Anstatt diese anhand tiefgehender, philosophischer Fragen wie »ist der Output dieser Bildgeneratoren wirklich Kunst?« oder »was ist überhaupt Kreativität?« näher zu beleuchten, wird hier ein Blick auf die ökonomische Kritik an generierender KI, ihre Funktionsweise und ihre Auswirkungen auf die Arbeit in der Kunstbranche geworfen.
Man kann beispielsweise argumentieren, dass mit ChatGPT der Zugang zu Bildung geöffnet oder mithilfe von Bildgeneratoren die Kunstbranche erschlossen werden kann. Schließlich kann plötzlich jede Person mithilfe von Midjourney Bilder ein Vielfaches schneller erstellen als jemand, der erst einmal lernen müsste, mit Pinsel, Farben, oder digitalen Zeichenprogrammen umzugehen. Der Code des Bildgenerators Stable Diffusion der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München wurde sogar öffentlich zugänglich gemacht. Damit sind die »Künstler*innen«, die sich dies zu Nutze machen, völlig losgelöst von kostenpflichtigen Programmen anderer Anbieter. Ebenso verschwindet die Notwendigkeit einer exklusiven künstlerischen Ausbildung, solange man einen leistungsfähigen Rechner besitzt, der einem die angefragten Bilder ausspuckt.
Je mehr Input, desto besser
Aber der Schein trügt. Um zu verstehen, warum das so ist, müssen wir uns fragen, wie diese Programme eigentlich funktionieren. Der Großteil der modernen KI-Systeme, und damit auch generierende KI, benötigen eine riesige Datenmenge, auf der sie trainiert werden, um ein »neues« Bild ausspucken zu können. Bei den Trainingsdaten für Bildgeneratoren handelt es sich um mit Beschreibungstext versehene Bilder. Dabei lautet die Devise: Je mehr Input, desto besser. Nicht umsonst lautet ein bekanntes KI-Paradigma: »There is no data like more data«. Die Systeme erkennen Muster in diesen Daten und generieren auf dem Eingabetext basierend eine Bilddatei. Dabei wird nichts neues erstellt, sondern aus den bekannten Trainingsdaten ein passender Mittelwert berechnet. Die Frage, ob das noch Kunst ist, stellt sich nun eigentlich gar nicht mehr, dafür jedoch die viel Drängendere: Wo kommen diese Daten eigentlich her?
Blanker Hohn für die beklauten Künstler*innen
In letzter Zeit wurden immer mehr Stimmen von Künstler*innen laut, die ihre Kunstwerke im Trainingsset von Stable Diffusion gefunden haben, ohne dafür gefragt, geschweige denn entschädigt worden zu sein. Die Entwickler*innen der KI eignen sich also unrechtmäßig die Arbeit der Künstler*innen an, ohne dass diese in irgendeiner Art selbst von der Technologie profitieren können. Mittlerweile wurde in England aufgrund der Verstöße gegen das Urheberrecht sogar ein Gerichtsverfahren gegen Stability AI, der Firma hinter Stable Diffusion, angestoßen. Teilweise sind sogar die Signaturen der einzelnen Künstler*innen in der »neuen KI-Kunst« erkennbar – blanker Hohn für die beklauten Urheber*innen und ihre künstlerischen Werke.
Doch selbst bei einer Einwilligung aller Künstler*innen zur Nutzung ihrer Werke, würde ein Problem bestehen bleiben. Die entwickelten Algorithmen sind in unserer Gesellschaft verankert und dienen in unserem kapitalistischen System somit primär der Gewinnmaximierung der Konzerne und damit der Ausbeutung von Arbeiter*innen. Unternehmen wie Disney oder Netflix könnten die Technologie in Zukunft nutzen, um nur noch einige wenige Menschen zu bezahlen, die die Arbeit vieler Künstler*innen ersetzen. Hier wird also trotz öffentlich zugänglichem Code nicht die Kunstbranche im Interesse aller revolutioniert, sondern, wie auch sonst, Arbeit ganz im Interesse des Kapitals automatisiert.
Vor allem Einstiegsjobs sind gefährdet
Die Technologie wird, in den Händen des Kapitals, eher dazu verwendet werden, Löhne zu drücken, Jobs wegfallen zu lassen und damit eine ganze Branche weiter in die Armut zu treiben. Dadurch sind insbesondere Einstiegsjobs gefährdet und junge Zeichner*innen oder Illustrator*innen äußern sich sehr besorgt über die zukünftige Sicherheit ihres Arbeitsplatzes. Die angehenden Künstler*innen laufen Gefahr, einer völlig anderen Lohnarbeit nachgehen zu müssen und neben alltäglichen Notwendigkeiten ihre Kreativität nur noch als Hobby ausleben zu können.
Per se ist Automatisierung erstmal nichts Schlechtes. Sie hat die Möglichkeit den Menschen von lästiger Arbeit zu befreien und die Gesamtarbeitszeit zu reduzieren. So hätten wir alle mehr Zeit, soziale Kontakte zu pflegen und unseren Hobbys nachzugehen. In den Händen des Kapitals wird sie allerdings zum Mittel der Gewinnmaximierung und Ausbeutung. Künstler*innen werden also erst ihres intellektuellen Eigentums und dann ihres Lohns beraubt.
Mittel der Ausbeutung
Da sich die Umstände der KI-Nutzung voraussichtlich nicht grundlegend ändern werden, ohne dass der Kapitalismus in sich zusammenbricht (siehe auch S. 6), ist es notwendig, dass sich Künstler*innen im Angesicht der letzten Entwicklungen zusammentun und organisieren. In eigenen Künstler*innen-Gewerkschaften könnte Bild-generierende KI als Quelle der Inspiration dienen und zum Wohle derjenigen eingesetzt werden, ohne deren Arbeit die Algorithmen nicht funktionieren. Automatisierung und Arbeitsreduktion können in einem anderen System zum guten Leben für alle führen, doch nicht solang Konzerne sich die Kunst, und somit die Produkte unserer Arbeit aneignen.
Marte Henningsen studiert im Master Kognitionswissenschaften in Osnabrück und beschäftigt sich mit der Rolle von Künstlicher Intelligenz im Kapitalismus.
Dieser Beitrag erschien zuerst in der critica Nr. 30. Du erhältst sie beim SDS in deiner Stadt oder kannst sie hier online lesen.