Bye, bye Lernfabrik

Bye, bye Lernfabrik

Wie wir von wirtschaftsgesteuerten Unis zu selbstbestimmter Bildung und Forschung und einer befreiten Gesellschaft kommen.

Vollversammlungen, Streiks und Demonstrationen mit tausenden Studierenden – so sahen die Unis während der 68er Bewegung aus. Doch die enorme Neoliberalisierung der 70er bis 90er machte auch vor den Hochschulen nicht Halt. Sie veränderte gemeinsam mit den Umstrukturierungsprozessen der Bologna-Reform die Universität sowie studentisches Leben nachhaltig.

Dass die Universität als Ort der Bildung, der Kritik, des freien Denkens und des Widerstands angesehen wird, ist leider ein entferntes Ideal der 68er Bewegung. Zu groß ist der Einfluss der Wirtschaft auf Forschung und Lehre geworden. Die Konkurrenz im Kapitalismus zwingt Unternehmen, in effizientere Produktionsweisen zu investieren. Sie sind abhängig von Forschung, die sie allein nicht stemmen können, weswegen sie auf produktive Wissenschaft angewiesen sind. Die Universität wiederrum ist durch die Kürzung von Geldern zunehmend auf Konzern-Kooperationen angewiesen. Dies führt zu einer fortschreitenden Ökonomisierung der Universitäten und zahlreichen Missständen im Bildungswesen. Doch was passiert mit der Wissenschaft und Lehre, wenn sie lediglich auf ökonomischen Nutzen ausgelegt ist?

Die Hochschule hat aus ökonomischer Sicht zwei Funktionen: erstens muss sie neue Methoden, Dienstleistungen und Produkte entwickeln. Der Wettlauf um eine immer effizientere Produktion ist gekoppelt mit steter Notwendigkeit nach technischer Innovation. Zwar bleibt Wissenschaft und Bildung staatlich organisiert, doch haben sie eine herausragende Bedeutung für die Konkurrenzfähigkeit der nationalen Ökonomien, indem sie wichtige Grundlagen für die Privatwirtschaft bieten. Darüber hinaus wird seit der Bologna-Reform und der Finanzkrise 2008, auf Kosten der Wissenschaftsfreiheit, Forschung vermehrt über Drittmittel finanziert, ebenfalls um die nationale Wirtschaft und den Einfluss der Unternehmen auf die Hochschullandschaft zu stärken. So wird beispielsweise das Energiewirtschaftliche Institut der Uni Köln von EON und RWE finanziert, während an der LMU München das Zentrum für Arbeitsbeziehungen und -recht durch die Arbeitgeberverbände gesponsert wird.

Die zweite Funktion der Hochschule ist die Ausbildung für den Arbeitsmarkt. Das Bildungssystem soll dabei Arbeitskräfte mit den passenden Qualifikationsprofilen für den Markt zur Verfügung stellen. Die steigende Automatisierung der Produktion führt zu einem stetig steigenden Dienstleistungssektor hier zulande, während immer weniger Beschäftigte im industriellen Sektor tätig sind. Aufgrund dieser Entwicklung werden vermehrt akademische Arbeiter*innen gebraucht. Universitäten werden zu Orten der Massenbildung, die auf anwendungsorientierte Studiengänge fokussiert ist und Forschung von der Ausbildung trennt. (siehe S. 4) In der Gründung der Fachhochschulen wird diese Entwicklung besonders deutlich.

Was hat diese Entwicklung für Auswirkungen auf die Studierendenschaft und deren Zukunft? Die Öffnung der Universitäten und der Bildung wurde zum ökonomischen Zwang statt zur Befreiung:. Um die Profite der Unternehmen zu steigern, wird die akademische Arbeitskraft entwertet. So geht ein Bachelor mit einer geringeren Bezahlung einher als zuvor. Trotzdem bleiben Studierende für Unternehmen sowie den Staat eine Investition in die Zukunft, die vorerst finanziert werden will.  Um die Ausbildung von qualifizierten Fachkräften so kostengünstig wie möglich zu halten, wird der Lehrplan verdichtet, es werden mehr Leistungsnachweise verlangt, die Qualität der Lehre nimmt aufgrund der prekären Arbeitsbedingungen ab und der Druck, der auf Studierenden lastet, steigt immens. Hinzu kommen die materiellen Sorgen zahlreicher Studierender: Die Ampel-Regierung plant, BAföG-Gelder zu kürzen, während die Lebenshaltungskosten immer weiter steigen (siehe S. 6). In der Folge verengen sich Freiräume für politische Aktivität und für Protest am Campus. Gleichzeitig bergen all diese Widersprüche auch das Potential, studentischen Protest neu zu entfachen.

Vorschlag: Studierendenbewegung und Widerstand

In den letzten Jahrzehnten war der neoliberale Umbau der Hochschule immer wieder Anlass für studentischen Protest. Die letzte große Streikwelle gab es an Universitäten 2009, als sich 200.000 Studierende für bessere Studienbedingungen einsetzten. Diese Streiks und Proteste entstanden wegen untragbarer Studienbedingungen und waren stark auf materielle Forderungen nach verbesserten Lehr- und Lernverhältnissen fokussiert.

Jedoch ist es entscheidend, dass Studierende ihre Anliegen als Teil eines gesellschaftlichen Protests begreifen, der notwendig ist, um mit der neoliberalen Hegemonie zu brechen. Solange Kapitalinteressen in den Hochschulen das Sagen haben, wird es unmöglich sein, Demokratisierung, gute Lehre und gesellschaftlich relevante Forschung durchzusetzen. Kämpfe für bessere Studienbedingungen überlagern sich immer wieder mit Protesten gegen gesellschaftliche Krisen. An den Hochschulen kann dabei ein kritisches Potential entstehen, um sich gegen die Missstände aufzulehnen und Perspektiven jenseits des Kapitalismus aufzuzeigen. So waren in Frankreich im Mai 1968 Straßenkämpfe von Studierenden der Ausgangspunkt eines riesigen, Monate andauernden Generalstreiks. Im Zuge der Finanzkrise 2011 vermengten sich in Griechenland Proteste und Institutsbesetzungen der Studierenden mit den Aufständen der Bevölkerung gegen die eiserne Austeritätspolitik der Troika. Diese Beispiele zeigen, dass Hochschule und Gesellschaft stets in Wechselwirkung stehen – auch wenn es um Protestdynamiken geht.


Studentische Bewegungen haben das Potential, »Träger eines neuen antikapitalistischen Aufbruchs im Zeitalter der permanenten Krise« (Gohlke, Butollo 2012)  zu werden. Die Klimabewegung hat zuletzt gezeigt, dass Schulen und Unis einen entscheidenden Unterschied in gesellschaftlicher Veränderung machen können. Jetzt liegt es an uns, dieses Potential zu seiner vollen Entfaltung zu bringen. Denn schon 2010 stellte ein Kommentar im britischen The Guardian fest: »Die Gefahr, die von den Aktionen der Studierenden ausgeht, ist, dass sie ansteckend sein können […]. Es könnte sein, dass ihre Energie, ihr Enthusiasmus, ihre Radikalität, ihre Wut und ihre Rauheit in uns allen schlummert.«

Nathi und Ronja arbeiten nine to nine für die studentische Revolution an der Uni, sei es mit Büroarbeit, Campus-Gesprächen oder Demo-Planung.