Zeitenwende für die Wissenschaft?

Zeitenwende für die Wissenschaft?

»Freiheit zur Verantwortung« meint die Bundesforschungsministerin und wirbt dafür die Zivilklauseln an unseren Hochschulen zu überdenken. Wieso Aufrüstung und Abschottung der Wissenschaft die falschen Antworten auf gegenwärtige Herausforderungen sind.

»Die Zeitenwende wirft auch ein neues Licht auf Zivilklauseln. Es stellt sich die Frage, ob sie angesichts der aktuellen politischen Lage noch zeitgemäß sind«, schrieb Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) am 20.08.2023 in einem Gastbeitrag für die »Frankfurter Allgemeine Zeitung« (FAZ).  Darin argumentiert Stark-Watzinger unverhohlen dafür, dass die Zivilklauseln überdacht werden sollten. Diese stellen die Selbstverpflichtung der Universitäten dar ausschließlich zu nicht-militärischen Zwecken zu forschen. Es sollte überlegt werden, wie diese umgestaltet werden können, so »dass Wissenschaftler ihrer Verantwortung im Interesse unseres Landes gerecht werden können.« Mit anderen Worten, sie plädiert für eine Ausrichtung der Wissenschaft im Einklang mit der »Sicherheitspolitik« und den Interessen des deutschen Staates im Weltsystem. »In Zeiten wachsender systemischer Rivalität« müssten hierfür die wissenschaftlichen Kooperationen mit Ländern wie China überprüft werden. Ein Bruch, der bereits im vergangenen Jahr mit russischen Forschungseinrichtungen vollzogen wurde. Damit wurde de facto die Sanktionspolitik der Bundesregierung von den Hochschulen mitgetragen. Es wird deutlich: Die Bundesregierung nimmt bei der Aufrüstung auch die Universitäten gezielt ins Auge.

Beispiele dafür, was passiert, wenn der wissenschaftliche Apparat im Dienste des Krieges steht, sind zahlreich vorhanden. Tatsächlich fand die erste echte »Zeitenwende« in den Wissenschaften mit den Vorbereitungen für den Ersten Weltkrieg statt. Die modernen Naturwissenschaften spielten eine entscheidende Rolle bei der Entwicklung neuer Waffentechnologien, die das Wesen des Krieges grundlegend verändern sollten. Ein bemerkenswertes Beispiel ist die Entwicklung, Erprobung und der Einsatz von Giftgas am Kaiser-Wilhelm-Institut für Physikalische Chemie und Elektrochemie, einem im Deutschen Reich gegründetem Forschungsinstitut unter der Leitung von Fritz Haber. Die Atombombe, ein Produkt des bisher größten staatlichen Forschungsprojekts, hinterließ 1945 eine unvergessliche Spur der Verwüstung in Hiroshima und Nagasaki.

Die Geschichte zeigt, dass die Verschmelzung von Wissenschaft und Kriegsführung die weltweit dunkelsten Kapitel der Geschichte erst ermöglicht haben. In diesem Zusammenhang gewinnt die historische und gegenwärtige Friedens- und Zivilklauselbewegung an deutschen Hochschulen an Bedeutung. Die Kämpfe um die Zivilklauseln in den 1980er und 2010er Jahren sind ein Bekenntnis unzähliger Studierender und Wissenschaftler*innen zu ziviler Forschung. Sie sind damit nicht nur eine Absage an Rüstungsforschung, sondern eine Zusage an eine friedliche und progressive Wissenschaft, die der Allgemeinheit dient.

Die drängenden globalen Probleme wie der Klimawandel, bewaffnete Konflikte und weltweite Ungleichheit erfordern enge, internationale Zusammenarbeit statt Abschottung. Diese Kooperationen sind nur möglich, wenn sich Universitäten dem Frieden verschreiben und zusammenarbeiten. Diese internationale Kooperationsnotwendigkeit wurde einmal von der Mehrheit der Weltbevölkerung bei den G 77, dem Zusammenschluss von Ländern des globalen Südens innerhalb der UN, bekräftigt. Der Austausch von Wissen und Technik bildet einen zentralen Bezugspunkt zur Errichtung einer Welt, die nicht nur wenige begünstigt, sondern alle befreit. Internationale Solidarität ist daher das Gebot der Stunde. Die Privatisierung von wissenschaftlicher Erkenntnis über Patente wurde während der Corona-Pandemie mit Menschenleben bezahlt. Nun soll die Wissenschaft auch noch das Wettrüsten mitspielen.

In einer Zeit, in der die Menschheit mit globalen Herausforderungen konfrontiert ist, sollte die Wissenschaft als treibende Kraft für Frieden und Verständigung fungieren. Wie Albert Einstein einst sagte: “Unsere Waffen sind die Waffen des Geistes, nicht Panzer und Geschosse. Was für eine Welt könnten wir bauen, wenn wir die Kräfte, die ein Krieg entfesselt, für den Aufbau einsetzten.“

Ari (25) studiert Kulturanthropologie und WIssenschaftsgeschichte in Frankfurt und hat erkannt, dass es das Internet auch ohne Militärforschung gegeben hätte.