»Man bereitet sich auf neue Kriege vor«

Pressefoto von Özlem Alev Demirel. Sie trägt eine schwarze Bluse und blickt mit verschrenkten Armen in die Kamera.

»Man bereitet sich auf neue Kriege vor«

Die EU-Abgeordnete Özlem Alev Demirel zum neuen Militarismus in Deutschland und der EU, der Indienstnahme der Hochschulen und was wir heute von Rosa Luxemburg lernen können.

Özlem, vor dem Hintergrund der geopolitischen Eskalation seit Beginn des Ukrainekriegs findet hierzulande eine massive Aufrüstung auf Kosten der Bevölkerung statt. Wie zeigt sich das auf EU-Ebene und welche Rolle spielt Deutschland dabei?


Schon seit langem gibt es die Idee der Militärunion. Mit der Verunsicherung, die es mit Russlands Überfall auf die Ukraine gab, wurde die Gelegenheit genutzt und immer mehr in dem Bereich durchgesetzt. Der EU-Industriekommissar spricht schon offen vom Aufbau einer Kriegswirtschaft. Der militärisch-industriellen Produktion soll bei Bedarf Vorrang vor ziviler gegeben wird. Milliarden werden in den Rachen der Rüstungsindustrie geschmissen, Kredite aufgenommen, um immer mehr Kriegsgerät herzustellen. Die robuste Konfrontation großer Weltmächte ist im vollen Gange. Laut Frau von der Leyen müsse die EU deutlich machen, dass sie bereit und gewillt ist, ihre Interessen in aller Welt auch militärisch durchzusetzen. Das wird offen ausgesprochen: Wir steuern auf kriegerische Zeiten zu. Damit es nicht so weit kommt, braucht es eine starke Friedensbewegung.

Nach Äußerungen von Donald Trump wird in Europa aktuell eine atomare Aufrüstung diskutiert, um sich aus der militärischen Abhängigkeit der USA zu lösen. Welche strategische Bedeutung hat die Atombombe für die EU und für Deutschland?

Ich möchte gern jedem den oscarprämierten Film »Oppenheimer« empfehlen. Ich glaube aus seiner Geschichte und Biografie kann man sehr viel lernen. Vom federführenden Entwickler zum klaren Gegner. Von Befürwortern des deutschen Militarismus und Großkapitals gibt es schon immer den Wunsch, eine Atommacht zu sein. Als Wirtschaftsmacht möchte man auch Militärmacht sein können. Die Situation wird genutzt, um das weiter zu forcieren und auf europäischer Ebene durchzusetzen. Bei der Atomdebatte geht es um die Verschiebung des Sag- und Machbaren. Verhandlungen zur Beteiligung am französischen Atomwaffenarsenal laufen schon länger hinter den Kulissen. Frau Barley hat das öffentlich ausgesprochen und bekam deshalb die Rüge, dass diese Debatte nicht in die Öffentlichkeit gehöre. Bisher ist Frankreich beispielsweise nicht gewillt, die eigene Atommacht in der EU zu teilen. Einig sind sich Deutschland und Frankreich als EU-Führungsmächte, den militärisch-industriellen Komplex massiv auszubauen und den Binnenmarkt zu nutzen. Auch dahinter stecken Profitinteressen– unmittelbar die der Rüstungsindustrie, aber nicht nur. Die militärischen Fähigkeiten sollen ausgebaut werden, um Handelswege, Zugang zu Ressourcen und Absatzmärkte zu sichern.

Ich glaube nicht, dass die Bevölkerung möchte, dass es für Kapitalinteressen Kriege gibt.


An den Hochschulen sammelt sich bereits die Zivilklauselbewegung zum Kampf gegen die Indienstnahme für den Krieg (S. 19). Die Angriffe auf die Klausel nehmen zu. Erst kürzlich sprach sich Wirtschaftsminister Habeck für mehr Militärforschung nach dem Beispiel der USA und Israel aus. Welche Rolle spielen die Hochschulen für die Aufrüstungspläne?

Hier werden Milliardenbeträge für den rüstungsindustriellen Komplex verschwendet und der Militarismus soll dort verankert werden, wo sich der intellektuelle Geist der Bundesrepublik aufhält – an den Hochschulen. Die Kooperation zwischen Rüstungsindustrie, Bundeswehr und Universitäten soll ausgeweitet werden. Das ist brandgefährlich! Nicht nur, weil neue Waffensysteme geschaffen werden, sondern weil eben der Militarismus gesellschaftsfähig gemacht werden soll. Selbst an Schulen soll man Kinder und Jugendliche neuerdings auf Kriege vorbereiten. Alles und Alle sollen sich auf neue Kriege vorbereiten, deshalb muss der Protest dagegen auch an den Universitäten stattfinden. Wir wollen Forschung für den Erhalt unserer Lebensgrundlagen und nicht für Kriegsgerät!

Es gibt einige Menschen, die nicht mit der Rolle mitgehen, die Deutschland in der Ukraine oder in Gaza spielt. Wie ist Deine Einschätzung zur Rolle Deutschlands in diesen Kriegen?  

Man verkauft uns die Waffenlieferungen an die Ukraine als Solidarität mit dem angegriffenen Volk. Aber NATO und EU verfolgen in der angeheizten Konkurrenz mit dem imperialen Rivalen Russland eigene geopolitische Interessen. Der Krieg ist ein Stellungskrieg, für den es keine militärische Lösung gibt. Egal in welchem Krieg, auch in der Ukraine sterben insbesondere die Armen und die Arbeitenden. Mit Blick auf Gaza schaut Deutschland nicht nur tatenlos bei den Kriegsverbrechen und Massakern an den Palästinensern zu, sondern verzehnfachte sogar die Waffenlieferungen an Israel. Die Forderung nach einem Waffenstillstand wird abgelehnt. Selbstverständlich hat Deutschland mit dem Holocaust eine besondere Verantwortung, aber was hier passiert hat nichts mit dem Kampf gegen Antisemitismus zu tun, sondern Zuschauen bei neuem Unrecht. Beide Kriege müssen endlich beendet werden. Es braucht diplomatische Maßnahmen für einen nachhaltigen und dauerhaften Frieden im Nahen Osten und Europa.

Was ist unsere Rolle als Linke in Deutschland? 

Wir müssen eine starke Friedensbewegung aufbauen und deutlich machen, dass es sich bei diesem innerimperialen Machtkampf nicht um gerechte Kriege handelt, sondern um Machtkämpfe auf dem Rücken der Völker. Wir müssen Militarismus eine Absage erteilen und Einstehen für Völkerfreundschaft, Gerechtigkeit und Frieden.

Manfred Weber, der Fraktionsvorsitzende der Unionsparteien im EU-Parlament, sagte in der letzten Plenarsitzung: »Wer den Krieg verhindern will, muss den Krieg vorbereiten.« Ich sage, wer den Krieg vorbereitet, wird Krieg bekommen. Wer den Krieg verhindern möchte, muss in Frieden investieren. Wir als Linke müssen deutlich machen, dass das, was sie uns als Sicherheit verkaufen, das Gegenteil ist, dass das, was sie uns als Freiheit verkaufen, nichts mit Freiheit zu tun hat. Krieg ist das Gegenteil von Freiheit.  

Das Interview führte Luca Groß, SDS Frankfurt am Main.