Universitäter? Wer sind hier die Täter?

Universitäter? Wer sind hier die Täter?

Deutschland verwendet autoritäre Mittel, wie Demo-Verbote, mehr denn je. Ist das überhaupt neu und warum kommt es gerade jetzt?

Deutschland hat in den vergangenen Monaten eine Facette des westlichen Liberalismus gezeigt, die sonst versteckt bleibt. Schon im September 2023 hat Amnesty International gewarnt, dass in Deutschland die Versammlungsfreiheit deutlich eingeschränkt werde. In den Monaten danach folgten Repressionen gegen die Meinungs- oder Wissenschaftsfreiheit: Ein Betätigungsverbot in Deutschland gegen den Rektor der Uni Glasgow, Ghassan Abu-Sittah, die Ausladung der Philosophin Nancy Fraser von der Uni Köln oder die Absage der Feierlichkeiten für die Hannah Arendt Preisträger*in Masha Gessen. Diese Ausnahmefälle sind nur ein Teil der autoritären Verschiebungen, die aktuell in der Bundesrepublik stattfinden und weit mehr als moralische Panikmache. Sie markieren kein neues Kapitel der Repression, vielmehr sind sie Ausdruck einer fehlenden Handlungsperspektive im herrschenden System und der kapitalistischen Krisentendenz.

Gaza als Katalysator des Autoritarismus

Die Universitäten spielten bei dieser Entwicklung eine besondere Rolle: Nachdem die Palästina-Protestcamps an US-Unis für Furore sorgten und auch in Deutschland Camps an diversen Universitäten stattfanden, gelangten die Unis in den Fokus der Öffentlichkeit. Mit der Aufmerksamkeit wurde eine vermeintliche islamistische Unterwanderung der Universitäten diagnostiziert, initiiert durch »anti-westliche«, postkoloniale, woke Professor*innen. Das führte schlussendlich zur unsäglichen Öffentlichkeitsfahndung der Springer-Medien, deren Boulevardblatt »Universitäter« titelte und die Daten von Mitarbeiter*innen der Berliner Universitäten teilte, die in einem offenen Brief die enorme Polizeigewalt gegen das erste Protestcamp an der FU Berlin kritisierten. Im Bildungsministerium versuchte man daraufhin Listen der unterstützenden Wissenschaftler*innen zu erstellen, um zu prüfen, ob man diesen nicht die Fördermittel entziehen könne. Der Vorgang, der als »Fördergeldaffäre« bekannt wurde, steht exemplarisch für ein sich verengendes Klima des Sagbaren. Eine Situation, die, vor allem zum Thema Israel/Palästina, in Deutschland nicht neu ist und auch eindeutig Früchte trägt: Nur wenige Wissenschaftler*innen in Deutschland, darunter noch weniger Professor*innen, äußern sich in Deutschland öffentlich zu politischen Themen. Vielmehr zensieren sie sich selbst, um nicht ihre Fördergelder oder Stellen zu verlieren. Das fällt zusammen mit den verstärkten Versuchen der Bundeswehr und der deutschen Rüstungskonzerne, die Universitäten zu erschließen. Bislang sorgen an mehr als 70 öffentlichen Unis Zivilklauseln, freiwillige Selbstverpflichtungen von Universitäten, dafür, dass bloß zu zivilen Zwecken und nicht für den Krieg geforscht und gelehrt werden darf. Seit der sog. »Zeitenwende« wird versucht das zu ändern, zu diesem Zweck gibt es beispielsweise seitens der AfD in NRW oder der CDU/SPD Regierung in Hessen Versuche Zivilklauseln zu unterbinden oder in Bayern die Vorstöße Universitäten mit der Bundeswehr zur Zusammenarbeit zu verpflichten.

Die ideologischen und ökonomischen Zuspitzungen ergänzen sich hierbei gegenseitig. Medien und Politiker*innen schaffen in der Öffentlichkeit ein Klima der Angst und entziehen dem Bildungsetat die ohnehin knappen Gelder. Damit füttern sie den Verteidigungshaushalt, sodass Fördergelder für Universitäten leichter durch Rüstungskooperation zu erhalten sind. 

Autoritäres Deutschland: Eine Kontinuität?

Es lässt sich allerdings auch hinterfragen, ob diese Entwicklungen für die Bundesrepublik Deutschland überhaupt etwas Neues sind. Wenn es auch heute weitgehend aus dem gesellschaftlichen Gedächtnis verschwunden ist, ist die Geschichte der Bundesrepublik kein Wunder der Freiheit. Angefangen mit der Frage, für wen Freiheit galt: In der BRD der 50er Jahre galt sie zum Beispiel für unzählige ehemalige NSDAP-Funktionäre, die nahtlos in hohe Positionen der BRD aufsteigen konnten. Gleichzeitig zeigte die junge Bundesrepublik Härte gegen erklärte Feinde ihrer Verfassung und verbot auf Beschluss des Bundesverfassungsgerichts 1956 die KPD. Ein weiterer Auswuchs des Autoritarismus war der Radikalenerlass 1972. Dabei handelte es sich um eine Art Gesinnungsprüfung für Personen, die im öffentlichen Dienst beschäftigt werden sollten. In den 13 Jahren, in denen der Radikalenerlass in Kraft war, wurden 1200 Menschen nicht eingestellt und etwa 260 entlassen. Der größte Teil von ihnen wurde als »linksextremistisch« gebrandmarkt, womit ihnen die Ablehnung der »freiheitlich demokratischen Grundordnung« vorgeworfen wurde. Aktuell streitet beispielsweise SDAJ-Mitglied Luca in Frankfurt vor Gericht darum, ob er Lehrer werden darf. In München darf Benjamin Ruß wegen seiner ehemaligen Aktivität im SDS und Mitgliedschaft bei der Roten Hilfe nicht an der TU München arbeiten und klagt gemeinsam mit ver.di dagegen (Siehe S. 17).
Auch hartes Vorgehen gegen palästina-solidarischen Protest ist nicht neu: Schon immer war es schwer, Demonstrationen zum Thema  anzumelden oder sie durchzuführen ohne von der Polizei gestört zu werden. Beispielhaft dafür war die extrem schwere Durchführung der Nakba75 Kampagne, bei der an die Vertreibung gedacht werden sollte. Aber auch in anderen Belangen war sich Deutschland nie zu schade, hart gegen zivilen Protest vorzugehen. Der wohl prominenteste Fall von unzähligen Beispielen ist der des Berliner Studenten Benno Ohnesorg, der 1967 bei einer Antikriegsdemonstration in Berlin von einem deutschen Polizisten anlasslos erschossen wurde. Auch damals war das Vorgehen eine Reaktion auf den aufflammenden Protest, der Deutschlands Stellung in der globalen Macht-Formation angriff. 

Autoritäre Mittel zur Krisenbewältigung

In der Coronapandemie trat, neben der Gesundheitskrise, vor allem die Frage nach der Resilienz unserer Demokratie zutage und seit der Eskalation des Krieges in der Ukraine durch den Einmarsch russischer Truppen bahnt sich eine neue Weltkriegsgefahr an. Die Klimakrise bedroht unseren Planeten, die mit unserer aktuellen Wirtschaftsweise nicht bewältigbar ist. In mehreren Hinsichten zeigt sich immer wieder, dass die neoliberale Politik der letzten Jahrzehnte die Probleme unserer Zeit nicht lösen kann. Das führt innenpolitisch zu neuen Unruhen, die die herrschende Politik bewältigen muss, weshalb sie zu autoritären Mitteln greift. Für die zunehmende Unzufriedenheit der Bevölkerung mit ihrer ökonomischen Situation machen Oppositions- wie Regierungspolitiker*innen die »Migrationskrise« verantwortlich und verschärfen Einwanderungs- und Abschiebegesetze. Die subjektive und objektive Sicherheit für viele Bevölkerungsgruppen nimmt ab und wird mit konstruierten Feindbildern sowie dem üblichen Ruf nach »Leitkultur« und strengeren Gesetzen beantwortet. Hinzu kommt die verstärkte Kriegsgefahr die für Unzufriedenheit mit der Regierung sorgt, welche die AfD mit ihrer Friedensdemagogie versucht aufzugreifen. Auch die Unterstützung für Israels genozidalen Krieg gegen Gaza nimmt ab und so müssen die Kritiker*innen dessen als Islamist*innen markiert und aus dem Diskurs ausgeschlossen werden. In vielen dieser Fälle wird übrigens die vermeintliche »Querfront« zwischen Linken und Rechten oder Islamist*innen beschworen, um auch eine linke Antwort auf diese Krisen zu diskreditieren.

Universitäter sind nicht jene Wissenschaftler*innen, die kritisch forschen oder es gar wagen, sich politisch zu äußern, sondern die, die dagegen vorgehen. Die Wissenschafts- und Meinungsfreiheit in Deutschland ist ernsthaft in Gefahr, nicht etwa weil ein Despot an der Macht ist, sondern weil die Einschränkungen dieser Freiheiten aktuell nötig sind, um die herrschenden Krisen zu lösen, ohne systemische Probleme anzugehen oder die Vormachtstellung des Westens zu hinterfragen.

Maxi ist im SDS Düsseldorf aktiv und Mitglied des Bundesvorstands. Großer Freund der BILD war er auch vorher nicht.