Jenseits der Rechten: Wenn Femonationalismus zur Waffe liberaler und konservativer Politik wird

Jenseits der Rechten: Wenn Femonationalismus zur Waffe liberaler und konservativer Politik wird

Dass die derzeitige Neue Rechte im Kampf um kulturelle Hegemonie die Themen Identität, Religion, Kultur oder Geschlecht von rechts besetzt, ist nichts Neues. Doch im Neoliberalismus wird die Verteidigung feministischer Ideale mit rassistisch-nationalistischen Argumenten nicht länger ein Problem von rechts bleiben.

Während in Deutschland die feministische Bewegung unermüdlich für die Abschaffung des Paragrafen 218, den Ausbau von Frauenhäusern und Kita-Plätzen, mehr Präventionsarbeit gegen sexualisierte Gewalt und bessere Unterstützung für Überlebende kämpft, nimmt rassistische Hetze gegen Migrant*innen und muslimische Menschen weiter zu. Immer öfter werden diese beiden Themen von politischen Akteuren auf subtile Weise miteinander verwoben – obwohl sie statistisch gesehen wenig miteinander zu tun haben. Dieser Prozess wird als Femonationalismus bezeichnet. Wie Sara R. Farris in ihrem Buch In the Name of Women’s Rights: The Rise of Femonationalism aus dem Jahr 2017 erklärt, beschreibt Femonationalismus die rassistische und islamfeindliche Instrumentalisierung von Geschlechterfragen. Parolen zum „Schutz der Frau“ oder für eine „Emanzipation der Frau“ dienen den Femonationalist*innen, die Teil der herrschenden Klasse sind, dabei als Platzhalter, um dahintersteckende, antimuslimisch-rassistische und migrationsfeindliche Argumente nicht direkt als solche zu entlarven und ihnen einen „Anlass“ zu geben: rassistische Rhetorik sei also notwendig und begründet, da der Schutz der Frau vermeintlich in Gefahr sei. Auf diese Weise wird pauschal behauptet, es gebe einen kausalen Zusammenhang zwischen geschlechtsspezifischer Gewalt und muslimischen oder migrantischen Menschen. Durch scheinbar rationale Argumente, die jedoch geschickt den eigentlich rassistischen Kern verbergen, erhält diese Hetze also eine beunruhigende, neue Relevanz.Die Neofaschist*innen in Europa sind schon lange durch weibliches Führungspersonal bekannt. Wir erleben eine Marine Le Pen, die sich als Verteidigerin von Frauenrechten darstellt. Auffällig ist dabei, dass dies ausschließlich im Kontext restriktiver Migrationspolitik geschieht. In Italien vertritt Giorgia Meloni eine vergleichbare Position. Dass ihre Fratelli d’Italia die Bedeutung der traditionellen Familie zu betonen versucht und sich für Maßnahmen einsetzt, die Frauen verstärkt in traditionelle Rollen und reproduktive Ausbeutung drängt, geht dabei unter.

Gleichzeitig erleben wir eine Sahra Wagenknecht, die in einem Interview mit dem Onlinemagazin „maenner*“ über Stadtviertel spricht, in denen „Kinder mit dem Irrglauben aufwachsen, dass Homosexualität eine Sünde ist und Frauen weniger Rechte haben als Männer.“ Ihre Schlussfolgerung: Wo Integration scheitert, können solche Einstellungen zementiert werden. In einem Interview mit Alice Schwarzer für die „Emma“ betont sie allerdings, dass das nach ihr benannte Bündnis – anders als die AfD – kein rassistisches und pauschalisierendes Ressentiment bedienen solle. Interessant dabei: Auf die Frage, wann sie Alice Schwarzer das erste Mal intensiver wahrgenommen hätte, gibt Wagenknecht zu, dass ihr  Schwarzer erst  positiv aufgefallen war, als diese sich „kritisch“ mit dem politischen Islam und dem Thema Kopftuch auseinandergesetzt hätte. Zuletzt griff die FDP-Abgeordnete Ann-Veruschka Jurisch im Herbst 2023 das Thema sexualisierte Gewalt auf, um in der Diskussion um das „Rückführungsverbesserungsgesetz“ der Ampelkoalition für eine Erleichterung von Abschiebungen zu argumentieren.

Eben diese Positionen, die geschlechtsspezifische Gewalt mit Migration oder Islam in direkten Zusammenhang stellen oder den Kampf um Frauenrechte als Deckmantel für nationalistische und migrationsfeindliche Politik verwenden – auch bekannt als „Femonationalismus“ – sind keineswegs neu und wecken Erinnerungen an die rassistische Berichterstattung zur Kölner Silvesternacht 2015. Doch heute ist Femonationalismus längst nicht mehr ausschließlich ein Werkzeug rechter Politiker*innen und Gruppen. Diese Entwicklung birgt ein alarmierendes Risiko.

„In einer Zeit, in der Neoliberalismus und Nationalismus Hand in Hand gehen, bleibt die Empörung über rassistische Diskurse zu sexualisierter und geschlechtsspezifischer Gewalt oft aus, wenn diese von liberaler oder konservativer Seite aus kommt.“

Die kritische Sozialwissenschaft hat in den vergangenen Jahren ihr Augenmerk auf die komplexe Beziehung zwischen Geschlecht und Islam sowie Geschlecht und Migration in der Rhetorik bei derNeuen Rechten gelenkt. Und das ergibt auch Sinn. Es wirkt ironisch, dass Akteure der far right lange Zeit wenig Interesse an der Gleichberechtigung von Mann und Frau gezeigt hatten, doch im Kontext rassistischer Politik Geschlechtergleichstellung plötzlich als zentralen Wert ihrer Ideologie verteidigen. Rechte und konservative Akteure, wie die frauenpolitische Sprecherin der AfD-Bundestagsfraktion oder der CDU-Frauenverband, appellieren  an den 8. März als Tag zum Kampf für Gleichberechtigung appelierenund  setzen sich  für eine Bestrafung von Freiern beim Sexkauf ein – während sie gleichzeitig andere, intersektional-feministische Bewegungen anfeinden. Den religiösen Islam mithilfe von Geschlechtzu kritisieren und ihm ein misogynes Frauenbild pauschal zu unterstellen, bietet eine Anschlussfähigkeit an aktuelle, hegemonial geführte Diskurse zu Geschlecht, Religion und Migration. Doch wie ist das zu erklären?

Nationalismus als verbindendes Element

Farris‘ Konzept ist nun lange nichts Neues. Femonationalistische Argumente polarisierten in der Vergangenheit öfter im Kontext von Podiumsdiskussionen, Bundestagsreden oder Boulevard-Zeitschriften. Auffällig ist jedoch, wie der moderne Femonationalismus längst nicht mehr nur von rechten, sondern ebenso von konservativen und liberalen Kräften aufgegriffen wird – das verbindende Element und der wahre ideologische Übeltäter bleibt dabei der Nationalismus.

Farris beschreibt in ihrem Buch klassischer Femonationalismus, der sichhäufig in drei zentralen Argumentationssträngen zeigt. Erstens präsentieren sich viele Parteien als Verfechter*innen der Emanzipation und Akzeptanz von queeren Menschen. Sie betonen, dass in ihrer Partei alle willkommen seien, verweisen jedoch gleichzeitig auf angeblich besorgniserregende Zustände von Frauenrechten und queeren Rechten im Land. Besonders innerhalb migrantischer und muslimischer Gemeinschaften wäre der Schutz dieser Rechte allgemein bedroht. Zweitens wird dem religiösen und kulturellen Islam, Farris zufolge, ein diskriminierende Geschlechterrollen pauschal und ganz generell unterstellt. Dies passiert in einer direkten Gegenüberstellung mit „der Nation selbst“. Farris zufolge sehen sich femonationalistische Akteure als „fortschrittlich“ und „aufgeklärt“, während dem Islam „Rückständigkeit“ in Geschlechterfragen und Sexualität zugeschrieben wird. Dieses koloniale Bild des Islams wird als Vorwand genutzt, Islam und Migration als allgemein rückständig und inkompatibel mit westlichen Werten zu betrachten. Daraus folgt die Forderung nach einem Schutz vor einer vermeintlichen „Islamisierung“ der eigenen Werte und Normen. Als drittes Merkmal beschreibt Farris, dass in der Rhetorik der Femonationalist*innen muslimischen Menschen ein (sexualisiertes) Gefahrenpotenzial zugeschrieben wird, basierend auf biologistischen, rassistischen und sexistischen Stereotypen. Der muslimische Mann wird als unaufgeklärt, queerfeindlich, misogyn und aggressiv dargestellt – als permanente Bedrohung. Im Gegensatz dazu wird die muslimische Frau als Opfer ihrer Religion und muslimischer Männlichkeit betrachtet. Femonationalist*innen sehen sich daher in der Verantwortung, muslimische Frauen aus ihrer vermeintlichen Unterdrückung zu retten. Musliminnen, die nicht diesem Bild entsprechen, gelten als besonders emanzipiert und werden als Vorzeigebeispiele für Integration gelobt. Dennoch schützt sie dieses Bild nicht vor der Einschränkung ihrer Freiheiten – nationalistische Körperpolitiken im Westen, wie Verbote von Burkas, Niqabs oder Hijabs im öffentlichen Raum, stützen sehr gerne auf femonationalistischen Begründungen.

Femonationalismus hat zum Ziel, muslimischen und migrantischen Menschen ein diskriminierendes Verständnis von Geschlecht und Sexualität zuzuschreiben. Die Vertreter*innen dieser Argumentation zeichnen ein Bild von Islam und Migration als nationale und kulturelle Bedrohung. Im momentanten Neoliberalismus und Rechtsruck steigt die Gefahr, dass auch konservative oder liberal-nationalistische Politiker*innen, Parteien und Bewegungen zunehmend auf femonationalistische Argumente zurückgreifen, um ihre Anti-Islam- und Anti-Migrations-Politik zu legitimieren. Diese Entwicklung birgt zwei Risiken: Erstens besteht die Gefahr, dass queer-feministische Anliegen zweckentfremdet werden und am Ende nicht der Emanzipation oder dem Einsatz für transformative Rechte marginalisierter Gruppen in der Gesellschaft dienen. Zweitens droht eine Dämonisierung von Migration und Islam, die nach Abschiebungen, Verbote und Ausweisungen schreit.

In einer Zeit, in der Neoliberalismus und Nationalismus Hand in Hand gehen, bleibt die Empörung über rassistische Diskurse zu sexualisierter und geschlechtsspezifischer Gewalt oft aus, wenn diese von liberaler oder konservativer Seite aus kommt. Diese gilt es zu enttarnen. Das Konzept von Farris kann dabei helfen.

Femonationalismus unterstützt den regulären Nationalismus

In Zeiten, in denen in Talkshows über Abschiebepläne nach Ruanda und die Notwendigkeit, Bargeld für Asylsuchende in Deutschland abzuschaffen gesprochen wird, Nancy Faeser Abschiebungen nach Afghanistan wieder möglich macht, Olaf Scholz auf einem Spiegel-Cover nach konsequenteren Abschiebungen fordert und Mitglieder der FDP in Talkshows die Position verteidigen, dass Geflüchtete dem Sozialstaat auf der Tasche liegen würden, wird offenen Rassismus und Islamfeindlichkeit wieder eine Bühne geboten geworden. Diese gefährliche Normalisierung zeigt, dass nationalistische Narrative keinen Halt vor hegemonialen, gesellschaftsrelevanten Themen und keinen Halt vor bürgerlichen Diskursen machen. Und erst recht keinen Halt davor, diese mit national-feministischen Diskursen verbinden zu wollen. Femonationalismus ist pauschalisierend und vereinfachend. Femonationalismus ist islamfeindlich. Femonationalismus ist Rassismus und Femonationalismus ist kein Feminismus.

Während die marxistisch-feministische Bewegung in Deutschland den reproduktiven Faktor der Frau im Kapitalismus thematisiert sowie Frauen-konnotierte Probleme wie Niedriglohnsektor, Armutsrenten, irreguläre Jobs, Ausbeutung im Kontext von Sexarbeit, Kita-Mangel und häusliche Gewalt als politische Probleme versteht, wird Femonationalismus als Beihelfer des Nationalismus zunehmend zur Gefahr werden. Aus einer feministischen Perspektive ist es wichtig, Femonationalismus als rassistische Fokusverschiebung weg von realen Bedrohung zu erkennen: Die wahre Bedrohung von geschlechtsspezifischer Gewalt lauert statistisch gesehen am häufigsten im eigenen sozialen Umfeld.

Die Reduzierung auf die far right vereinfacht zudem die komplexen Weisen, wie solche Diskurse durch die gesamte herrschende Klasse bedient werden können. Im Kampf gegen patriarchale Strukturen, Femizide, der Entlohnung unbezahlter Reproduktionsarbeit oder gegen häusliche und sexualisierte Gewalt darf man vor lauter Femonationalismus das Ziel nicht aus den Augen verlieren.

Maike Schüler hat Politikwissenschaften in Mainz studiert und sich in ihrer Bachelorarbeit mit dem Thema Femonationalismus beschäftigt