Wie gefährlich ist die CDU an der Macht?

Wie gefährlich ist die CDU an der Macht?

Die nächste Bundesregierung wird wohl von der Union angeführt. Sie plant Steuerentlastungen für Unternehmen sowie Top-Verdiener*innen, Aufrüstung und eine rigide Migrationspolitik. Ist sie noch gefährlicher als die AfD?

Mit aller Wahrscheinlichkeit wird Deutschland die nächsten vier Jahre durch Konservative regiert. Der ehemalige Blackrock-Aufsichtsrat und CDU-Chef Friedrich Merz wird wohl Kanzler werden. Unsicher ist nur noch, mit wem die Union koalieren wird: Grünen, SPD oder beiden zusammen? Alles steht im Zeichen der Umkehrung der Ampel. Die schlechteste Regierung jemals – wie Politiker*innen gewillt sind, über jede letzte Regierung zu behaupten – habe so viel versäumt, dass die nächste Koalition einiges retten müsse.

Auch trotz Merz’ Vorstoß, Stimmen der AfD für eine Asylrechtsverschärfung in Kauf zu nehmen, scheint es aktuell unrealistisch, dass die CDU die Ruinen der Brandmauer vollständig überschreitet und mit ihr koaliert. Mit der Ausnahme einiger weniger (prominent: Elon Musk) hat die AfD in den Chefetagen der Wirtschaft bisher wenig Rückhalt. Über die Vorhaben, die eine neofaschistische AfD an der Regierung vorhat, wissen spätestens seit der Protestwelle Anfang 2024 fast alle Bescheid und lehnen diese weitgehend ab. Aber gleichzeitig braucht es die AfD nicht einmal in Regierungsbeteiligung, um Abschiebungen, Aufrüstung und den Abbau sozialer sowie demokratischer Errungenschaften durchzusetzen. Das alles hat die liberale Ampel-Regierung seit 2021 ganz allein verantwortet. Da kommt nun die Frage: Wie viel gefährlicher wäre ein Kanzler Merz?

Die nächste Agenda

Friedrich Merz hat mit seiner Agenda 2030 ein Programm vorgelegt, in dem die Pläne einer kommenden CDU-Regierung ausbuchstabiert werden. Sie beziehen sich dabei positiv auf die Agenda 2010, die Gerhard Schröder Anfang der 2000er durchgesetzt hatte. Sie führte zum Bruch in der SPD und dem Entstehen der Linkspartei, weil sie als neoliberale Reform viele der erkämpften sozialstaatlichen Errungenschaften wieder abzuschaffen drohte. Die jetzt geplante Agenda 2030 zielt in eine ähnliche Richtung: Eine Steuerreform zugunsten der Spitzenverdiener*innen sowie Unternehmen, Liberalisierung des Arbeitsrechts zu Ungunsten der arbeitenden Klasse und eine Abschaffung des Bürgergelds.

Merz fällt auch in anderen Fragen mit reaktionärem, militaristischen Getue auf. Er kündigte noch im Dezember an, Deutschland militärisch wieder zu einer »führenden Mittelmacht« zu machen. Dafür soll die Wehrpflicht wieder eingeführt werden und 80 statt 50 Milliarden Euro für das Verteidigungsministerium bereitgestellt werden. Der CDU-Verteidigungspolitiker Roderich Kiesewetter geht noch weiter und forderte bereits letztes Jahr: »Der Krieg muss nach Russland getragen werden. Russische Militäreinrichtungen und Hauptquartiere müssen zerstört werden.« Zum Thema Migration schlägt Merz vor, straffällig gewordenen Personen mit zwei Pässen die deutsche Staatsbürgerschaft zu entziehen und Syrer*innen seit dem Sturz von Assad massenweise in das von einer teils islamistischen Übergangsregierung regierte Land abzuschieben. Unrühmlich ist Merz auch immer noch dafür bekannt, dass er vor seiner Blackrock-Karriere, als Abgeordneter des Bundestags gegen die Strafbarkeit von Vergewaltigung in der Ehe gestimmt hatte.

All seine Forderungen – das ist keine neue Beobachtung – sind Tendenzen, die schon immer in der CDU Anklang fanden, aber vor allem von der AfD offensiv gefordert werden. Nicht zuletzt deshalb ist die AfD aktuell eine Gefahr, die gestoppt werden muss. In der jüngeren Vergangenheit ist es aber immer mehr eine Sache von Monaten oder gar Wochen geworden, bis AfD-Positionen von CDU und anderen Parteien der selbsternannten »demokratischen Mitte« übernommen werden.

Only Nixon could go to China – only Merz could…

Das Sprichwort Only Nixon could go to China beschreibt den Umstand, dass alle erdenklichen US-Präsidenten mit einem Besuch in China in den 1970ern, ihre Kredibilität verloren hätten, da sie dort mit Mao Zedong und der Kommunistischen Partei Chinas, also einem System-Rivalen, sprechen würden. Nicht aber Richard Nixon. Der konservative US-Präsident – der später die Revolutionärin und Philosophin Angela Davis zur Staatsfeindin machen würde – war dafür bekannt, ein so überzeugter Antikommunist zu sein, dass er dem kommunistischen Revolutionär lächelnd die Hand schütteln konnte.
Die BRD ist 2025 nicht in dieser Situation. Vielmehr zeigen Vorgänge, wie der China-Besuch von Nixon, dass die Herrschaft in einer Demokratie über manchmal aus arbiträren Gründen von unterschiedlichen Akteuren durchgesetzt wird. Genauso fällt es einem Kanzler Merz, einer Koalition der »demokratischen Mitte«, womöglich leichter, die Demokratie weiter zu schleifen, den Sozialstaat und das Asylrecht weiter auszuhöhlen und die »Kriegsertüchtigung« voranzutreiben. Vor allem dann, wenn die AfD die mit Abstand größte Opposition im Parlament darstellt. Deutlich machte diesen Effekt zuletzt die CDU-Spitzenkandidatin Julia Klöckner in einem mittlerweile wieder gelöschten Post. »Für das, was Ihr wollt, müsst Ihr nicht AfD wählen. Dafür gibt es eine demokratische Alternative: die CDU.«

Illusionen über die Demokratie

Um auf die ursprüngliche Frage zurückzukommen: Die CDU ist an sich nicht gefährlicher als die AfD. Das wäre eine Position, die den Charakter der AfD als Speerspitze des deutschen Militarismus und Nationalchauvinismus verkennt. Die AfD entwickelte sich mehr und mehr zu einer faschistischen Partei, die jene Freiheiten, die sich die fortschrittlichen Kräfte über das letzte Jahrhundert erkämpft haben, wieder zurückbauen will. Ihre engen Verflechtungen mit der militanten Neonazi-Szene sind bedrohlich. Auch in Europa gilt die AfD als rechter Teil der neofaschistischen Parteien und wird sogar vom französischen »Rassemblement National« nicht mehr als offizieller Bündnispartner betrachtet. Ihr Wahlslogan »Alice für Deutschland« und die Verwendung der Remigrations-Rhetorik des Höcke-Flügels lassen keine andere Deutung zu, als dass die AfD die aktuell schlimmste Gefahr für emanzipatorische Kräfte in Deutschland ist.

Aber: Um die politische Lage zu analysieren und politische Gegner zu charakterisieren, muss der Blick mehrdimensionaler sein, als nur die größte Gefahr auszumachen. Eine Koalition der »demokratischen Mitte« unter Kanzler Merz und eine AfD-dominierte Opposition ist eine brandgefährliche Konstellation für Frieden und Sozialstaat, die nicht unterschätzt werden sollte. Beim Versuch, den Hauptfeind auszumachen, der die größte Gefahr für die Demokratie, den Sozialstaat oder marginalisierte Gruppen darstellt, und diesen am härtesten zu bekämpfen, wird die grundsätzliche Herrschaftsdynamik innerhalb von Demokratien verkannt. Die neoliberale Bewältigung von Krisen, die Aufrüstung, strengere Migrationsregulierungen werden zum nationalen Anliegen erklärt und als dieses angegangen. Nicht als »Durchregieren« einzelner, sondern in einem Zusammenspiel mehrerer politischer Akteure: Die radikalen Rechten, die weitgehende Maßnahmen fordern; Konservative, die dieselben Ideen Monate später wieder ins Gespräch bringen; Linksliberale, die sich zunächst schockiert zeigen, aber dann vermeintliche Sachzwänge finden, die sie letztlich dazu bringen, die Maßnahmen zu tolerieren (oder selbst zu fordern).

In einem solchen Zusammenspiel vollzieht sich der aktuelle autoritäre Umbau, die Sozialstaatskürzungen, die Verschärfungen der Migrationspolitik, die massive Aufrüstung und auch der aktuelle Wahlkampf. Die unzähligen Kanzlerkandidat*innen überbieten sich darin, wer das NATO-Aufrüstungsziel weiter übersteigen kann. Jede*r hat eine Idee, wie man den Geflüchteten das Leben noch mehr zur Hölle machen kann. Die gefährlichsten reaktionären Forderungen denkt sich kein Björn Höcke einfach aus und zwingt sie dann der Gesellschaft auf. Sie entstehen in der aktuellen tiefen Krise, dem Absterben der vorherrschenden Weltordnung, in der die sozialen und demokratischen Zugeständnisse an die arbeitende Klasse und andere fortschrittliche Kräfte gestrichen werden, um die Herrschaft weiter und zunehmend auch mit roher Gewalt zu sichern. Wenn wir dagegen ankommen wollen, vor allem über die Wahl hinaus, braucht es offensive Gegenentwürfe für eine andere Gesellschaft. Gegen wen wir kämpfen, zeigt sich dann im Kampf für eine andere Welt. Mit den Beiträgen in dieser Ausgabe wollen wir den Weg dorthin diskutieren.

Maxi (23) studiert Philosophie in Düsseldorf und ist Mitglied im Bundesvorstand des SDS. Auf den nächsten Kanzler freut er sich nicht, egal wer es wird.