Frieren für die Freiheit?

Frieren für die Freiheit?

In der Linken herrscht Uneinigkeit, wie man mit Russland umgehen sollte. Für eine glaubwürdige Politik müssen wir uns gegen Sanktionen einsetzen, die die Allgemeinheit statt die Oligarchie treffen, meinen Deniz und Torsten.

Mit den Worten: „Ihr seid nur daran interessiert, eure alte Ideologie in jeder Hinsicht zu retten. Die Nato ist böse, die USA sind böse, die Bundesregierung ist böse und damit Schluss für euch“ kritisierte LINKEN-Ikone Gregor Gysi einen Teil der Linksfraktion um Sahra Wagenknecht, die unter anderem vor einem Kollateralschaden durch die Sanktionspolitik warnt.

Die Frustration Gysis ist symptomatisch für eine Linke, die es wieder einmal nicht schafft, zu einer großen Frage unserer Zeit eine konsensuale Position zu finden. Wochen nach Kriegsbeginn stehen sich die verschiedenen Ansichten unversöhnlich gegenüber. Ein Teil der Linken verfällt vermeintlich in ihr typisches russlandfreundliches Muster, welches ihr Liberale und Konservative seit Jahrzehnten vorwerfen. Währenddessen wird von der anderen Seite ein realpolitischer, „moralischer“ Standpunkt vertreten.

Neben den Waffenlieferungen, die den Krieg in der Ukraine verlängern und somit das Leid der Menschen dort vergrößern, möchte die Bundesregierung mittels Sanktionen die russische Bevölkerung für Putins Krieg büßen lassen. Außenministerin Baerbock bringt es auf den Punkt: „Das wird Russland ruinieren“. Niemand wird es bedauern, wenn die Yacht eines Oligarchen beschlagnahmt wird, aber man sollte sich keine Illusionen darüber machen, wen das Gros der Sanktionen am Ende wirklich trifft.

Die westliche Strategie besteht darin, durch eine massive Absenkung des Lebensstandards der Menschen in Russland einen Regierungswechsel herbeizuführen. Diese Vorgehensweise stellt in der Geopolitik des Westens kein Novum dar. In Ländern wie Afghanistan, Irak, Iran, Kuba, Nordkorea, Syrien, Venezuela oder im Yemen sorgte diese Art der Politik für fürchterliches Leid bis hin zu Millionen von Toten. Allerdings konnte so in keinem einzigen Fall, wie ursprünglich intendiert, zu einem Sturz der Regierung beigetragen werden. Die genannten Länder haben alle gemein, dass sie wirtschaftlich schwach sind und ihre globale ökonomische Vernetzung gering ausgeprägt ist. Im Falle Russlands ist das anders. Große Teile der Welt sind auf die Einfuhr von russischem Weizen angewiesen und insbesondere Deutschland ist hochgradig abhängig von Energieimporten. Insgesamt 55 Prozent des hier verbrauchten Erdgases, 35 Prozent des Erdöls und mehr als 57 Prozent der Steinkohle, die im vergangenen Jahr eingeführt wurden, stammen aus Russland.

Mit dem aufziehenden Wirtschaftskrieg muss sich auch die deutsche Bevölkerung auf dramatisch steigende Energiekosten gefasst machen. Dies würde bis ins Extrem gesteigert werden, wenn sich die Forderung nach einem kompletten Importverbot für russische Energieträger, wie sie in linksliberalen Kreisen erhoben wird, durchsetzen würde. Vor allem in Armut lebende Menschen und die bereits von Abstiegsängsten geplagte Mittelschicht dürfen sich im nächsten Winter dann entscheiden, welches Zimmer sie heizen wollen und ob sich die Fahrt zur Arbeit angesichts der Benzinpreise überhaupt noch lohnt. Der ehemalige Bundespräsident Joachim Gauck kommentiert dies zynisch mit der Parole „Frieren für die Freiheit“.

Das Sanktionsregime ist zum einen ineffektiv und zum anderen moralisch höchst fragwürdig. Welche Moral steckt dahinter, Gaslieferungen aus Russland zu vermeiden und gleichzeitig Öl aus Saudi-Arabien zu importieren, das den Yemen seit sieben Jahren besetzt und einen Genozid dort zu verantworten hat?

Die Linke sollte immer auf der Seite der einfachen Bevölkerung stehen, egal ob in Deutschland, Russland oder anderswo. Für eine glaubwürdige Politik müssen wir uns gegen Sanktionen einsetzen, die die Allgemeinheit statt die Oligarchie treffen. Die Interessen der Mehrheit zu vertreten darf nicht kontrovers sein, auch wenn es Gegenwind gibt. Eine Linke die sich dessen bewusst ist, wird weniger frustriert, inspirierender und erfolgreicher sein.

Dieser Beitrag erschien zuerst in unserer Semesterausgabe – critica Nr. 28

Torsten und Deniz studieren in Bonn, haben kein Herz für Oligarchen und halten Zentralheizungen für ein Menschenrecht.