25 Mai Fast jede*r dritte Studierende von Armut betroffen!
Das Student*innenleben in runtergekommenen WGs und Ernährung über Nudeln mit Ketchup wird oft romantisiert. Dabei ist Armut unter Studierenden bittere Realität. Das machen neue Daten deutlich, doch der echte Ausmaß des Problems müsste noch größer sein, schreibt Suzanna.
Nach Datenauswertungen der Forschungsstelle des Paritätischen Wohlfahrtsverband ist fast jede*r dritte Student*in von Armut betroffen, unter Singles sind es ganze 79,2 Prozent.
Diese Analyse baut auf der generationenübergreifenden Datenerhebung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung sowie des Deutschen Studentenwerkes auf. Zuletzt wurden die Daten des Studentenwerks vor der Corona-Pandemie erhoben. Sie beziehen also weder den Arbeitsverlust durch die Pandemie noch die Inflation nach dem Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine ein, die die finanzielle Situation der Studierenden inzwischen weiter verschlimmert haben.
Die langfristige Digitalisierung infolge der Corona-Pandemie und die damit verbundene Abkopplung vom eigentlichen Ort der Lehre schneidet Student*innen, die sich die steigenden Mieten der qualitativ hochwertigen Universitätsstädte nicht leisten können, von den Wohlfahrtsmaßnahmen, die für sie vorgesehen sind, ab. Weder Semestertickts, das Sparmenü der Mensa oder andere studentische Rabatte greifen für sie. Auch die Digitalisierung verschärft die Klassenunterschiede, denn für eine erfolgreiche Teilnahme an den Online-Kursen ist gute Ausrüstung nötig.
Die Ausweitung des BAföG hilft nur bedingt, denn sie hilft vor allem denjenigen mehr, die bereits reichere Eltern haben. BAföG alleine reicht nicht mehr aus, um Student*innen über die Armutsgrenze zu heben. Die Regelstudienzeit trägt zum finanziellen Druck bei. Gerade von denen die neben dem Studium jobben müssen, wird erwartet dieses in Regelstudienzeit abzuschließen, um ihre Förderung nicht zu verlieren. Somit ist BAföG ein Bonus für diejenigen, die ihn nicht brauchen, ein Spott für diejenigen, dies es verdienen.
In der gesamtgesellschaftlichen Vorstellung haben Studierende viel Freizeit, feiern und besuchen nebenbei ihre Vorlesungen. Dass dieser Lifestyle ein Mythos ist, oder nur für diejenigen möglich, die sich ihn leisten können, sollte nach der Veröffentlichung der Daten klar sein. Sie machen eine zunehmende Ungleichheit der Gesellschaft deutlich, und immer mehr Schwierigkeiten, diese zu überwinden.
Der Mindestlohn, für Student*innen manchmal das höchste der Erwartungen, reicht nicht zur Teilnahme am Leben aus. Es fehlt neben Miete und Lebenserhaltungskosten an dem nötigen um am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. Das Versprechen einer freien Wahl des Studienortes ist eine Fata Morgana, wenn das Wohnen bei den Eltern der einzige Weg ist, nicht an den Mietkosten zu scheitern. Auch sind nur die Studiengänge mit sicherer Anstellung, wie Lehrer*in oder Naturwissenschaften eine Option, wenn die Zukunft zunehmend düsterer und unsicher erscheint.
Mit der Prekarisierung erfüllt sich für die meisten auch nicht das Versprechen der Universitäten als ein Ort, an dem sich frei gebildet und persönlich weiterentwickelt wird. Wer hat schon Interesse an der Entfaltung der eigenen Persönlichkeit, wenn Arbeit für die destruktivsten Konzerne der einzige Weg zu einem beinahe stabilen Leben ist? Studieren als freie Entwicklung der Persönlichkeit verwandelt sich mehr und mehr zu einem Privileg für die Kinder der bürgerlichen Klassen, die durch Corona und den Krieg in der Ukraine dank staatlicher Konzernfürsorge immense Profite erzielten. Politische oder überhaupt persönliche Bildung und Aktivismus ist in solchen Umständen kaum möglich. Ob sie das absichtlich fördert oder als wünschbarer Nebeneffekt hinnimmt, hat die herrschende Klasse mit dieser Entpolitisierung kein Problem, denn sie macht ihr Leben leichter. Wer seine Ketten nicht bemerkt, will sie nicht loswerden; wenn man sie bemerkt, aber nicht loswerden kann, ist das immer noch das Zweitbeste.
Die Zunahme an geistigen Erkrankungen und Burnouts unter Studierenden ist in dieser Situation kein Wunder. Die Lage der Studierenden ist desolat und wird trotzdem weiterhin übersehen. Als unnütz, faul, dumm und besessen über „social justice“ und „wokeness“ verspottet, rasen wir durch das Studium. Denn wir wissen, dass „einmalige, unvorhergesehene Krisen“ nicht mehr die Ausnahme, sondern die Regel sind.
Suzanna studiert Literaturwissenschaft im Master. Kommunistin zu sein ist angesichts der chauvinistischen Parolen an ihrer Universität – von Liberalen wie von Konservativen- für sie gleichermaßen Selbstverdeitigung wie die einzig vernünftige Haltung.