12 Okt Ziviler Ungehorsam oder breite Mehrheiten: Was brauchen wir für den System Change?
Nach dem von Ende Gelände veranstalteten System Change Camp 2022 warnten deutsche bürgerliche Medien: Kommunist*innen würden die Klimagerechtigkeitsbewegung unterwandern. Schön wär’s!
Wo steht die Klimabewegung 2022?
Es ist der 12. August 2022, und aus dem Altonaer Volkspark ziehen Klimagerechtigkeits-Aktivist*innen los, um den Ausbau von LNG-Terminals (Terminals für Flüssigerdgas) in Wilhelmshaven zu blockieren. Sie schaffen es, den Ausbau für einige Stunden lahmzulegen, und erfahren zumindest an jenem Tag kaum staatliche Repression, sodass sie abends ins Camp zurückkehren können, in dem sie begeistert empfangen werden.
Diese Aktion fand im Rahmen des diesjährigen System Change Camps von Ende Gelände statt – ein Teil der Klimagerechtigkeitsbewegung, denn »die« Klimagerechtigkeitsbewegung gibt es nicht. Angesichts der Mittel und Zielgruppen gibt es erhebliche Differenzen – die sich teilweise auch zuwiderlaufen.
Festgestellt werden muss: Zwar war am 23. September 2022 erneut Globaler Klimastreik, dieser war jedoch wesentlich kleiner als in den letzten Jahren und ein Teil von FFF ist nach den ausbleibenden Veränderungen trotz riesiger Demonstrationen von Desillusionierung, Ohnmacht und Ausgebranntheit geprägt. Das wurde in Leipzig deutlich, als FFF am 23. September verkündete, erstmal eine dreimonatige Pause einzulegen.
Große Teile der Bewegung halten die Strategie des zivilen Ungehorsams, also das bewusste Verstoßen gegen Regeln oder Gesetze, für eine sinnvolle Methode, auch wenn sich diese in der Art und Weise der Durchführung erheblich unterscheiden. So probiert sich die Letzte Generation mit Straßenblockaden, um den Alltag der »normalen Leute« zu stören – als sei die Klimakrise erstens noch nicht im Bewusstsein der Mehrheitsgesellschaft angekommen und zweitens eine Krise, in der die Klimabewegung durch die Blockade von motorisiertem Individualverkehr genügend Druck für Veränderung aufbaut. Mit diesem Vorgehen verspielt ein Teil der Bewegung die Chance, großen Rückhalt in der Gesellschaft für ihre Ziele zu erreichen.
Im Kontrast dazu gibt es aber auch Ansätze des zivilen Ungehorsams, die die Systemfrage und in ihren antikapitalistischen Strategien die Eigentumsfrage stellen.
So blockiert Ende Gelände nicht einfach willkürliche Orte, sondern versucht, den fossilen Kapitalismus dort anzugreifen, wo es wehtut. 2022 gab es daher Aktionen des zivilen Ungehorsams rund um den (Aus-)Bau von LNG-Terminals im Großraum Hamburg. Was neu ist: Sowohl im Aktionskonsens als auch in der Praxis gab es in diesem nicht mehr “nur” Blockaden mit den Körpern, sondern auch zU+, also Formen des zivilen Ungehorsams, die Infrastruktur auch längerfristig außer Kraft setzten.
Kein System Change ohne Mehrheiten
Diese Ansätze sind wichtig und scheinen durch Andreas Malms »How to blow up a pipeline« (Verso, 2021; Deutsch: Seitz, 2020) zunehmend in internen Strategiedebatten der Klimabewegung Gehör zu finden. Malm spricht sich hier gegen strategischen Pazifismus, das heißt absolute Gewaltfreiheit, aus. Die meisten Klimaaktivist*innen werden schon erkannt haben, dass dies ahistorisch ist (erfolgreiche soziale Bewegungen in der Vergangenheit haben fast immer auch gewaltvolle Mittel gewählt) und sowieso nicht mehr Rückhalt in der Gesellschaft findet. Außerdem handelt es sich um eine privilegierte Form des Widerstands, die verkennt, dass die uns umgebenden Strukturen gewaltvoll sind (unter anderem patriarchal und rassistisch) und dementsprechende Antworten erfordern.
Malm fordert außerdem neben den Aktionen zivilen Ungehorsams einer radikalen Flanke eine breite Mehrheitsbewegung, welche den ZU-Aktionen Rückhalt geben kann. Wie sieht die Situation in Deutschland aus? Überspitzt gesagt: Die radikale Flanke gibt es, die Mehrheitsbewegung nicht.
Das heißt, in der Konsequenz sind die Aktionen von Ende Gelände nur sinnvoll, wenn sie zum Beispiel auch Arbeiter*innen am Hamburger Hafen mit einbeziehen. Denn für echte Transformation von unten, für einen Weg Richtung System Change, reichen Taktiken einer radikalen Minderheit nicht aus. Eine Politik ist nicht nur radikal, wenn sie aktionistisch ist, sondern vor allem, wenn sie von gesellschaftlichen Mehrheiten getragen wird. Ist das Ziel wirklich, den Kapitalismus zu überwinden, heißt das für die Klimabewegung: Streiks unterstützen. Nur die Arbeiter*innenklasse verfügt letztlich über Machtressourcen (Organisationsmacht), die die Kapitalakkumulation unterbrechen können.
Für eine klassenkämpferische Klimabewegung
Es ist gut, dass kommunistische Perspektiven Einzug ins EG-Camp gefunden haben, und es ist auch gut, dass EG-Aktionen Teil der Taktiken von Kommunist*innen sind. Genau dort sollte die Klimabewegung stehen: Wir brauchen interne strategische Debatten, wie verschiedene Ansätze konstruktiv ineinanderfließen können. Das heißt: Mehrheitsfähige Großdemonstrationen, Formen des zivilen Ungehorsams (+), der weder zu Ungunsten von Beschäftigten noch der Glaubwürdigkeit der Bewegung führt. Aber aus sozialistischer Perspektive am wichtigsten: Es braucht einen labour turn der Klimabewegung und gleichzeitig einen climate turn der Gewerkschaften:
So drehen sich gewerkschaftliche Kämpfe immer häufiger nicht mehr »nur« um ökonomische Interessen, sondern verbinden diese mit ökologischen. Soziale Unsicherheiten durch schon stattfindende Transformationen dürfen von der Klimabewegung nicht außer Acht gelassen werden. Genau hier müssen Klimaaktivist*innen von sozialen Akteur*innen, von der Arbeiter*innenbewegung lernen. Gleichzeitig können soziale Kämpfe nicht mehr ohne Rücksichtnahme auf ökologische geführt werden: Ein Kampf um Arbeitsplatzerhalt muss auch die Frage danach stellen, was – sozial gerecht und ökologisch nachhaltig – noch produziert werden kann und wer darüber entscheidet.
Und auch wenn es bis jetzt erst einige Versuche sind, so gab und gibt es Ansätze für den labour turn der Klimabewegung. So sind in München Klimaktivist*innen vor ein von Schließung betroffenes Bosch-Werk gegangen, in Eisenach sind Klimaaktivist*innen zu einem Zulieferer-Betrieb von Opel und wir als SDS haben 2020 versucht, mit der TV-N-Kampagne (Tarifvertrag Nahverkehr) vorzumachen, was der labour turn der Klimabewegung praktisch bedeuten kann. Das alles sind kleine Ansätze einer mehrheitsorientierten Strategie, und wir müssen weiter ausloten, wie diese zu verbreitern ist und wie wir unsere Forderungen als Klimaaktivst*innen stärker in den tariflichen Auseinandersetzungen hervorheben können. Uns ist klar, dass dieser Weg alles andere als einfach ist. Aber als Sozialist*innen kommen wir um den Aufbau einer Mehrheitsbewegung, gemeinsam mit einer schlagkräftigen Arbeiter*innenklasse nicht herum.
Und vielleicht kommt hier auch die radikale Flanke konstruktiv ins Spiel: Während Ökosozialist*innen Beschäftigte in ihren Tarifverhandlungen unterstützen, die zum Beispiel für mehr Personal, bessere Bezahlung und den Ausbau des ÖPNV kämpfen (und darin eine kollektive Kampfkraft entwickeln, mit der perspektivisch auch Fragen um Enteignungen und Vergesellschaftung gestellt werden können), könnte ja die radikale Flanke vielleicht Ticketautomaten in die Luft sprengen?
Lasst uns den Kapitalismus aus den Angeln heben! Mit einer Vielfalt an Taktiken, die den Angriff auf kapitalistische Infrastruktur, aber insbesondere eine von gesellschaftlichen Mehrheiten getragene Transformation von unten umfasst.
Mara Schaffer und Karla Zierold studieren in Leipzig Politikwissenschaft und sind im SDS aktiv. Für beide steht fest: Für einen echten Systemwandel brauchen wir die Arbeiter:innenklasse.