02 Nov Musk kauft Twitter: kein Gewinn für die Redefreiheit
Elon Musk übernimmt Twitter und verspricht freie Rede. Statt zu fragen, welche gesperrten Accounts nun re-aktiviert werden, müssen wir fragen, was ein privatisiertes Netz überhaupt mit dem öffentlichen Diskurs tut, schreibt Marte.
»the bird is freed«. Nach langem Hin und Her kaufte Elon Musk den Kurznachrichtendienst Twitter am 28. Oktober 2022 für 44 Milliarden US-Dollar. Während er führende Manager*innen entlassen und sich selbst zum ›Chief Twit‹ ernannt hat, entbrannte im Netz eine Debatte darum, wessen Accounts wieder re-aktiviert werden sollten, insbesondere Konten von Personen wie Donald Trump, Andrew Tate, und Kanye West. Musk hat sich zuvor als Meinungsfreiheit-Absolutist (free speech absolutist) beschrieben und will Twitter zu einem »digitale[n] Marktplatz« machen, »auf dem eine große Bandbreite an Meinungen auf eine gesunde Art diskutiert werden kann«. Sein Verständnis von Meinungsfreiheit ist anscheinend, dass ultra-rechte Menschenfeinde sich nach Belieben sexistisch, rassistisch und antisemitisch äußern dürfen, ohne Angst vor Repression zu haben. Sie können ihre Beiträge einfach als Witz tarnen, von dem man sich nicht so ›triggern‹ lassen soll. Schließlich postet Musk am Tag des Kaufs »Comedy is now legal on Twitter«, während in den ersten 12 Stunden nach Übernahme der Plattform die Nutzung des ›N-Wort‹ um 500 Prozent steigt.
Meinungsfreiheit scheint Musk aber nur bestimmten Menschen nach seinem Wohlwollen zuzugestehen und nicht als universelles Grundrecht anzuerkennen. Nach einem kritischen Bericht über Musks Giga-Factory in Brandenburg war das ZDF zur Eröffnung der Fabrik ausgeladen worden, da der Investigativbericht für die Firma einen »Vertrauensbruch« darstellt. Es ging Musk also nie um wahre Meinungsfreiheit.
Freie Rede im Netz?
Allgemein war Rede im Netz ohnehin nicht ›frei‹. In zweierlei Hinsichten:
Zum einen scheinen Online-Plattformen frei nutzbar zu sein, da die Apps kostenlos heruntergeladen werden können. Dass wir nicht nur Nutzer*innen der Plattformen, sondern unsere Daten, und damit auch wir, Produkte der dahinterstehenden Megakonzernen sind, wird in der Debatte oft vergessen. Profit wird mit dem Erfassen und anschließendem Verkauf unserer Datenprofile erzielt. Während ich also durch Instagram scrolle, wird alles erfasst: wie lange ich welchen Beitrag angucke, auf welche Buttons ich drücke, welchen Accounts ich folge, und alles weitere Denkbare. Das Geschäftsmodell von Social Media Plattformen basiert darauf, mein Profil an Werbepartner zu verkaufen und mir immer passgenauere Produkte zu empfehlen. Hochrelevante Werbung ist nicht mehr lästig, sondern »Inhalt«, so Musk. Wir zahlen also auch in Zukunft mit unseren Daten dafür, einen Anteil, an Musks marktliberaler ›hell-site‹ zu haben.
Zum anderen sind alle großen Social Media Plattformen in privater Hand und werden durch Profitzwang gesteuert. Menschen sollen immer längere Zeit auf der Plattform verbringen, damit ihnen mehr und mehr Werbung gezeigt werden kann. User*innen-Informationen erzielen entweder direkt Profite für die Tech-Konzerne oder sie werden gewinnbringend an ›Data-Broker‹ verkauft. Um Menschen süchtig zu machen und jede freie Minute an den Bildschirm zu fesseln, werden kontroverse, angsteinflößende, und hasserfüllte Beiträge oftmals bevorzugt angezeigt. Diese Posts emotionalisieren Menschen und rufen mit einer höheren Wahrscheinlichkeit eine Reaktion, in Form von Klicks, Likes oder Kommentaren, hervor. Aufregung wird also durch Algorithmen erzeugt, und damit unsere Zeit und Aufmerksamkeit zu Waren geformt.
Polarisierende, menschenfeindliche Inhalte, tragen demnach aktiv dazu bei, Interaktionen auf Musks Plattform zu generieren. Dieser begrüßt das beschriebene Phänomen und nutzt es bewusst unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit aus, um die Inhaltsproduktion auf seiner Plattform voranzutreiben. Musk hat also die Macht, Einfluss auf den öffentlichen Diskurs zu nehmen, indem er entscheidet, welche Stimmen gehört werden und welche nicht. Durch rassistische, sexistische oder antisemitische Inhalte wird die Debatte zunehmend vergiftet, doch das wahre Problem liegt noch tiefer.
Falsche Fragen
Der öffentliche Diskurs im Internet findet beinahe ausschließlich auf privaten Plattformen statt, und dabei ist es fast egal, welcher Milliardär im Chefsessel sitzt. Vor letztem Freitag war Twitter im Besitz eines Kapitalistenverbands, zu denen auch ein saudischer Prinz gehört. Es wurde festgestellt, dass Twitter-Informationen dem Kronprinzen von Saudi-Arabien bei der Repression politischer Gegner gedient hat. Jeder Milliardär im Besitz einer Social Media Plattform, wird diese profitorientiert führen und dabei Algorithmen, die nach denselben Mustern funktionieren, anwenden, damit unseren öffentlichen Diskurs massiv verzerren und selbigen mittels Hass, Angst, und Empörung weiter antreiben.
Die Frage »Darf Trump weiter twittern?« ist also die falsche und spielt Elon Musk sogar in die Karten. Wir verzerren damit die Debatte. Es wird das Narrativ verbreitet, dass Menschen, die sich nicht an die Regeln des öffentlichen Diskurs im Internet halten, denselben ruinieren, während es die Plattform selbst ist, die die Luft, in der wir diskutieren, vergiftet.
Eine Plattform, die an Profit im kapitalistischen System statt an einem demokratischen Diskurs interessiert ist, kann nie wirklich frei sein, wie Musk suggeriert. Anstatt darüber zu streiten, wem Zutritt zu privaten Plattformen gewährt werden sollte, müssen wir die Fragen stellen, warum wir online nur auf privaten Plattformen diskutieren können? Wie wollen wir einen Raum im Internet zum Austausch gestalten? Und wie kann ein wirklich demokratischer, sozialer und öffentlicher Diskurs in heutigen Zeiten aussehen?
Marte Henningsen studiert Kognitionswissenschaften in Osnabrück mit Schwerpunkt in Ethik der Künstlichen Intelligenz. Sie fände ›Chief Twat‹ als Musks Twitter-Bio passender.