30 Nov Solidarität mit den Demonstrierenden in China
In China fanden in den letzten Tagen der zweitgrößte Arbeiter*innenaufstand und die größten Proteste der letzten dreißig Jahre statt. John M. erklärt, was das für die internationale Linke bedeutet.
Hunderte Menschen waren am Abend des 27. November auf der Wulumuqi-Straße in Shanghai. Viele trugen weiße A4-Blätter ohne Beschriftung als Zeichen des Protests bei sich. Die Demonstrierenden forderten ein Ende der drakonischen Covid-Maßnahmen in China und den Rücktritt Xi Jinpings. Obwohl solche Proteste noch wenige Tage zuvor völlig undenkbar gewesen wären, haben sie sich innerhalb kürzester Zeit wie ein Lauffeuer im ganzen Land ausgebreitet. Wie kam es dazu, dass sich tausende Menschen auf den Straßen der chinesischen Millionenstädte versammelten, um gegen die Politik der Kommunistischen Partei Chinas zu demonstrieren?
Peng Lifa und chinesische Studierende
Am 13. Oktober hatte der chinesische Aktivist Peng Lifa zwei Banner an einer Brücke in Beijing aufgehängt, auf denen er das Ende der harten Covid-Maßnahmen sowie die Demokratisierung Chinas forderte. Daraufhin hatten sich chinesische Studierende weltweit seinen Forderungen angeschlossen. Daraus entwickelte sich das #ThePosterMovement, unter dem selbst in Deutschland Kundgebungen von chinesischen Studierenden organisiert wurden.
Proteste in der Apple Fabrik
Am 22. November begannen Arbeiter*innen Proteste bei der größten Apple-Fabrik der Welt in Zhengzhou. Nachdem ein Lockdown auf dem Fabrikgelände verhängt wurde, flohen viele Arbeiter*innen, weil sie nicht auf dem Fabrikgelände eingesperrt sein wollten. Aufgrund des darauffolgenden Mangels an Arbeitskräften unternahmen die Parteikader große Anstrengungen neue Arbeiter*innen anzuwerben. Daraufhin trafen circa 100.000 Arbeiter*innen in Zhengzhou ein. Nach ihrer Ankunft wurde der Lohn der Arbeiter*innen halbiert und die Auszahlung um Monate verschoben. Daraufhin kam es zu einem drei Tage andauernden Arbeiter*innenaufstand, der so militant war, dass sich selbst die chinesische Militärpolizei zwischenzeitig zurückziehen musste. Erst nach weitreichenden Zugeständnissen endete der Aufstand vorerst.
Laut Eli Friedman, einer der wichtigsten Stimme für Arbeiter*innenrechte in China, handelt es sich um den zweitgrößten Arbeiter*innenaufstand der letzten dreißig Jahre.
Covid-Maßnahmen mit verheerenden Auswirkungen
Zuletzt kam es zu einem verheerenden Brand in der der Provinzhauptstadt Xinjiangs, Ürümqi. Die Stadt befand sich im Lockdown, und aufgrund der Sperren, die zur Durchsetzung des Lockdowns errichtet wurden, konnte die Feuerwehr erst spät das in flammenstehende Haus erreichen, sodass mindestens 10 Menschen dabei ums Leben kamen.
Dieses Ereignis löste eine Protestwelle aus, die in Ürümqi ihren Anfang nahm und sich dann auf viele weitere chinesische Großstädte ausbreitete. Hierbei handelt es sich um die größten Proteste seit der Besetzung des Tiananmen-Platzes 1989.
Demonstrationen in ganz China
Viele der Demonstrierenden hielten bei den Protesten weiße A4 Blätter oder Plakate mit der Beschriftung “dieser Inhalt kann nicht angezeigt werden” in die Luft. Neben des offensichtlichen Bezugs auf die weitreichende Zensur des chinesischen Internets wäre es zu gefährlich, Plakate mit Forderungen bei sich zu tragen. So wurden schnöde weiße A4 Seiten das Zeichen der Bewegung, die nun als #A4Revolution (baizhi geming白纸革命) bekannt wurde.
Besonders in Shanghai forderten Demonstrierende den Rücktritt Xi Jinpings und der Kommunistischen Partei. Vielerorts wurde auch die Internationale angestimmt. Ursprünglich entstand die Bewegung aus der angestauten Unzufriedenheit gegenüber der chinesischen Covid-Politik. Mittlerweile hat die Bewegung auch einige offizielle Forderungen, die sich insbesondere auf das Ende des harten Lockdownregimes fokussieren.
Die Demonstrierenden beweisen dabei immensen Mut, da viele ihrer Forderungen sich direkt gegen die chinesische Regierung richten. Die Proteste sind insbesondere deshalb so überraschend, weil die chinesische Zivilgesellschaft aufgrund von staatlichen Repressionen unter der Amtszeit von Xi Jinping zusammengebrochen ist. Aus diesem Grund kann eben nur diese Art des spontanen und nicht organisierten Protests in China erfolgreich sein.
Reaktion der chinesischen Behörden
Neben der Zensur Online reagierten die chinesischen Behörden vor Ort schnell. Da die Proteste auf der Wulumqi (Ürümqi) Straße begonnen hatten, wurde diese kurzerhand von der Polizei abgeriegelt und die Straßenschilder von den Behörden entfernt. Darüber hinaus werden die bis jetzt andauernden Proteste von einer großen Menge Zivilpolizei begleitet, und es kam zu vielen Verhaftungen.
Bisher wurden die Proteste von den chinesischen Behörden jedoch nicht niedergeschlagen, was daran liegen könnte, dass die chinesische Führung erst unterschiedliche Optionen abwägen will. Der wichtigste Gesichtspunkt ist dabei, wie weit die chinesische Zero-Covid-Politik fortgesetzt werden kann oder ob den Forderungen der Demonstrierenden stattgegeben werden muss. Eine Lockerung der Maßnahmen würde jedoch eine hohe Zahl an Toten fordern, weil viele alte Menschen in China nicht geimpft sind.
Internationale Solidarität
Als Sozialist*innen müssen wir uns solidarisch mit den Demonstrierenden in China zeigen. Darum wäre es an der Zeit, internationale Solidaritätsaktionen mit Demonstrierenden in Zhengzhou, Ürümqi, Shanghai, Beijing und allen anderen Teilen Chinas durchzuführen. Dabei stellen Universitäten und Konsulate der Volksrepublik wichtige Orte dar, an denen Solidaritätsaktionen stattfinden können.
Darüber hinaus sollten Sozialist*innen die Kundgebungen der Chines*innen im Ausland unterstützen. Für die kommenden Tage sind Solidaritätskundgebungen in Frankfurt (M), Dresden, Köln, Jena, Tübingen, Stuttgart, Hamburg, Kassel, Aachen und München angemeldet. Wann diese Kundgebungen stattfinden, kann man über die Instagram-Seiten @Northern_Square und @Maytern_de herausfinden.
John M. studiert Sinologie und Politikwissenschaften in Leipzig und betreibt den Youtube Kanal Maytern.