Katastrophe: Bericht

Katastrophe: Bericht

Wie über Geschehnisse auf der Welt berichtet wird, bestimmt unseren Blick auf die Gesellschaft und die Zustände, in denen wir leben. Öffentlich-rechtliche Medien, genauso wie große Tageszeitungen spielen hier eine entscheidende Rolle in der Diskursbestimmung. Über was wird wochenlang berichtet, was ist in aller Munde, wozu muss man sich eine Meinung bilden. Wie wenig objektiv Berichterstattung oft ist, wird im Folgenden anhand des aktuellen Beispiels, dem gesunkenen U-Boot und dem Ertrinken von hunderten Flüchtenden auf dem Mittelmeer, aufgezeigt.

»Suchteams melden Klopfgeräusche«. Das vermeldet der dritte von insgesamt fünf Posts der Tagesschau zum Titanic-Tauchboot. In den letzten Tagen ist man wohl kaum um diese Meldung herumgekommen. Ob bei Instagram, in den Nachrichten der letzten Tage, oder einfach unterwegs aufgeschnappt: Jeder spricht über das vermisste Tauchboot. Auch ich weiß gefühlt alles, was es dazu zu wissen gibt: Was ist passiert, wer war an Bord, und auch wie viel Geld die Insassen gezahlt haben, um auf Abenteuerfahrt zu gehen. Und ich habe nichts davon aktiv nachgeschaut. Selbst ein Video, welches die Kontrollzentrale (den Spiel-Controller) des U-Bootes zeigt, ist mir gleich mehrfach auf verschiedensten Onlineplattformen angezeigt worden: Twitter, TikTok, Instagram, reddit, you name it.

Wovon ich aber beinahe nichts mitbekommen hätte, wenn ich nicht aktiv danach gesucht hätte, ist die Schiffskatastrophe vor Griechenland, aufgrund welcher hunderte(!) Flüchtende als vermisst gemeldet sind. Beim Instagram-Auftritt der Tagesschau, der dem vermissten Tauchboot gleich 5 Posts gewidmet hat, findet gleichzeitig der Tod von knapp 600 Menschen gerade so Platz als eine von drei Meldungen im Update-am-Morgen. Am 16. Juni, 2 Tage nach dem Unglück. Im selben Zeitraum hat selbst die angekündigte Pause der K-Pop Band BTS ein ganzes Reel bekommen. Ernsthaft, Leute?!

Das Boot, welches im Mittelmeer gesunken ist, hatte knapp 700 Flüchtenden an Bord; hauptsächlich aus Pakistan, Afghanistan, Syrien, und Palästina; hauptsächlich Frauen und Kinder. Eine Katastrophe mit Ansage. Seit Jahren wehrt sich die Festung Europa gegen legale Fluchtrouten und bezahlt lieber Länder, die in Nordafrika Flüchtlinge an der Überfahrt hindern. So bietet die EU aktuell hunderte Millionen Euro an Tunesien, damit dort das Ablegen von Booten verhindert wird. Und wenn sich die so unendlich verzweifelten Menschen doch auf den Weg machen, weil einfach keine andere Möglichkeit existiert, werden sie von diversen so genannten Küstenwachen zurückgedrängt. So wurde Griechenland erst im Juli 2022 vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte dazu verordnet über 300.000 Euro Entschädigung zu zahlen. Der Grund: Die Küstenwache hat 2014 ein Boot mit 27 Geflüchteten in türkische Gewässer gedrängt. 11 Menschen starben damals. Jetzt waren es rund 600.

Vor diesen Schicksalen werden hier die Augen verschlossen. Weder Schlagzeilen noch Rettungsversuche sind uns diese Menschen anscheinend wert. Acht Stunden bevor das Boot im Mittelmeer sank, gab es bereits Meldungen an die Küstenwache, die europäische Grenzagentur Frontex, und die Polizei mit den Koordinaten und der Dringlichkeit. Aber auch da wurde Grenzschutz über die Leben der Geflüchteten gestellt. Im starken Kontrast dazu stehen die Bemühungen um das Titanic-Tauchboot. Aus aller Welt reisen spezialisierte Hilfskräfte mit Tauchrobotern und besonders ausgestatten Schiffen an und es sind sowohl die US-amerikanische Küstenwache sowie die Navy an den Rettungsaktionen beteiligt. Mittlerweile wurde auf dem Mittelmeer die Suche nach Leichen und Überlebenden eine halbe Woche nach der Katastrophe eingestellt. Da wurden 78 der mutmaßlichen 600 Leichen gefunden.

Es wird inzwischen davon ausgegangen, dass auch die 5 Insassen des U-Bootes gestorben sind; Infolge einer Implosion der Tauchkapsel. Während ihren Angehörigen nun viel mediale Aufmerksamkeit gegeben wird und es viele Beileidsbekundungen gibt, kann man geradezu vergessen, dass auch die 600 Flüchtende Menschen hinterlassen. Eltern, Kinder, Geschwister, Freunde, etc . Mein Beileid gilt insbesondere allen Angehörigen derjenigen die Woche für Woche an den EU-Außengrenzen sterben.

Das riesige Ungleichgewicht, sowohl an Aufmerksamkeit in den Medien als auch an Rettungsbemühungen, spiegelt wider, welcher Wert diesen Ereignissen tatsächlich beigemessen wird. Das muss sich ändern. Ich will damit konfrontiert werden, wie lange diese Menschen auf dem Meer ausharren mussten, warum niemand auf Notsignale reagierte, welche Menschen dort ihr Leben ließen, und warum sie überhaupt in dieser unvorstellbar schrecklichen Situation waren?

Während Ultrareiche eine Viertel Millionen für riskanten Abenteuertourismus zur Titanic ausgeben und dabei sterben, sind die Leichen am Grund des Mittelmeeres nämlich direktes Ergebnis einer Abschottungspolitik der Festung Europa. Die Prioritäten sind klar: Grenzschutz steht über den Menschenleben. Das Verhältnis der Nachrichtenmeldungen in der Presse stützt das Narrativ, dass das Leben von reichen, westlichen Weißen sehr viel mehr Wert ist als das von Geflüchteten aus dem Globalen Süden. Dadurch wird das ausbeuterische, menschenverachtende System weiterhin legitimiert und untermauert. Genau deswegen müssen wir als Sozialist*innen weiter laut sein für legale Fluchtrouten, echte Integrationspolitik, sowie eine ernstzunehmende Bekämpfung der Fluchtursachen: Das globale kapitalistische System, gebaut auf Rassismus und Patriarchat.