Insorgiamo! Ein Reisebericht aus dem GKN-Werk in Florenz

Insorgiamo! Ein Reisebericht aus dem GKN-Werk in Florenz

Anlässlich des zweijährigen Jubiläums reisten einige Genoss*innen in das besetzte GKN-Werk nahe Florenz. Auf den folgenden Seiten berichten sie von ihrer Reise und der Perspektive, die diese Besetzung für die Klimagerechtigkeitsbewegung darstellt.

Mit einer Delegation von Menschen aus Gewerkschaft und Klimagerechtigkeitsbewegung waren wir Anfang Juli für einige Tage in Campi Bisenzio bei Florenz. Dort besetzen die Arbeiter*innen des ehemaligen GKN-Werks seit zwei Jahren ihre von der Schließung bedrohte Autofabrik und kämpfen gemeinsam für den ökologischen Umbau der Produktion unter öffentlicher Kontrolle.

Am 9. Juli 2021 wurden die über 400 Arbeiter*innen von GKN von einem auf den anderen Tag per E-Mail gekündigt. Das Ganze geschah unter dem Vorwand, Arbeitsplätze abbauen zu müssen, der ökologische Wandel der Automobilindustrie erfordere es. Zuvor hatten die Arbeiter*innen Achswellen für diverse Automodelle hergestellt. GKN hat über 50 Produktionsstätten auf der ganzen Welt, beliefert Fiat, Maserati und Ferrari und war zu dem Zeitpunkt der Kündigung einer der größten Arbeitgeber in der Region.

Doch die Arbeiter*innen besetzten noch am gleichen Tag ihre Fabrik, begannen eine »permanente Versammlung« und viele Beschäftigte aus anderen Branchen sowie tausende Bürger*innen solidarisierten sich schnell mit der Fabrik: Mit der Zeit ist ein solidarisches Bündnis aus Beschäftigten, Klimagerechtigkeitsbewegung und breiter Öffentlichkeit entstanden. So entstand beispielsweise mit FridaysforFuture Italien eine Zusammenarbeit und unter dem Motto »Insorgiamo!« (Lasst uns aufstehen!) wurde ein politischen Protest aufgebaut. Zusätzlich wird seit Beginn mit Wissenschaftler*innen und Ingeneur*innen ein Konversionsplan für die Produktion entwickelt. Die Fabrik wurde im Laufe der letzten zwei Jahre zu einem Zentrum des Zusammenkommens für Menschen aus der Region und dient seither zudem der gewerkschaftlichen und politischen Vernetzung sowie der Konversionsdebatte. 

Weitere Informationen zum bisherigen Kampf der Arbeiter*innen und zu ihren Visionen kann man hier nachlesen bzw. anschauen:

#Insorgiamo – Fabrikbesetzung fürs Klima. Von Julia Kaiser und Lukas Ferrari

https://zeitschrift-luxemburg.de/artikel/insorgiamo/

Per Volksabstimmung zur Konvension? Von Julia Kaiser und Lukas Ferrari

https://zeitschrift-luxemburg.de/artikel/konversion-gkn/

Lasst uns aufstehen! – das Fabrikkollektiv GKN. 24 min Film von Labournet.tv:

https://de.labournet.tv/lasst-uns-aufstehen-das-fabrikkollektiv-gkn

Unsere Reise: ein kleiner Überblick

Am Freitag (07.07.) sind wir mit etwa 60 Menschen aus Gewerkschaft und Klimagerechtigkeitsbewegung aus Deutschland, Schweiz & Österreich in Florenz angekommen. Dort haben wir uns abends mit Antonella Bundu getroffen, einer linken Stadträtin in Florenz. Sie kämpft unter anderem im Stadtrat für die Anliegen des Fabrikkollektivs und konnte dabei schon mehrere Hilfsmaßnahmen und eine Städtepartnerschaft zwischen Florenz und Campi Bisenzio durchsetzen. Treffpunkt unserer Tour war ein Turm mitten in Florenz, der noch wenige Tage zuvor von Arbeiter*innen des Fabrikkollektivs besetzt wurde, um die Auszahlung ihrer seit 8 Monaten überfälligen Lohnzahlungen einzufordern – mit Erfolg! Mit Antonella ging es los zu einer politischen Stadtführung. Besonders beeindruckend war dabei der Besuch des einzig verbliebenen Circolo Arci in den Stadtgrenzen von Florenz. Die Circolos sind eine Mischung aus Arbeiter*innencafé, Kneipe und politischem sowie kulturellem Verein. Sie bieten Raum zum lockeren Austausch nach dem Feierabend sowie zur gewerkschaftlichen Organisierung und politischen Debatte. Im Circolo hatten wir die Möglichkeit, uns mit der Vorsitzenden des Vereins auszutauschen und mit ihr über aktuelle sowie historische politische Entwicklungen zu sprechen. Nach einem gemeinsamen Abendessen sind wir schließlich zur Fabrik in Campi Bisenzio gefahren.

Am Samstag (08.07.) war der Tag der großen Jubiläumsfeier sowie der Pride Parade in Florenz; ein ereignisreicher Tag für die Region! Unserer begann morgens mit einer großen Austauschrunde mit verschiedenen angereisten Klimagerechtigkeitsgruppen: FridaysforFuture Italien eröffnete die Runde mit einem Bericht über die Allianzbildung mit den Arbeiter*innen bei GKN. Danach erzählten verschiedene Gruppen & Akteure, von »Lützi lebt!« bis zum ‘Revolutionären Klimakollektiv Basel’ und ‘Debt for Climate’ von aktuellen Projekten, Herausforderungen und Strategien. Anschließend gab es einige Kleingruppen, in denen wir mit Genoss*innen über verschiedene Themen tiefergehend diskutiert haben. So beispielsweise über den Kampf gegen den gesellschaftlichen Rechtsruck, die solidarische Verbindung von internationalen Kämpfen und konkrete Strategien für eine ökosozialistische Verkehrswende.

Im Anschluss an das Panel bekamen wir von Dario Salvetti, der Arbeiter in der Fabrik war und nun eine tragende Rolle in dem Konversionskampf einnimmt, eine Führung durch die Fabrik und die riesige Produktionshalle. Dort stehen mehrere hunderte Maschinen, viele von ihnen sind über 40 Jahre alt, andere wiederum sind Neuanschaffungen aus den letzten Jahren. Alles steht noch genauso da, wie am Freitag vor zwei Jahren – dem Tag der Kündigung. Das Gewerkschaftsbüro befindet sich mitten in der Produktionshalle zum Beginn des Kampfes spielte es als zentraler Anlaufpunkt eine herausragende Rolle.

Nach der Führung fuhren wir gemeinsam mit Streikenden aus einem nicht weit entfernten Möbellager zu einer Protestaktion, um ihren Kampf um bessere Arbeitsbedingungen zu unterstützen. Die Lagerarbeiter*innen vom Möbelhaus Mondo Convenienza befanden sich zu diesem Zeitpunkt seit über 40 Tagen im Streik. Ihre Ziele sind dabei eigentlich grundlegende Arbeitsrechte: man kämpft für eine 5-Tage-Woche mit einer Begrenzung von 8 Stunden am Tag, einen Versicherungsschutz und eine Entlohnung der Überstunden. Doch seit Jahren beschäftigt der Konzern migrantische Arbeiter*innen unter prekären Bedingungen: Ihre Organisierung und ihr Streik halten trotz massiver Repression, medialer Diffamierung und diverser Drohungen der Konzernspitze stand. Die Arbeiter*innen organisieren sich dabei in der Gewerkschaft SI COBAS zusammen mit einem Netz von Freiwilligen, die ihr wertvolles Wissen zu Arbeitsrecht und Betriebsorganisation teilen. Einige Wochen nach unserer Abreise hat sich der Streik trotz angestiegener Repression und Kündigungen bereits auf weitere Mondo Convenienza Standorte ausgeweitet.

Auf dem aktuellen Stand bleiben kann man unter: @sicobas.prato_firenze (Instagram)

Nach der Protestaktion sind einige Menschen unserer Reisegruppe mit Arbeiter*innen des GKN-Werks zur kämpferischen Pride-Demonstration nach Florenz gefahren. Denn obwohl Projekte, wie die Jubiläumsfeier im GKN-Werk anstehen, ist es für sie selbstverständlich an der Parade teilzunehmen. Sie sagen, der Kampf um den Erhalt ihrer Arbeitsplätze und queere Kämpfe müssen für eine wirkliche sozial-ökologische Wende der Gesellschaft zusammengehören.

Am Samstagabend fand schließlich die große Jubiläumsfeier mit Bühnenprogramm statt. Von Podiumsdiskussionen über kämpferische Reden bis hin zu musikalischen Beiträgen und Soli-Konzerten stellten die Arbeiter*innen eine volle Abendgestaltung zusammen.  Es waren viele Menschen jeden Alters aus der Stadtgesellschaft und aus ganz Italien angereist. Das Fabrikkollektiv teilt am nächsten Tag ein Foto von der Jubiläumsfeier bei Sonnenuntergang mit dem Untertitel: 730 Sonnenuntergänge der Menschenwürde und der »Blasphemie für die Freiheit« – in Anspielung auf die Diffamierungen der Presse, die das Kollektiv in den letzten zwei Jahren immer wieder getroffen haben.

Am Sonntag (09.07.) war unser letzter Tag in Florenz: Dario, der uns bereits die Führung durch die Fabrik gegeben hatte, beantwortete uns mittags zahlreiche Fragen zum Kampf der Arbeiter*innen und zu den Entwicklungen der letzten Jahre. Er berichtete von vielen Herausforderungen, wie mangelnder finanzieller und staatlicher Unterstützung und dem Schaffen von guten Strukturen, um die hohe Arbeitsbelastung und Selbstorganisierung über so lange Zeit aushalten zu können. Doch er berichtet auch von der großen Solidarität aus der Bevölkerung, die Art der basisdemokratischen Organisierung vor Ort, erfolgreichen Petitionen und Crowdfundings, sowie lokalen und überregionalen Bündnisse. 

GKN als Utopienlabor 

Während die Klimakrise sich immer weiter verschärft und schnelle Veränderung dringend geboten ist, spaltet der angebliche unüberwindbare Widerspruch zwischen Arbeitsplatzerhalt & ökologischem Umbau hierzulande oftmals die Klimagerechtigkeits- und Arbeiter*innenbewegung bzw. soll sie künstlich gegeneinander ausspielen.

Das Collettivo di Fabbrica zeigt jedoch, dass es auch anders geht: Sie zeigen, wie ökologischer Klassenkampf und eine breite Allianzbildung gelingen kann. Und sie zeigen, dass sich die soziale und ökologische Frage nicht trennen lassen, sondern dass sie international zusammengehören. Hinter globaler Ungleichheit, sozialer Armut und Naturzerstörung stehen die gleichen kapitalistischen Triebkräfte! Klimaschutz heißt Klassenkampf!

Klimaaktivist*innen wie Beschäftigte machen dabei in ihren Kämpfen immer wieder die frustrierende Erfahrung, dass ihnen die politische Macht fehlt, ihre Forderungen nach besseren Arbeitsbedingungen, mehr Lohn aber auch wirklichem Klimaschutz umzusetzen. Auch deswegen müssen wir ökologische und betriebliche Kämpfe verbinden und uns dauerhaft gemeinsam organisieren, wenn wir für eine klimagerechte Welt kämpfen wollen. Nur so können wir eine Durchsetzungsperspektive entwickeln und das ökonomische System ganz grundlegend verändern, dass uns in die Krise geführt hat und sie immer weiter verschärft.

Wir haben aus Florenz viele Impulse mitgenommen, über die wir uns weiter austauschen wollen, beispielsweise: Wie können wir die Konversionsdebatte nach Deutschland holen? Wie kann eine breite Allianz aus Arbeiter*innen und Aktivist*innen gelingen? Wie kann basisdemokratische gewerkschaftliche Organisierung über lange Zeit aussehen und welche Rolle spielt eine linke (bis revolutionäre) Partei in den Kämpfen? Wie schaffen wir es, die Strategiedebatte innerhalb der Klimabewegung hin zum Climate Labour Turn weiter auszubauen? Als GKN-Unterstützer*innengruppe wollen wir weiter über diese Fragen diskutieren, politische Schlussfolgerungen ziehen, den Kampf vor Ort unterstützen und ihn weitertragen. 

Mehr Infos zu einem Aufschlag der Strategiedebatte findet ihr hier:

Klassenkampf statt Sabotage. Von Sascha Döring

https://jacobin.de/artikel/klassenkampf-statt-sabotage-fridays-for-future-klimabewegung-extinction-rebellion-strategie-gewerkschaften-organisierung/

Mein Pronomen ist Busfahrerin. Von dem Autor*innenkollektiv CLIMATE.LABOUR.TURN 

https://www.rosalux.de/publikation/id/44712/mein-pronomen-ist-busfahrerin

Social Media Profil des Fabrikkollektivs:

@collettivofabbricagkn

Johanna Fankel (Mainz), Maike Schüler (Mainz) und Josina Heidel (Hannover) sind neben ihrem Studium im SDS und in der Klimagerechtigkeitsbewegung aktiv. Für sie ist klar: Echten Klimaschutz kann es im Kapitalismus nicht geben!