06 Nov Revolte gegen den Westen
Nach Burkina Faso und Mali ist Niger der dritte Staat Westafrikas, in dem anti-westliche Militärs die Macht übernehmen. Wie kam es dazu und wie könnte sich die Lage entwickeln? Eine Einschätzung von Benni Roth.
Am 26. Juli 2023 wurde Nigers Präsident Mohamed Bazoum durch die eigene Leibgarde inhaftiert. Das Militär setzt einen Nationalen Sicherheitsrat ein, die Verfassung außer Kraft, verhaftet viele Minister und verkündet eine bis zu dreijährige Übergangsregierung.
Niger wurde politisch destabilisiert. Durch Terroristen im Nachbarland Libyen, seit eine NATO-Militärintervention 2011 den Staat zerstört hat. Doch auch westliche Truppen, eigentlich für »Anti-Terror«-Einsätze vor Ort, schüren Hass. Ihr Krieg trifft oft die Bevölkerung, die Besatzung ist korrupt und repressiv. Besonders unbeliebt ist die einstige Kolonialmacht Frankreich. In Guinea sowie den direkten Nachbarländern Mali und Burkina Faso gab es deswegen bereits 2021 und 2022 Putsche. Die Militärs versuchten, mit eigenen Truppen in regionaler Kooperation die Terroristen selbst zu besiegen. Dabei half ihnen die »Wagner-Gruppe« eine russische Söldnerfirma.
Die Afrikanische Union, die westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft (ECOWAS) und die EU verurteilen den Putsch. ECOWAS und Frankreich drohten mit Militärintervention, wenn Bazoum nicht wieder eingesetzt wird. Nigers Nachbarländer Algerien und Tschad sowie die Afrikanische Union sprachen sich hingegen gegen eine Intervention aus. Mali und Burkina Faso haben sich bereits mit Niger gegen den drohenden Angriff verbündet. Die Militärintervention ist bis dato ausgeblieben. Die ECOWAS-Staaten haben dafür zu wenig Rückhalt.
Die Militärs im Niger weisen die Drohungen bisher zurück. Sie fordern französische Truppen auf, das Land zu verlassen. Die Bundeswehr und die US Army, die in Agadez die größte Drohnenbasis Afrikas unterhält, werden hingegen bislang geduldet. Auch wenn es Gespräche gab, hielt die ECOWAS an ihrer Drohung fest. Trotzdem solidarisierte die Bevölkerung Nigers sich mit den Militärs. Auf Demonstrationen wurden nigrische, russische und algerische Fahnen geschwenkt.
Niger zählt zu den ärmsten Ländern der Welt – aber nicht an Rohstoffen: Fünf Prozent des Urans weltweit werden hier abgebaut, unter sozial wie ökologisch katastrophalen Bedingungen. Die Rendite landet bei ausländischen Investoren – der radioaktive Abfall bleibt im Land und landet teils sogar im Straßenbau. Vor allem französische Konzerne wie »Orano« profitieren; durch den »CFA-Franc«, eine von Frankreich kontrollierte Währung in Westafrika, wird Niger neokolonial unterdrückt. Die Versorgung im Land ist katastrophal, vor allem aufgrund der Wirtschaftssanktionen der ECOWAS.
Wahrscheinlich scheint zurzeit ein Deal zwischen den nigrischen Militärs, ECOWAS und den westlichen Staaten – zu (etwas) besseren Konditionen für Niger. Mehr Anteil an Urangewinnen, allmählicher Rückzug westlicher Truppen, stärkere regionale Zusammenarbeit. Doch auch ein eine gewaltvolle Vertreibung westlicher Truppen ist denkbar. Schlimmstenfalls kommt es zu einer militärischen Intervention – ein Krieg, der Mali und Burkina Faso einbeziehen und die Sahelregion verwüsten würde. Doch daran hat auch die EU kein Interesse; für sie spielt der Niger eine zentrale Rolle in der aktuellen Grenzpolitik und der Aufrechterhaltung der Festung Europas.
Die politische Linke muss fordern: Bundeswehr raus aus Niger! Nachdem sie aus Mali ausgewiesen wurde, ist sie nach Niger ausgewichen. Nun muss sie heim. Auch sie destabilisiert das Land. Deutschland darf sich nicht einmischen, auch nicht ökonomisch: Keine Wirtschaftssanktionen gegen Niger – das Land steht am Rande einer Hungerkatastrophe! Darüber hinaus muss Deutschland seine Sahel-Politik radikal ändern: Schluss mit unfairen Handelsabkommen – Freihandel für deutsche Produkte auf nigrischen Märkten, aber Protektionismus deutscher Märkte gegenüber nigrischen Produkten – und Schluss mit sogenannten »Flüchtlingsabkommen«. Die EU darf Niger nicht zur Verwahrung und Bekämpfung von Flüchtlingen missbrauchen!
[Anm. d. Red.: Der Text wurde im September 2023 geschrieben. Mehr aktuelle Berichte darüber in der jungen Welt und bei Telepolis. Zur Vertiefung ist »Überleben im Goldland« von JörgGoldberg zu empfehlen.]
Benni Roth studiert Ästhetik in Frankfurt am Main und sieht gerade die Dominosteine der multipolaren Weltordnung fallen.