08 Nov Energiewende – Für wen? Multinationale Unternehmen und Windenergie im Gebiet der Wayuu.
Ein Interview mit Jazmín Romero Epiayú.
Der kolumbianische Verwaltungsbezirk La Guajira ist durch die Extraktion von Kohle aus der Kohlemine »El Cerrejón«, einer Tochtergesellschaft des multinationalen Unternehmens Glencore, geprägt. Die Regierung unter Gustavo Petro hat ihre Absicht erklärt, La Guajira durch den Bau von Windparks zum Zentrum der Energiewende zu machen. Die Umsetzung scheint jedoch eher im Dienste des Finanzkapitals zu stehen als in dem der lokalen Gemeinschaften. Das sagen zumindest die ansässigen indigenen Gemeinschaften der Wayuu, zu denen Jazmín Romero Epiayú gehört. Sie ist Mitglied der »Feministischen Bewegung der Kinder und Frauen Wayuu« und der »Hüterinnen des Windes« (deutsche Übersetzung).
Alejandro Gómez: Jazmín, wie sieht es mit der Energiewende im Wayuu-Gebiet aus?
Jazmín Romero: Komplex. Diese Windparks kommen mit voller Wucht. Die Aussage ist klar: Das Volk der Wayuu soll ausgelöscht, vernichtet werden. Das ist die Logik der multinationalen Konzerne ebenso wie der Regierung. Mit anderen Worten: Es gibt keine wesentliche Veränderung, zu dem was sie mit allen Gemeinden im Süden von La Guajira gemacht haben, als es um den Kohletagebau und die Eisenbahnlinie ging. Aber was wir bei den 57 entstehenden Windparks sehen, ist erschreckend. Dabei hat sich nämlich ihre Kriegstaktik gegen uns ein wenig verändert.
Die Konsultation [Anm. d. Red.: Die „Vorherige Konsultation“ ist eine Bestimmung im kolumbianischen Gesetz, die Unternehmen verpflichtet, vor dem Beginn von Extraktionsprojekten freie und informierte Befragungen in den betroffenen Gemeinschaften durchzuführen] in der Gemeinde von Bayahonda ist so beängstigend, weil sie zu dem Schluss kommt: Alles, was hier passieren kann, das heißt vor allem die Bandenkriminalität, ist Schuld der Gemeinschaft, nicht des Unternehmens. Es ist eine Aufforderung zur Gewalt. Sie stiften die Gemeinschaft dazu an, sich gegenseitig zu töten. Sie schüren also einen internen Konflikt. Das ist die Taktik des Unternehmens. Und die Regierung weiß das.
Darüber hinaus gibt es noch ein weiteres Phänomen. Um diese Parks herum gibt es sechs bewaffnete, illegale Gruppen. So viele Gruppen hat es in einem Verwaltungsbezirk noch nie gegeben, nicht einmal in der Geschichte des Paramilitarismus. Es geht also darum, das Volk der Wayuu vollständig zu vertreiben. Hier geht es um die Kontrolle über das Gebiet – von Seiten des multinationalen Konzerns und von Seiten der illegalen Gruppen, die sich mit dem multinationalen Konzern verbünden, um deren Interessen zu schützen. In der Gemeinschaft herrscht derweil Angst. So war es für das Unternehmen vielleicht einfacher, sich den Vorschlag der illegalen Gruppen zunutze zu machen. Möglicherweise, ich habe keine Beweise dafür.
A.G.: Die Petro-Regierung meint, vorherige Konsultationen seien ein Hindernis für die Entwicklung der Windenergie. Was steckt hinter diesen neuen Prozessen der vorherigen Konsultation und sind sie immer noch so manipuliert wie in der Vergangenheit?
J.R.: Jetzt sind sie noch perverser und manipulierter. Denn es ist die Kommerzialisierung des großen Hungers der Menschen. Petro kam hierher, nach La Guajira, mit dem Märchen der Energiewende. Viele glauben, sie würden zu Partnern. Aber was für eine Partnerschaft? Wenn die Konzessionen vollständig an multinationale Unternehmen vergeben werden, wie wollen wir dann dort mitspielen? Und wenn die Bedingungen für die Unternehmen ungleich sind, weil die jetzige und die vorherigen Regierungen den multinationalen Konzernen das Spielfeld bereitet haben, aber nicht die Grundlage für den Bau von Infrastrukturen oder die Diversifizierung der Strukturen in dem Gebiet vorangetrieben hat, wie wollen sie dann zu Partnern werden?
Die Vereinbarungen, die Petro getroffen hat, hat er mit den Verhandlungsführern hier vor Ort getroffen, die genauso opportunistisch sind wie er – nicht mit den Gemeinschaften. Mit anderen Worten: Das sind Konsultationen mit denen, die nicht die ursprünglichen Besitzer des Gebiets sind. Ist das legal? Nein, ist es nicht, die Gesetzgebung unterstützt allerdings nur die Kapitalinteressen statt die der Bevölkerung. Wir wollen, dass die Konsultationen ausgesetzt werden und dass alle, die stattgefunden haben, überprüft werden. Doch das wird Petro nicht tun. Wenn er wirklich die Veränderung wäre, würde er sagen: Das mache ich. Aber er wird es nicht tun, weil seine Regierung im Interesse des Finanzkapitals agiert. Diese Regierung ist schlimmer. Sie hat das alles gepusht.
Alejandro (24) kommt aus Kolumbien und studiert PoWi und Geschichte in Frankfrut am Main. Er ist im SDS und der kolumbianischen Arbeitsgruppe »Aktion Guajira« aktiv.