15 Jan Weniger Arroganz, mehr Verständnis – warum Großstadtleute die Bauernproteste nicht verstanden haben
Während die Bauern und Bäuerinnen protestieren ist das urbane Großstadtmilieu uneins und läuft doch kollektiv am eigentlichen Thema vorbei, findet unser Autor.
Es herrscht Aufruhe im Land in diesen Tagen. Unzählige Landwirtinnen und Landwirte blockieren mit ihren Schleppern die Straßen und Autobahnen. Speditionsunternehmen schließen sich dem bäuerlichen Protest an, was sich bereits in den Supermarktregalen bemerkbar macht, und auch das Handwerk ist dabei: Die Bauern und der Mittelstand protestieren deutschlandweit. Da jetzt noch die Bahn streikt, sind wir einem Generalstreik näher als je zuvor in der jüngeren Geschichte der BRD. Und die Menschen in der Großstadt? Die wissen, spätestens seit die rechte und ultrarechte Opposition sehr lautstark in das Rufen gegen die Ampel eingestimmt hat, nicht mehr wohin mit sich.
Was ist eigentlich passiert?
Das Thema Subventionen in der Landwirtschaft ist schon länger heikel: An wen Subventionen fließen, in welcher Höhe und nach welchen Kriterien ist umstritten. Zwei dieser Subventionen, der günstige Agrardiesel für die Landmaschinen und die Kfz-Steuerbefreiung für Landfahrzeuge, sollen nach Plänen der Ampel-Bundesregierung ersatzlos gestrichen werden. Die Ankündigung ist wohl auch als Sparmaßnahme angesichts der Haushaltslücke zu verstehen, die durch das jüngste Urteil des Bundesverfassungsgerichts entstanden ist. Diese Ankündigung löste großen Unmut unter den Landwirtinnen und Landwirten aus. Ersten Protesten im Dezember folgte nun eine ganze Protestwoche: Autobahnauffahrten werden durch Traktoren blockiert, die Innenstädte sind voller Zugmaschinen und im ganzen Land finden Kundgebungen statt. Die Speditionsbranche und Teile des Handwerks haben sich dem Protest schnell angeschlossen. Gleichzeitig versuchen sowohl AfD als auch CDU die Proteste für sich politisch zu vereinnahmen, es mischen sich zum Teil Rechtsradikale unter die Protestierenden. Die Ampel hat Teile der Streichungen mittlerweile zurückgenommen, will aber langfristig vom Agrardiesel wegkommen. Die Landwirtschaft protestiert indes weiter – es geht nicht nur um einzelne Maßnahmen, sondern um die fehlgeleitete Agrarpolitik an sich und das Gefühl von der Politik alleingelassen zu werden.
Zwischen Kritik und Sympathie – die Großstadt
Für viele Großstadtleute sind die Traktoren, die da so zahlreich durch die Innenstadt fahren, ein ungewohnter Anblick – die Reaktionen variieren. Aus der Bündnis-Grünen »Twitterblase« hört man vor allem eins: Kritik. Die Bauernschaft solle doch lieber für das Klima demonstrieren und nicht für fossile Subventionen, man müsse sich von rechts abgrenzen, man müsse nunmal sparen. Andere Kreise sind immerhin soweit, Verständnis zu zeigen, weisen aber auf eine gewisse Doppelmoral im Umgang mit den Klebeaktionen der »Letzten Generation« hin. Ach ja – was machen eigentlich deren Blockaden? Die sind jetzt ebenfalls angemeldet und mit der Landwirtschaft solidarisch. Man würde gerne gemeinsam mit den Landwirtinnen für eine bessere Landwirtschaft protestieren – und für das Klima. Die Großstadtlinke, die eher dafür bekannt ist auf die Straße zu mobilisieren als der Mittelstand, ruft ebenfalls zum bäuerlichen Protest auf. Der Schwerpunkt liegt dabei aber eher auf ökologischer Landwirtschaft, dem klimaneutralen Umbau und der Abgrenzung gegen rechts, als auf dem ursprünglichen Streitthema der Agrarsubventionen. Veranstalterinnen sind dort auch eher Klimagruppen, linke Strukturen oder ökologische Agrargenossenschaften aus der näheren Umgebung des urbanen Raums, die Masse an Traktoren und konventionellen Landwirtinnen wird man dort eher nicht vorfinden.
Ein Hauch von Arroganz
In der Großstadt ist man sich inhaltlich also uneins, ob des richtigen Umgangs mit den Protesten. Dennoch entsteht der Eindruck, dass alle gemeinsam kollektiv und mit erhobener Nase am eigentlichen Thema vorbeilaufen. Man kann sich das Thema natürlich schönrechnen: Es braucht Geld im Haushalt und wir müssen das Klima schützen, also streichen wir klimaschädliche Subventionen: Win-Win. Die Kehrseite der Medaille ist, dass hier den Landwirtinnen einseitig die Last zugeschoben wird: Wir wollen Versorgungssicherheit, günstige Lebensmittel, Klimaschutz und Nachhaltigkeit, nur tun wollen wir dafür nichts. Hier soll in einer Nacht und Nebel Aktion die verfehlte Haushaltspolitik der Bundesregierung einseitig auf den Mittelstand und die Bauernschaft abgewälzt werden. Wer in einer solchen Situation fordert, dass die Bauern doch bitte für das Klima und nicht für fossile Brennstoffe demonstrieren sollen, der klingt ein wenig wie das historisch bekannte (Falsch-)Zitat von Marie-Antoinette: „Wenn sie kein Brot haben, sollen sie doch Kuchen essen“ oder anders gesagt, wie eine abgehobene realitätsferne Großstadtelite.
Auch die durchaus berechtigte Kritik an einzelnen Punkten kann ich nur bedingt nachvollziehen. Auch mich besorgt eine drohende Vereinnahmung von rechts, die Doppelmoral angesichts der »terroristischen« Klimakleber ist ungerecht und das Agrar-Business als solches ist sehr stark kritikwürdig, doch warum muss das der erste Impuls sein? Hier wird der dritte Schritt vor den ersten gesetzt. Wieso nicht eher sagen: »Ja, ich unterstütze eure Sache und euren Protest!« und diese Sympathie erst einmal so stehen zu lassen? Zeit und Raum für berechtigte Kritik ist definitiv genug da, aber doch bitte nicht so, dass sich danach der Kopf dreht und man sich fragt – War mein Gegenüber jetzt dafür oder dagegen? Das wirkt beinahe so, als müssten die Landwirtinnen erst einmal eine ganze Liste an Forderungen abarbeiten, bevor wir uns in der Großstadt erbarmen, den Protest gut zu finden. Dabei hat uns gar keiner gefragt und Expertinnen sind wir erst recht nicht!
Dann gibt es noch jene, die von links solidarischen Protest auf die Straße bringen wollen, einen Impuls den man gutheißen kann. Man möchte sich dennoch verwundert die Augen reiben: Wo kommen plötzlich diese ganzen Forderungen und Ideen für die Landwirtschaft her? Jahrzehntelang hat man sich in der Großstadt herzlich wenig um die Landwirtschaft gesorgt, bestenfalls wenn es um Natur- und Klimaschutzmaßnahmen ging. Warum fällt es uns so schwer, uns den bestehenden Forderungen erst einmal anzuschließen? Sicherlich gibt es auch ökologische Genossenschaften, für die ein alternativer Protest sehr anschlussfähig ist, doch ob das Gros der Bauernschaft damit erreicht wird, ist zu bezweifeln. Manch ein konventioneller Landwirt wird den Protest von links sicherlich sympathisch finden, es könnte aber auch gut sein, dass der Protest als abgehoben wahrgenommen wird. Nachdem man sich jahrelang nicht um das Thema geschert hat, wissen wir es jetzt in der Großstadt mal wieder besser? Liegt uns das Anliegen der protestierenden Landwirtinnen wirklich am Herzen oder wollen wir nur unsere eigene Agenda wieder zurück auf die Tagesordnung holen? Das muss wohl jeder für sich beantworten.
Verständnis gegen Polarisierung
Die Gesellschaft wirkt in den letzten Jahren sehr polarisiert. Damit verbunden ist ein starker Rechtsruck der Gesellschaft und eine Bundesregierung, welche diesem Rechtsruck folgt, aber auch so keine gute Politik macht. Die Frage sollte dabei aber nicht nur sein, was man gegen den Rechtsruck tun kann, sondern auch was man gegen die Polarisierung tun kann. Wie will ich einen gesellschaftlichen Graben zuschütten, wenn ich nicht bereit bin auf andere zuzugehen? Damit meine ich keineswegs, rechte Forderungen zu übernehmen oder den Rechtsruck zu normalisieren. Ich meine vielmehr, dass sich die urbane Großstadtlinke kritisch hinterfragen muss und ihre Komfort-Zone hin und wieder verlassen sollte. Der jetzige Protest ist da ein Musterbeispiel. Kritik ist durchaus berechtigt, etwa an der programmatisch absurden Vereinnahmung durch die AfD, an dem Vorfall rund um Habeck und auch an dem Agrar-Business an sich. Auch eigener Protest kann sympathisch sein. Im Mittelpunkt sollten jedoch die protestierenden Landwirt*innen stehen.
Die Linke kann jetzt zeigen, dass sie nicht nur auf der rationalen Ebene das beste Argument hat, sondern auch auf der emotionalen Ebene ankommt und einen guten Eindruck hinterlässt. Gute Argumente zu haben ist wichtig, doch das gute Argument allein macht noch keine gute Politik. Anderenfalls wären die Umfrageergebnisse nicht so, wie sie zurzeit nunmal sind.
In der letzten Zeit war das Handeln der Linken allein von der argumentativ-rationalen Ebene geprägt. Wenn aber viele Menschen das Gefühl haben, von der Politik alleingelassen zu werden, dass »die da oben machen, was sie wollen« und die Krisen auf ihren Rücken abgewälzt werden, dann muss man über diese Ebene hinausgehen. Die Landwirtschaft rebelliert nicht nur wegen ein paar Steuerverschlechterungen, sondern weil sie mit den großen Herausforderungen unserer Zeit alleingelassen wird. Ein Gefühl, was doch nur verstärkt wird, wenn wir aus der Großstadt heraus wieder einmal alles besser wissen und den Leuten ihren Job erklären oder schlimmer noch, sie arrogant behandeln. Vielleicht geht es jetzt gar nicht darum, die treffendste Analyse, die pointierteste Kritik oder die radikalste Forderung aufzustellen, sondern darum, vom hohen Ross herabzusteigen und ganz einfach zu sagen: »Wir finden gut, was ihr da macht, wir unterstützen euch.« Warum nicht mit einem Pappschild zu den Traktoren stellen, auf dem steht »Großstadt für die Landwirtschaft«? So überzeuge ich wahrscheinlich nicht von einer Position, aber vielleicht erreiche ich damit die emotionale Ebene und zeige den Leuten, dass ich es ernst und ehrlich mit ihnen meine. Das Großstadtmilieu muss wieder lernen, ein wenig Demut zu zeigen, denn was wir bei der ganzen Sache nicht vergessen dürfen: Es sind die Landwirtinnen und Landwirte, die das erzeugen, was wir jeden Tag auf unserem Teller haben.