05 Apr Frieden und Freiheit dem Kapital
Die EU ist das Fortschrittsprojekt schlechthin, selbst mit dem Friedensnobelpreis wurde sie ausgezeichnet. Tatsächlich dient sie in erster Linie dem Kapital.
Mehr als 23.000 Tote an den Außengrenzen der EU seit 2000 machen das Posieren mit blauen Europa-Hoodies Jahr für Jahr scheinheiliger. Dennoch gehört dies von Junger Union bis Jusos zum guten Ton, schließlich ermöglicht die EU das Erasmus-Semester in Rom und schaffte die Roaming-Gebühren ab.
Dabei fing das Projekt EU löblich an. Nach dem Sieg der Alliierten über Nazi-Deutschland sollte die Bundesrepublik wieder wirtschaftlich aufgebaut werden. Vorsorglich antifaschistisch wurden militärstrategisch zentrale Güter einer supranationalen Verwaltung untergeordnet: Kohle- und Stahl-Markt wurden einer gemeinsamen Behörde unterstellt, was der Bundesrepublik Vertrauen einbrachte. Sie wurde wieder geopolitisch eingegliedert und somit 1955 in die NATO aufgenommen. Aus diesem Umstand schöpft die EU bis heute ihre Charakterisierung als Friedensprojekt. Schon damals sollte sie jedoch einen starken Gegenpol zur Sowjetunion bilden. Der westliche Antifaschismus sollte dem sozialistischen Modell in nichts nachstehen.
Verschärfung bestehender Ungleichheiten
Das Projekt glückte und wurde fortwährend ausgeweitet. Innereuropäische Zölle wurden ab- und ein gemeinsamer Außenzoll aufgebaut. Dazu kamen eine gemeinsame Währungsunion und politische Institutionen mit Kompetenz über nationale Gesetzgebung. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion stieß die EU in die vormals sozialistischen Länder vor und »integrierte« diese in die Binnenwirtschaft Europas. Große Volkswirtschaften wie Deutschland wurden gewinnbringend zu »Exportweltmeistern«, während kaum andere europäische Länder, geschweige denn Länder des globalen Südens, mithalten konnten. Heute werden auf EU-Ebene stärkere Militärkooperationen eingegangen, um diese Interessen auch weiterhin durchzusetzen (S. 18).
Vor allem zu Krisenzeiten prägfte und prägt sich die Tendenz der Hegemonialstellung Deutschlands aus. 2007 geriet der Euro und damit die Währungsunion in eine Krise – das Sorgenkind war hier vor allem Griechenland, später folgten unter anderem Spanien, Portugal und Italien. Alexis Tsipras, der damalige Ministerpräsident Griechenlands, bezeichnete das Land treffenderweise als das »erste Opfer des Neoliberalismus«. Die Ursache war zwar die globale Wirtschaftskrise, doch zeigten sich nun in aller Deutlichkeit die Probleme des Mechanismus der Wirtschaftsordnung an sich: Bestehende Ungleichheiten in der Eurozone verschärften sich immer weiter.
Aufgezwungene Austeritätspolitik
Zu Beginn der Staatsschuldenkrise bereiteten die EU-Partner einen Hilfskredit vor, der ursprünglich nach einer Volksabstimmung angenommen werden sollte. Auf Druck von Deutschland und Frankreich musste Griechenland die Kreditbedingungen abstimmungslos akzeptieren. Mit einer erneuten Aufstockung war das erklärte Ziel der reichen EU-Länder die Wirtschaft des Landes und vor allem den Euro zu retten. 2012 zwang der nächste »Hilfskredit« Griechenland zu weiteren Sparmaßnahmen zulasten des Sozialstaats. Dazu gehörten drastische Kürzungen bei den Renten und im Bereich der Finanzierung von Krankenhäusern.
Die durch die EU und den IWF aufgezwungene Austeritätspolitik und die damit einhergehenden Reformpakete wurden in den darauffolgenden Jahren von Tsipras durchgesetzt, der als Marionette der supranationalen Institutionen agierte. Der linke Ministerpräsident steht dabei heute für die Ohnmacht progressiver Akteure, die sich gegen das politische System und den Schuldenzwang der EU durchsetzen wollen.
Wohin mit der EU?
Gegründet als Friedens- und Wirtschaftsprojekt, das den Mitgliedsstaaten durch den Abbau von Zöllen und einer gemeinsamen Währung zu Wohlstand und Sicherheit verhelfen sollte, lässt sich gut 30 Jahre nach Gründung die Frage stellen: Was soll die EU sein?
Für Deutschland bietet sie ein Ventil zur Durchsetzung wirtschaftlicher Interessen. Auf europäischer Ebene blockierte die Bundesrepublik beispielsweise das Lieferkettengesetz. Letztendlich wurde es gegen die Stimmen Deutschlands durchgesetzt.
In der Ukraine verhandeln aktuell westliche Konzerne wie Blackrock den Wiederaufbau. Stattdessen sollte über einen Schuldenerlass für das Land gesprochen werden. Sonst handelt es sich bei der versprochenen Freiheit wieder nur um die Freiheit des Kapitals. In Griechenland zeigte sich, dass dies notfalls auch zulasten der Europäer*innen geht. Auch wenn der Grundgedanke der EU kein schlechter war, offenbart sich weiter und weiter ihr Klassencharakter.
Nadine und Maxi studieren in Düsseldorf und haben noch kein Erasmus-Jahr gemacht. Griechenland ist für sie trotz des Spardiktats noch kein erschwingliches Urlaubsziel.