11 Apr Ein Europa für alle, statt für Finanzhaie!
Die EU gilt als Fortschrittsprojekt – doch auch was den Klimaschutz betrifft? Beschäftigt man sich etwas genauer damit, merkt man schnell, dass hier weniger der Planet oder die Bürger*innen im Vordergrund stehen, sondern der gute alte Investor.
Wenn die Semesterferien begonnen haben, das Interrail-Ticket gebucht ist und in einer Woche sechs Länder ohne eine einzige Grenzkontrolle durchreist werden können, dann ist er zu spüren, der europäische Spirit. Ein europäischer Spirit, der gerade bei der Klima- und Energiepolitik eine Rolle spielen wird, wenn am 09. Juni ein neues Europaparlament gewählt wird. Aber wie gut kann die EU eigentlich Klimaschutz?
Risse im System
Die europäische Grundidee bleibt ohne Frage eine gute: ein freies und demokratisches Europa, in dem die großen Fragen wie Klimaschutz grenzübergreifend gelöst werden, anstatt sich in den Nationalstaat zu flüchten. Mit riesigen Naturschutzgebieten, Maßnahmen zur Plastikmüllreduktion oder dem Green Deal können sich die Bemühungen der EU auf dem Gebiet auch durchaus sehen lassen.
Doch das Fortschrittsprojekt Europäische Union bröckelt auch abseits von Frontex, Korruptionsskandalen und Rechtspopulismus. Plötzlich werden Kernkraft und Erdgas als »nachhaltig« gelabelt und wie gut ist eigentlich die Klimabilanz von Aufrüstung und Waffenlieferungen? Wir verdrängen gerne, dass die EU vor allem eine Wirtschaftsunion ist. Mit den sogenannten »Grundfreiheiten der EU« ist nicht etwa die Meinungsfreiheit gemeint, sondern ein möglichst freier Binnenmarkt: freier Kapital-, Dienstleistungs-, Waren- und Personenverkehr. Diverse Freihandelsabkommen wie CETA, TTIP oder zuletzt MERCOSUR stehen dauerhaft vor allem wegen ihren klima- und umweltschädlichen Auswirkungen in der Kritik.
Klimaschützerin RWE AG?
Der Charakter der Wirtschaftsunion wird vor allem im Bereich der Energiepolitik deutlich. Beispielsweise RWE war einmal eine Art Zusammenschluss der Energieversorger des Ruhrgebiets, an welchem die Kommunen an Konzernentscheidungen beteiligt waren und von den Ausschüttungen profitiert haben. In den vergangenen 30 Jahren wurde der Energiesektor jedoch in Europa privatisiert, aufgespalten und für den Kapitalmarkt geöffnet. Auch wenn die Stadt Dortmund beispielsweise noch fünf Prozent der Anteile hält, ist die RWE AG heute ein globaler Energiekonzern, an welchem unkontrollierbare Finanzriesen wie BlackRock, Amundi oder auch der katarische Staatsfonds große Anteile halten.
An den Konzernen, welche die großen Energietransport- und Verteilernetze betreiben, sind unter anderem das Königreich der Niederlande, ein australischer Infrastrukturfonds und diverse weitere nationale und internationale Investmentfonds beteiligt. Die Gewinnmargen sind in beiden Bereichen gigantisch und das nicht nur durch die fossilen Energien, sondern auch gerade durch die Erneuerbaren.
Im sogenannten Merit-Order-System werden die in der Erzeugung günstigen erneuerbaren Energien immer priorisiert eingespeist. Die Energiekosten richten sich aber nach den teureren Kohle- und Gaskraftwerken, die es nach wie vor braucht, um die massiven Schwankungen bei den Erneuerbaren auszugleichen. Längst haben sich RWE und die anderen Konzerne die besten Flächen für Windkraftanlagen gesichert und betreiben die hochprofitablen Windparks auf Nord- und Ostsee. Während in der Debatte immer wieder die sogenannte »Bürgerenergie« ins Wort gehoben wird, bei der die Bürger*innen an den erneuerbaren Energien beteiligt sind und davon auch finanziell profitieren, spielen solche Ansätze in der Praxis nur kaum eine Rolle.
Eine Energieversorgung der Menschen!
Paradoxerweise sind es gerade die großen Dreckschleudern wie RWE, die am meisten vom Ausbau der Erneuerbaren profitieren. Da werden in Zeiten hoher Energiepreise massive Übergewinne erzielt und an zwielichtige Finanzhaie ausgeschüttet, während die Verbraucher*innen nicht mehr wissen, wie sie ihre Rechnungen bezahlen sollen. Wer ist da noch verwundert, dass bei einer zunehmend prekären sozialen Lage sich die Menschen von der EU ab- und sich den Rechten zuwenden?
Die Klimagerechtigkeitsbewegung muss nicht nur den Ausbau der erneuerbaren Energien fordern, sondern sollte gerade hier auch die Eigentumsfrage stellen. Doch was, wenn dies gar nicht mit der Europäischen Union möglich ist? Denn in dieser EU kann ich nicht nur ohne Grenzkontrolle durch sechs Staaten reisen, sondern als Finanzhai auch an sechs Energieversorgern verdienen!
Kilian ist 23 Jahre alt und studiert Recht in Leipzig. Er findet, wenn von CDU bis Linke alle Europa hochleben lassen, muss irgendetwas faul sein.