Nahverkehr auf Links drehen

Nahverkehr auf Links drehen

Bundesweit läuft dieses Jahr die Tarifrunde Nahverkehr, in der alle ÖPNV-Fahrer*innen für einen Entlastungsvertrag streiken. Die Kampagne WirFahrenZusammen verbindet den Kampf der Kolleg*innen, um bessere Arbeitsbedingungen, mit dem der Klimabewegung, um Investitionen in grünen ÖPNV.

Es ist 3 Uhr am Freitagmorgen dem 02. Februar. Wir stürmen aus der gespenstisch menschenleeren Freien Universität heraus – völlig übermüdet – in Richtung des wartenden Solibusses. Der Fahrer hatte am Telefon gesagt, er würde nicht mehr lange warten. Am Ende schaffen wir es doch noch alle in den Bus. Unser Ziel: Betriebshof Cicerostraße zum Streikposten der BVG-Beschäftigten. Trotz unserer Müdigkeit sind wir vor allem aufgeregt - unsicher, ob man unsere Anwesenheit gutheißen wird. Nur eine Handvoll Beschäftigter erwartet uns vor dem verschlossenen Betriebstor. Die Wenigen empfangen uns aber recht herzlich. Wir werden erstmal mit reichlich Kaffee versorgt. Nach ein paar letzten Einweisungen ziehen wir unsere gelben Ver.di-Westen mit WirFahrenZusammen (wfz) Aufdruck über. Dann gehts es los. Wir stürzen uns ins Getümmel des sich füllenden Streikpostens.  

ÖPNV gegen den Autos abstinken

An diesem Freitag ist der erste bundesweite Streiktag der TVN 2024 Runde. Die Beschäftigten im Nahverkehr kämpfen für einen Entlastungstarifvertrag, für bessere Arbeitsbedingungen. Überall im Land steht an diesem Tag der Nahverkehr still. Aber es ist kein Streiktag wie jeder andere. Wie bei uns am Betriebshof Cicerostraße stehen die Kolleg*innen an diesem Freitag nämlich nicht allein an den Feuertonnen – sie werden von hunderten verschlafener, aber hochmotivierter Klimaaktivist*innen von WFZ unterstützt. Der Verkehrssektor ist aus klimapolitischer Sicht nämlich eine Katastrophe. Seit den 90er Jahren wurden hier im Grunde keine CO2 Emissionen eingespart. Für eine ökologische Kehrtwende in diesem Bereich braucht es allerdings einen öffentlichen Nahverkehr, gegen den der motorisierte Individualverkehr in jeder Hinsicht abstinkt. Politische Alternativen wie eine Erhöhung der CO2-Steuer und die mittelfristige Orientierung auf Elektroautos, individualisieren die Transformationskosten, reproduzieren Klassenprivilegien und treffen die untersten Klassen am härtesten. Also ÖPNV massiv ausbauen. Dafür braucht es aber nicht nur Investitionen in Infrastruktur und Fahrzeuge, sondern vor allem in die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten. Schon heute sind bundesweit 80.000 Stellen unbesetzt. Eine Verdopplung des ÖPNV bis 2030 angesichts dessen völlig unrealistisch.  

Aus diesem Grund stehen am 02.02 alleine in Berlin etwa 180 Klimaaktivsti, die meisten davon Studierende, mitten in der Nacht am Streikposten und sprechen mit Busfahrer*innen über ihren Arbeitsalltag, und warum wir gemeinsam kämpfen sollten. Was die Beschäftigten fast alle eint, ist der Eindruck, seit Jahren verarscht zu werden. Manche sind seit 30 Jahren dabei, kurz vor der Rente und blicken auf ein Arbeitsleben voller Niederlagen und schmerzhafter Einschnitte zurück: Arbeitszeitverdichtungen, Reallohnverluste, Defensivkampf um Defensivkampf. Einige wirken resigniert und sind wenig auskunftsbereit. Andere verbinden die fehlenden Investitionen mit vermeintlich faulen Bürgergeldempfänger*innen und Geflüchteten. 

Klima-turn beim Arbeitskampf

Es ist wahrlich kein einfaches Feld und doch gibt es Lichtblicke. Die meisten Beschäftigten sprechen nach anfänglichem Misstrauen offen mit uns über ihre alltäglichen Sorgen, den Stress auf der Arbeit und was sich dringend verbessern müsste. Einige zeigen am Ende dieser Gespräche Interesse am gemeinsamen Klimastreik am 01.03 . Es kommt an diesem Tag häufiger vor, dass die Kolleg*innen von sich aus nochmal das Gespräch suchen. Wir tauschen Nummern aus, treffen Verabredungen und brüllen gemeinsam: »Heute ist kein Arbeitstag! Heute ist Streiktag!«  

Der Eindruck des ersten Streiktag verfestigte sich an folgenden Streiktagen: Der Weg zum politischen Streik für grünes Gemeinwohl ist steinig und weit. Die Klasse ist in weiten Teilen demobilisiert, der Gewerkschaftsapparat arbeitet schleppend und keine Massen begaben sich auf die Straße. Dennoch hat in den vergangenen Monaten ein relevanter Teil der Klimabewegung eine klare klassenpolitische Ausrichtung entwickelt. Studis sind aus ihrer linksliberalen Wohlfühlbubble ausgebrochen und haben einen leibhaftigen Eindruck vom Stand der Klassenkämpfe in Deutschland gewonnen. Zahlreiche Beschäftigte haben sich politisiert und meinen es verdammt Ernst damit, ihre Gewerkschaft neu aufzubauen und kampfbereit zu machen. Dieser Kampf hat gerade erst begonnen. Wenn wir gewinnen wollen, müssen wir durchhalten. Es lohnt sich!  

Jonas Schwarz studiert in Berlin Philosophie und setzte seinen Arbeitsschwerpunkt zuletzt auf den Aufbau einer bundesweiten wfz-Hochschulvernetzung.